Berufstätige Eltern brauchen nicht nur eine Menge Organisationstalent, Flexibilität und starke Nerven. Im Beruf wie auch in der Familie müssen Bedürfnisse, Aufgaben und Zuständigkeiten immer wieder neu verhandelt werden.
Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, ist für die meisten Eltern ein schwieriges Unterfangen. Oft verzichten Frauen zugunsten der Kinder auf eine berufliche Karriere. Jedoch ist es für die ganze Gesellschaft von Vorteil, gut ausgebildete Mütter im Arbeitsmarkt zu halten. Die systemische Beraterin Sophie Aegerter zeigt Wege auf, wie das Nebeneinander von Beruf und Familie gelingen kann.
Sophie Aegerter, warum sind es oft Mütter, die ihr Arbeitspensum nach der Familiengründung reduzieren?
Viele Frauen fühlen sich verpflichtet, für die Kinder da zu sein. Das hat auch biologische Gründe. Nach der Schwangerschaft, der Geburt und dem Stillen sind die Bande zum Kind eng. Ausserdem herrscht in der Schweiz immer noch ein traditionelles Rollenbild. Die Mutter schaut für alle, der Vater ist der Ernährer. Das spiegelt sich auch in der vom Staat finanzierten Elternzeit wider. Mütter erhalten vierzehn Wochen, Väter zwei.
Was sollte man beachten, wenn man eine Familie gründet und berufstätig bleiben möchte?
Die Voraussetzungen sind für die Familien sehr unterschiedlich. Rahmenbedingungen der Arbeitgeber wie Einkommen und Arbeitszeiten beeinflussen den Handlungsspielraum für die Vereinbarkeit. Es lohnt sich für Eltern, vor der Familiengründung, aber auch danach, in regelmässigen Abständen das gelebte Familienmodell zu überprüfen und bei Bedarf neu zu verhandeln.
Was meinen Sie damit?
Mit der Entwicklung des Kindes verändern sich Aufgaben und Bedürfnisse in der Familie. Dann sollten die Eltern die Aufteilung von bezahlter Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung, Haushalt, Arbeit im Gemeinwesen und von persönlicher Erholung von neuem ausdiskutieren. Wichtig ist, Abmachungen für eine begrenzte Zeit zu vereinbaren. Dann kann man als Paar die Situation wieder neu analysieren und gemeinsam schauen, wo Anpassungen nötig sind. Die Familiensituation in Phasen aufzuteilen, verspricht mehr Erfolg. Für die Person, die zurücksteckt, ist die Zeit bis zu einem Wechsel eher absehbar.
Was können Arbeitgeber tun?
Die Mitarbeitenden sollten mehr Mitspracherecht beim Erstellen der Dienstpläne haben, um den unterschiedlichen Familienmodellen gerecht zu werden. Und auch Arbeitsmodelle sollte man laufend neu überprüfen. Ich staune immer wieder, was möglich ist, wenn Eltern ihre Bedürfnisse mit dem Arbeitgeber verhandeln. Vor allem in Branchen mit Fachkräftemangel sind die Erfolgschancen gross. Viele Arbeitgeber können es sich gar nicht mehr leisten, nicht auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen.
Was kann der Staat tun, damit mehr Frauen mit Kindern im Berufsleben bleiben?
In der Schweiz sind Familien zu sehr Privatsache. Der Einstieg ins Familienleben ist entscheidend. In dieser Zeit benötigen die Familien viel Unterstützung. Daher wären im ersten Jahr längere Elternzeiten wünschenswert. In nördlichen Ländern haben die Eltern viel länger die Möglichkeit, sich an die neue Situation zu gewöhnen und steigen dann in einem höheren Pensum wieder in den Beruf ein. Zudem sollte die Kinderbetreuung für alle bezahlbar sein.
Warum bedeuten Kinder oft einen Rückschritt auf der Karriereleiter?
In vielen Köpfen steckt immer noch fest, dass ein Chef hundert Prozent arbeiten muss. Wenn man als Arbeitgeber jedoch eine Kaderstelle unter zwei Personen aufteilt, kann man auf viel mehr Kompetenzen zurückgreifen. Auch hierbei gilt, dass Arbeitsmodelle nicht in Stein gemeisselt sein sollten.
Was tut man gegen das schlechte Gewissen gegenüber den Kindern, dem Partner und dem Arbeitgeber?
Das schlechte Gewissen kennen viele, die Kinder haben. Auch wenn man nahezu perfekt organisiert ist, kommt man um das schlechte Gewissen oft nicht herum. Man wird immer wieder mit Erwartungen konfrontiert, die sich nicht alle erfüllen lassen. Ich finde es wichtig, dass insbesondere Mütter wissen, dass sie mit ihren Gefühlen nicht allein sind. Die traditionellen Rollenbilder in unserer Gesellschaft sind mit ein Grund für die Erwartung an sich selbst, alles unter einen Hut bringen zu müssen.
Was heisst das konkret?
Eine Familie ist wie eine Firma, es braucht Koordination, Kommunikation und viel Planung. Die Gefahr auszubrennen ist bei berufstätigen Eltern gross. Um gesund zu bleiben, sind Freiräume für Erholung wichtig. Das gelingt, wenn Bedürfnisse, Aufgaben und Zuständigkeiten immer wieder überprüft und bei Bedarf neu verhandelt werden.
