Landwirte und Gastgewerbler haben ähnliche Herausforderungen zu bewältigen. Wobei die Bauern beim Aufgleisen alternativer Einnahmequellen die Nase noch vorn haben.
Landwirtschaft und Gastgewerbe sind seit jeher ein starkes Duo. In der Anfangszeit des Tourismus war es üblich, dass viele Bauernhöfe auch Gasthaus waren. Und praktisch jedes der alten Grandhotels verfügte über eine kleine, eigene Landwirtschaft, um seinen Bedarf an Milch und Eiern selber zu decken. Heute hat fast jeder Koch einen kleinen Kräutergarten oder «seine» Bauern, mit denen er eng zusammenarbeitet. Manche Landwirte bauen sogar exklusiv für «ihren» Koch exotische Früchte und Spezialgemüse an. So kultiviert Salvador Garibay am Vierwaldstättersee Chili, schwarzen Mais, Kumquats und Amarant für Nenad Mlinarevic, Koch des Jahres 2016 und Head Chef im Parkhotel Vitznauerhof. Für Patrick Schwendener, Küchenchef der Psychiatrischen Klinik St. Pirminsberg in Pfäfers, bauen lokale Agronomen unter anderem Pak Choi, gelbe Randen sowie Feder- und Palmkohl an. Und das Hotel Schweizerhof in Lenzerheide nutzt seine Beziehungen zu den regionalen Bauern fürs Storytelling und zum Schaffen emotionaler Ferienerlebnisse. Weil sich die Branchen Gastronomie und Landwirtschaft so nahe sind, schlüpfen Bauern gerne selber in die Gastgeberrolle. Sei es als Anbieter von Übernachtungsmöglichkeiten, als Organisator von Gruppenevents oder Vermieter von Seminarlokalitäten. Der Agrotourismus wächst stetig. Pro Jahr ernten allein die Bauern, die ihre Unterkünfte über e-domizil buchbar machen, rund 31 500 Logiernächte. Als Konkurrenz für Hotels wollen sich die Landwirte gemäss Andreas Allenspach, Geschäftsführer Agrotourismus Schweiz, aber nicht verstanden wissen. Sie sehen sich vielmehr als Ergänzung sowie als Zubringer für die Gastronomie. Um in Zukunft erfolgreicher zu sein, sollten Bauern und Gastronomen deshalb noch besser kooperieren.
Wenn es darum geht, Chancen zu erkennen und Geschäftsmöglichkeiten auszuloten, dürften Gastronomen ruhig bei Agronomen spicken. Deren sprichwörtliche Bauernschläue zeigt sich nämlich nicht nur auf dem politischen Parkett, wo sie sehr gute Lobbyarbeit für ihre Interessen leisten. Landwirte haben auch ein Händchen, wenn es ums kreative Vermarkten ihrer Produkte sowie ums Lancieren von neuen Standbeinen geht. Mit Geschenksäcken, -kisten und -körben wie dem «Scarnuz Grischun», dem Appenzeller «Tröckli» oder der «Ämmitaler Ruschtig» beweisen Bauern, dass sie regional gut zusammenarbeiten.
Insgesamt gibt es über 30 Trägerorganisationen für regionale Produkte. Natürlich tritt jede mit einem eigenen Label auf. Ein neues, nationales Gütesiegel soll für die Konsumenten Klarheit in den Label-Dschungel bringen. «Regio.garantie unterstreicht mit der in allen Landessprachen verständlichen Wortkombination den Inhalt des zertifizierten Produktes: garantierte Regionalität», sagt Jasmine Said Bucher, Geschäftsführerin der Organisation Alpinavera und Präsidentin des neu gegründeten Vereins Schweizer Regionalprodukte. Dieser kontrolliert, dass alles, was mit dem «Regio.garantie»-Siegel ausgezeichnet wird, schweizweit die selben Kriterien erfüllt. Ein Kriterium lautet: Die Produkte müssen zu 80 Prozent aus regionalen Zutaten bestehen.
Dass Bauern ihre Produkte auf Wochenmärkten sowie direkt ab Hof verkaufen, ist nichts Neues. Was sich aber in den letzten Jahren zunehmend verändert hat, ist das Einkaufserlebnis, welches die Landwirte den Kunden auf den Höfen bieten. Ein Beispiel dafür ist die Jucker Farm mit ihren Erlebnisbauernhöfen in Rapperswil-Jona/SG und Seegräben/ZH sowie der Spargelhof in Rafz/ZH.
