Die Suppenzeit ist wieder in vollem Gange. In einer guten Suppe stecken Zeit, Hingabe und sorgfältig gewählte Zutaten. Vier Betriebe und Köche lassen sich in die Töpfe blicken und verraten ihre Tipps und Tricks für gelungene Seelenwärmer.
Suppe verdient mehr Aufmerksamkeit. Sie macht kalte Tage wärmer, lässt sich an jedes Bedürfnis und an die im Vorrat vorhandenen Zutaten anpassen. Dass Suppe in der Gastronomie gefragt ist, zeigen lange Schlangen vor japanischen Suppenläden und Suppenbars, in denen aus grossen Töpfen Gulasch- oder Linsensuppe dampfen.
«Suppe kochen ist ein Spiel, dessen Regeln immer wieder neu erfunden werden dürfen», schreibt Tine Giaccobbo in ihrem Suppenkochbuch, das sie 2014 gemeinsam mit Katharina Sinniger herausgegeben hat. Die beiden Wirtinnen der legendären Zürcher «Alpenrose» servierten während 16 Jahren im Limmatlädeli im Kreis 5 täglich fünf saisonale Suppen. Rezepte dürfe man dabei nicht zu ernst nehmen, so Giaccobbo. «Steht im Rezept ein Wurzelgemüse, das Sie nicht haben, nehmen Sie ein anderes. Sehen sie keinen Sinn darin, Tomaten zu schälen, dann tun Sie es nicht.»
Suppe ist wahrscheinlich fast so alt wie das Kochen selbst. Wann genau die erste Suppe über einem Feuer köchelte, sind sich Archäologen uneins. Klar ist, dass schon in der Steinzeit schwer verdauliche Lebensmittel in Kochsäcken aus Tierhaut gedämpft oder zu Brei verarbeitet wurden. Suppen gemäss heutigem Verständnis wurden mit der Erfindung von Kochgefässen aus gebranntem Ton und Lehm zwischen 9000 und 7000 v. Chr. möglich. Im Mittelalter dienten dickflüssige Suppen mit Gerste, Hafer oder Roggen oft als warmes Frühstück. Mit der Renaissance wurden sie, insbesondere an den Adelshäusern, zunehmend verfeinert. Dort nehmen viele Suppen, wie wir sie heute kennen, ihren Ursprung.
Eine Suppe, die damals über die Adligen in Europa verbreitet wurde, stammt aus Spanien. «Die Olla Podrida gelangte als Olio-Suppe an den Wiener Hof, als Pot Pourri nach Frankreich und als Spanische Suppe in die Nordostschweiz», wie einem Blog-Eintrag des Schweizerischen Nationalmuseums zu entnehmen ist.
Die Spanische Suppe war im 16. und 17. Jahrhundert ein beliebtes Sonntagsessen. Sie wurde vor dem Kirchgang in einer verzierten Bronzeschüssel auf den Herd oder in den Kachelofen gestellt, wo sie während der Messe köchelte. Die wichtigsten Zutaten sind Kohl, vorgekochte Kastanien, gekochter Schinken, Magerspeck oder Rippli und Kalbfleisch – und mehr, wenn es der Vorrat hergab.
Ausser kunstvoll gearbeiteten Bronze-Schüsseln in Museen erinnert heute nicht mehr viel an die Spanische Suppe. Die Schweiz hat suppentechnisch aber viel mehr zu bieten. Viele der Gerichte zeugen davon, dass sie nicht immer ein reiches Land war. Aus einfachsten Zutaten entstanden Suppen, die heute noch beliebt sind: Die klassische Bündner Gerstensuppe mit Trockenfleisch, Rollgerste, Rüebli, Lauch und Sellerie. Oder die Urner Chässuppe mit altbackenem Ruchbrot, Zwiebeln und Bergkäse. Nicht zu vergessen die Basler Mehlsuppe, die mit geröstetem Mehl, Zwiebeln, Bouillon und Käse auskommt.
Heute können sich Suppenköchinnen und -köche von Rezepten rund um die Welt inspirieren lassen. Vom japanischen Ramen, vom marokkanischen Harira oder vom thailändischen Tom Kha Gai. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
(Alice Guldimann)
Klare Hühnersuppe
Das Suppenhuhn hat lange ein Schattendasein gefristet. Heute gibt es wieder Gastronomen, die auf den Klassiker setzen. So auch Hugo Lenzlinger, der gemeinsam mit seiner Partnerin Tanja Aebli das Hotel Friedheim in Weggis/LU führt. Die Küche des Hauses ist mit 13 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnet und die klare Hühnersuppe nach Hildegard von Bingen steht fix auf der Karte. «Die Hühner für unsere Suppen kenne ich fast beim Vornamen», erzählt Küchenchef Lenzlinger. Er bezieht sie zweimal im Jahr von einem kleinen Betrieb im Kanton Aargau. Es seien echte Suppenhühner, die zwei Jahre lang in Freilaufhaltung gelebt haben. «Solche Hühner gibt es fast nicht mehr, aber deren Fleisch und dessen Konsistenz sind ganz anders.» Zum Huhn kommen Rüebli, Petersilienwurzel, Knollensellerie und Fenchel. Ganz wichtig sind laut Hugo Lenzlinger die Gewürze: Ysop, Galgant, Bertram und Quendel. «Zudem gebe ich Ingwer und Zitronengras dazu.» Die Suppe sollte dann für mindestens sechs Stunden köcheln.