(Daniela Oegerli)
77,8 Prozent
der erwerbstätigen Mütter mit jüngstem Kind unter 15 Jahren sind in einem Teilzeitpensum tätig. Demgegenüber sind 46,9 Prozent der Frauen ohne Kinder in Teilzeit tätig. Gemäss dem Bundesamt für Statistik nahm der Beschäftigungsgrad in den letzten Jahren zu. Die Anzahl der Mütter, welche weniger als 50 Prozent beschäftigt sind, sank in den letzten dreissig Jahren von 51,3 Prozent auf 33,4 Prozent.
In Schweden erhalten beide Eltern gemeinsam 16 Monate bezahlte Elternzeit. Jeweils 90 Tage muss jeder Elternteil für sich beziehen. Die restlichen 300 Tage können frei aufgeteilt werden.
9,6 Stunden
mehr als Männer leisten Frauen im Durchschnitt wöchentlich an Haus- und Familienarbeit.
Frauen nennen als häufigsten Grund für die Teilzeiterwerbstätigkeit die Kinderbetreuung, bei Männern ist es die Aus- und Weiterbildung.
18 Prozent
Der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern ist von 19 Prozent im Jahr 2018 um 1 Prozent auf 18,0 Prozent im Jahr 2020 gesunken.
«Ich wusste, dass meine Zeit wiederkommen wird.»
Rita Miggiano führt zusammen mit ihrem Mann Domenico seit fast 25 Jahren den gemeinsamen Betrieb. Sie haben zwei erwachsene Söhne. «Mein Mann und ich unterstützen uns seit jeher gegenseitig», sagt die Gastgeberin. Ein grosser Vorteil sei, dass sich die Familienwohnung im selben Haus wie das Restaurant befindet. Als die Söhne noch klein waren, wurden sie in der Kinderkrippe oder von einer Tagesmutter betreut. Auch wenn sie selber oft zurückstecken musste, standen die Kinder immer an erster Stelle. «Ich wusste, dass meine Zeit wiederkommen wird.» In ihrem Team arbeiten viele Mütter. «Ich achte darauf, dass sie ein genügend hohes Pensum arbeiten, damit sie in die Pensionskasse einzahlen können.» Wichtig sei für beide Seiten, dass man miteinander spricht und passende Lösungen findet. «Denn wir verzichten sehr ungern auf das Wissen ausgebildeter Fachkräfte.»
«Man muss den Mitarbeitenden zeigen, dass es funktioniert.»
Letizia Elia hat einen knapp drei Jahre alten Sohn. Seit September 2022 ist sie Direktorin von Basel Tourismus. An einer Diskussionsrunde an der Igeho 2023 erklärte sie, wie sie ihre Familie und den anspruchsvollen Beruf unter einen Hut bringt. «Diverse Teams sind performanter, daran glaube ich fest. Damit dies funktioniert, braucht es neue Rollenmodelle, die aufzeigen, dass man Familie und Karriere vereinbaren kann.» Gleichzeitig sollte man damit verbundene Herausforderungen nicht verstecken, sondern damit offen umgehen. Basel Tourismus bietet seinen Mitarbeitenden flexible Arbeitszeiten sowie bis zu zwölf Monate unbezahlte Elternzeit an. «Solche Möglichkeiten schaffen mehr Verbundenheit mit dem Arbeitgeber», ist die 40-Jährige überzeugt. Sie findet auch, dass es positiv für die Gesellschaft ist, wenn beide Elternteile arbeiten.
«Für mich und meinen Mann ist der Mix im Team entscheidend.»
Sandra Schmidt und ihr Mann Christoph haben drei Kinder im Teenageralter. «Die ersten Jahre war der Spagat zwischen Arbeiten und Familie sehr gross. Mein Mann hatte bis letztes Jahr eine leitende Funktion in einem anderen Unternehmen.» Sie hatten das grosse Glück, dass Sandras Schwiegermutter mit im Haus wohnte und ihnen so oft wie möglich unter die Arme griff. Heute führen sie und ihr Mann den Betrieb gemeinsam. Sandra versucht immer, für sich selber Zeit einzuräumen. Sie stehe am Morgen sehr früh auf und nutze diese Zeit für Dinge, die ihr guttun. In ihrem Team arbeiten heute einige Mütter. «Für mich und meinen Mann ist der gute Mix entscheidend.» Es gebe Menschen, die ungebunden und flexibel sind, andere durch ihre familiäre Situation nicht. Das berufliche Engagement der Mütter müsste finanziell jedoch besser abgesichert werden. «Wer Teilzeit arbeitet, hat oft das Nachsehen.»
«Die Qualität der Zeit mit den Kindern ist relevant, nicht die Dauer.»
Jonas Gass hat einen knapp zwei Jahre alten Sohn. Zum einen wird er in der Kita betreut, und manchmal nimmt Jonas Gass ihn mit ins Nomad-Hotel. «Dadurch, dass ich nicht operativ tätig bin, ist es für mich möglich, meinen Sohn mit in den Betrieb zu nehmen.» Er sieht sich in erster Linie als Vater und will es auch seinen Mitarbeitenden möglich machen, ihre Kinder mit ins Hotel nehmen zu können. «Die Gründer der Krafft-Gruppe haben ihre Kinder auch mit in den Betrieb genommen. Aus meiner Sicht muss dies möglich sein.» Als Arbeitgeber müsse man zusammen mit den Mitarbeitenden verschiedene Arbeitsmodelle testen und schauen, welche am besten funktionieren. Denn die Qualität der Zeit, die man mit den Kindern verbringt, ist für sie relevant, nicht die Dauer.