Die dortigen Hofläden sind schön gestaltete Einkaufsboutiquen. In diesen werden nicht nur frisches Gemüse und Früchte vom Hof, sondern auch selbst hergestellte Produkte in ansprechender Verpackung präsentiert. Die Angebotspalette umfasst Tee- und Kräutermischungen, Sirupe, Essige, Saucen, Eingemachtes, Milchprodukte, Wurstwaren und Konfitüren. Sogar komplette Zutatensets zum Backen von Kuchen oder zum Kochen von Suppen sind im Sortiment. Rezept und Kochkelle inklusive. Was nicht selbst angebaut oder hergestellt wird, stammt von befreundeten Landwirten aus der Umgebung.
Das Erlebnis hört aber nicht beim Einkaufen auf. Die Jucker Farm bietet eine abwechslungsreiche Bauernhof-Erlebniswelt: Vom Selberpflücken von Beeren und Kirschen über Streichelzoo und Strohhüpfburg bis hin zum Sonntagsbrunch und der anschliessenden Siesta in Hängematten im Obstbaumhain.
Für Kunden, die keine Zeit zum Besuch der Hofläden haben, hat die Jucker Farm den Online-Hofladen Farmy.ch ins Leben gerufen. «Am Morgen geerntet, am Abend bei dir auf dem Tisch», verspricht Farmy.ch. Um Food Waste möglichst klein zu halten, ernten die Bauern nur die Mengen, die online effektiv bestellt wurden. Die Ernteerzeugnisse werden zentral im Farmy Hub angeliefert. Von dort werden sie innerhalb von zwölf Stunden entweder für den Kunden an zentralen Abholstationen bereitgestellt oder an einen Ort seiner Wahl geliefert.
Ein wichtiger Posten im Betriebskonzept der Jucker Farm sind Events- und Seminare. Je nach Standort stehen Räume für bis zu 400 Personen zur Verfügung. Der grösste, er befindet sich auf dem Hof in Rapperswil-Jona, fasst bis zu 200 Personen. Er wird gerne für Hochzeiten, Familien- und Firmenfeste genutzt. Abgesehen vom Vermieten der Eventräume organisiert die Jucker Farm auch eigene Anlässe wie Spargelschmaus, Apfelsafari, Kürbisausstellung oder Weihnachtsmarkt.
Nicht alle Landwirte rühren als Gastgeber mit so grosser Kelle an. Die Gastgeberinnen von Swiss Tavolata beispielsweise bewirten seit 2014 kleine Gästegruppen von sechs bis acht Personen. Interessierte suchen sich auf der Onlineplattform des Vereins Swiss Tavolata eine Bäuerin oder Landfrau als Gastgeberin aus. Diese bekocht die Gäste mit Lebensmitteln aus der eigenen Produktion oder der Region. Gegessen wird bei der Gastgeberin zu Hause. Sei es in der Küche, der guten Stube, im Garten oder auf der Wiese vor dem Haus. «Nach gut zwei Jahren Betrieb kann Swiss Tavolata eine positive Bilanz ziehen», schreibt der Verein in seiner aktuellen Medienmitteilung. Im Jahr 2016 haben 40 Gastgeberinnen und ein Gastgeber 2340 Gäste bekocht.
2016 hat Swiss Tavolata ein neues Standbein entwickelt: Catering mit Selbstgemachtem vom Bauernhof. Das Interesse sei besonders in städtischen Gebieten gross. Zu den ersten Kunden zählte das Museum für Gestaltung in Zürich.
Essen und Landluft machen bekanntlich müde. Deshalb bieten Bauern auch Logement an. Dies oft in aussergewöhnlichen Unterkünften wie Bauwagen, Tipis und Jurten, im Stall oder, wie in der Bündner Herrschaft, im Weinfass.
Bei einem Landwirt in Jenins und einem Winzer in Maienfeld kann man seit 2014 in Schlaf-Fässern nächtigen. Die fünf 8000-Liter-Fässer sind entweder mit Doppelbetten oder als Aufenthaltsraum und WC ausgestattet. Dank Elektroheizungen können die Fässer das ganze Jahr über vermietet werden. Die Buchungen, das Inkasso und das Marketing laufen über ein externes Sekretariat, so dass die Bauern sich neben ihren eigentlichen Arbeiten nur um die Betreuung der Gäste vor Ort zu kümmern brauchen. Dieser Aufwand ist relativ klein. Zum Gesamterlebnis gehört nämlich, dass sich die Gäste aus den bereitgestellten, regionalen Zutaten ihr Frühstück und Abendessen (Fondue) selber zubereiten.