«Mit den heilsamen Gewürzen und dem verdauungsfördernden und wärmenden Fenchel wirkt die Hühnersuppe stimmungsaufhellend und nährend», sagt Hugo Lenzlinger. Das Rezept stammt von der Grossmutter seiner Frau Tanja Aebli. Diese belebt das Wissen der Äbtissin, Kräuterkundlerin und Ernährungsexpertin Hildegard von Bingen wieder und lässt es auch im Hotel Friedheim einfliessen.
Japanische Ramen
Die japanische Nudelsuppe ist in den Schweizer Städten längst etabliert. Die Suppe ist schnell beim Gast und schnell geschlürft, von Fast Food kann aber keine Rede sein. «Gute Ramen heisst gute Brühe, und die braucht Zeit», erzählt Sandra Bennovsky, Geschäftsführerin der beiden Filialen von «Yume Ramen» in Zürich. Für ihre klassische Grundbrühe werden Schweineknochen mit viel Gemüse, Knoblauch, Pilzen, Soja und Mirin für mindestens acht Stunden – oder vier Stunden im Schnellkochtopf – gegart. Zudem bieten sie Ramen auf Basis einer Hühnersuppe und eine vegane Variante. «Die Cremigkeit einer Knochenbrühe kann man zwar nicht zu 100 Prozent erreichen, mit Pilzen, Äpfeln oder Tomaten erhält man aber ein tolles Resultat.» Damit aus Brühe Ramen-Suppe wird, braucht sie die Würzung, genannt Tare. Shoju (Sojasosse) und Miso sind dabei mögliche Grundpfeiler und werden mit weiteren Gewürzen, Ingwer oder Sake ergänzt. Neben der Suppe sind im «Yume Ramen» auch die Nudeln hausgemacht, mit einer japanischen Nudelmaschine. Dabei macht Kansui, eine Mischung aus Kalium- und Natriumcarbonat, die besondere Textur und Elastizität der Weizennudeln aus.
Am Ende ist es der Gast, der die Ramen mit der Wahl der Toppings fertigstellt. Traditionell sind es Schweinebauch, Sojasprossen, ein wachsweiches Ei und Frühlingszwiebeln. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Rüben-Quitten-Suppe
Im «Spoon» in Basel spielt Suppe die Hauptrolle. Jeden Tag servieren die Betreiberinnen Carolin Kolb und Nicole Schmutz ihren Gästen drei verschiedene Kreationen, das Angebot wechselt täglich. Was auf den Teller kommt, entscheiden sie am Tag zuvor. «Unser Gemüse wird jeden Tag frisch angeliefert, so können wir kurzfristig planen und auch auf Wetterumschwünge reagieren.» Im Herbst haben Kolb und Schmutz in ihrem Restaurant Hochbetrieb. An kalten, regnerischen Tagen gibt es Bündner Gerstensuppe, Gulaschsuppe oder Linsensuppe mit Salbei und Waldpilzen. «Wir schauen, dass wir jeden Tag für alle Geschmäcke und Bedürfnisse etwas bieten», sagt Carolin Kolb. Mindestens eine Suppe sei stets vegan und so auch für Laktoseintolerante geeignet. Das «Spoon» gibt es seit 2018. Seither haben die Betreiberinnen unzählige Rezepte entwickelt. Eine Auswahl haben sie vor drei Jahren als kleines Buch veröffentlicht. Darin findet sich unter anderem eine Quitten-Rüben-Suppe. Quitten mit der doppelten Menge weisser Rüben und wenig Kartoffeln weichkochen und pürieren. Muskat und Meerrettich-Rahm sorgen für besondere Würze. Gutes, frisches Gemüse ist laut Carolin Kolb zentral. «Saisonales Gemüse ist nachhaltiger und geschmackvoller. Deshalb ist eine Rüeblisuppe im Sommer geschmacksintensiver als mit gelagerten Rüebli im Winter.» Auch die richtigen Kräuter und Gewürze machen eine Suppe zum Geschmackserlebnis.
Bouillabaisse
Wenn Starkoch Antonio Colaianni seine Signature Dishes aufzählt, steht die Bouillabaisse ganz oben auf der Liste. «Zehn Jahre habe ich daran getüftelt, bis ich zu hundert Prozent mit dem Rezept zufrieden war», erzählt er. Seine Bouillabaisse, die er unter anderem in den Zürcher Restaurants Mesa und Gustav servierte, entspricht nicht dem französischen Original. «In Marseille würde ich dafür wohl geköpft», lacht Colaianni. Bis die Suppe fertig ist, dauert es zwei Tage. Am ersten Tag macht er zwei Suppen-Ansätze: einen mit Gemüse und eine klassische Felsenfischsuppe. «So kann ich justieren, damit das Endprodukt immer etwa gleich schmeckt.» Das wichtigste sei dabei das Rösten. «Hier muss man sich Zeit nehmen, um Geschmackstiefe in den Fond zu bringen.» Ein weiterer Kniff, der Colaiannis Bouillabaisse ausmacht, ist Hühnerbouillon. «Sie gleicht den Geschmack des Fisches aus und bringt Harmonie.» Ebenfalls unverzichtbar sind Sherry, Noilly Prat, Safran, Fenchel, Chili und Tomate.
Die Suppe serviert Colaianni dann eher auf der flüssigen Seite. Als Einlage wählt er unter anderem Rotbarsch, Wolfsbarsch, Aquadelle, Crevetten und Jakobsmuscheln. «Es muss nicht immer genau gleich sein, Hauptsache ist, dass die Produkte gut sind.» Abgerundet wird die Bouillabaisse mit einem Focaccia-Chip und einer klassischen Rouille. «Besonders an meiner Suppe ist, dass jeder Löffel voll andere Geschmäcke hervorbringt.»