Die Nacht im Fass kostet je nach Arrangement 90 oder 110 Franken pro Person. Zugegeben, für das Geld könnte der Gast im Heidiland in einem Dreisternehotel logieren. Das Abenteuer, in einem Fass zu nächtigen, und der Luxus, mit Blick auf die Rebberge aufzuwachen, sind ihm das Geld offensichtlich wert. Die Schlaf- Fässer sind 2017 bis auf zwei, drei Daten im Spätherbst bereits jedes Wochenende ausgebucht.
Wie viele Übernachtungen im Agrotourismus erwirtschaftet werden, ist nicht genau eruierbar. Gemäss den Strukturdaten des Schweizer Tourismus-Verbands generiert die Buchungsplattform e-domizil pro Jahr etwa 31 000 Logiernächte allein mit Ferienwohnungen auf dem Bauernhof.
Agrotourismus Schweiz setzt über die eigene Buchungsplattform jährlich etwa 575 000 Franken um. «Wir gehen davon aus, dass nochmals Faktor 2,9 Direktbuchungen bei den Bauernhöfen eingehen. Was einem Umsatztotal von 1,7 Millionen Franken entspricht», sagt Andreas Allenspach, Geschäftsführer von Agrotourismus Schweiz. In diesen Zahlen nicht enthalten sind Direktbuchungen bei den Bauern, die Ferienwohnungen und -häuser sowie alle übrigen Unterkunftsformen wie Schlafen im Stroh, Gruppenunterkünfte, Camping, B & B oder Airbnb anbieten.
Andreas Allenspach hat festgestellt, dass sich in den letzten drei Jahren die Zahl der Buchungen bei Agrotourismus Schweiz erhöht, der Umsatz wegen kürzerer Aufenthaltsdauer aber dennoch zurückgegangen ist. Eine Entwicklung, die auch in der Hotellerie bestens bekannt ist und für die es bisher nur eine Lösung gab. Mehr Gäste akquirieren.
Dies könnte einfacher gelingen, wenn Hotellerie und Landwirtschaft noch besser zusammenarbeiten würden. Zum Beispiel bei der Verpflegung der Gäste. «Wir sind keine Konkurrenz für die Hotels und Restaurants», sagt Andreas Allenspach. Eher das Gegenteil sei der Fall. Gäste, die auf dem Bauernhof übernachten, hätten kein Interesse an einem Hotelzimmer, wohl aber an der Gastronomieküche. Allenspach ist überzeugt: «Niemand mag die ganzen Ferien über nur auf dem Bauernhof essen. Wir sind daher gute Zulieferer von neuen Gästen für die lokalen Restaurants.»
(Riccarda Frei)
Karin und André Wechsler haben sich 2012 auf ihrer Swissfarm in Neuenkirch am Sempachersee einen Traum erfüllt und ein Baumhaus gebaut. Es bietet ein Doppelzimmer, Dusche/WC, Kochnische sowie eine Sofaecke mit TV/DVD, Büchern und Spielen. Die Übernachtung ist ab 110 Franken pro Person zu haben. Das Frühstück ist im Preis inbegriffen. <link http: www.wurzelbaumhaus.ch>www.wurzelbaumhaus.ch
Wandern mit Lamas, Ziegen, Eseln und Kamelen bieten verschiedene Bauern an. Bei Heinz und Doris Morgenegg vom Bolderhof in Hemishofen/SH steht die Kuh im Mittelpunkt und zwar als Reit- und Zugtier. Beim kleinen Kuhtrekking dauert der geführte Ausritt 1,5 Stunden, die längere Trekkingtour ist ein Halbtagestrip. Kuhtrekkings kosten je nach länge 95 oder 150 Franken. In der langen Tour ist ein Bio-Imbiss enthalten. Wer lieber fährt als reitet, der kann sich in einem Holzwagen mit Kuhgespann durch die Rheinlandschaft nordwestlich von Stein am Rhein kutschieren lassen. <link http: www.bolderhof.ch>www.bolderhof.ch
Fabienne und Erwin Toppeler-Neuhauser betreiben Rinderaufzucht, Obstanbau und Ackerbau, halten Schafe und bieten auf ihrem Hof Wellness an. Auf ihrer Wellnessfarm sind Sprudelbäder, diverse Massagen, darunter Fruchtstempel- und Kräuterstempelanwendungen, sowie manuelle Therapien als Einzelbehandlungen oder im Package mit Übernachtungen erhältlich. <link http: www.wellnessfarm.ch>www.wellnessfarm.ch