Der Klimawandel stellt die Schweizer Landwirtschaft vor zahlreiche Herausforderungen. Ein ganzer Wirtschaftssektor befindet sich im Umbruch. Kleine und grosse Projekte suchen nach neuen Ansätzen, erkunden die Möglichkeiten der Digitalisierung oder erschliessen neue Einkommensquellen.
Zu viel Regen drückt die Ernteerwartungen für 2024 – so schrieb es der Lebensmittelhersteller Hilcona vor einigen Wochen in einer Mitteilung. Er korrigiert die Ernteerwartungen für dieses Jahr nach unten. In trocknen Jahren gebe es die Möglichkeit zur Bewässerung, doch der Nässe könne man nicht immer Herr werden, sagt der Leiter Agrar Andreas Messerli.
Für die Landwirte ist die Unsicherheit gross. Nicht nur in diesem Jahr. Der Klimawandel führt häufiger zu Extremwetterlagen und verstärkt bestehende Probleme wie Pilzkrankheiten oder Schädlinge. Es müssen Lösungen her. Genau damit befasst sich das landwirtschaftliche Forschungszentrum Agroscope. Projektleiterin Annelie Holzkämper erzählt im Interview, wie es um die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft bestellt ist.
(Alice Guldimann)
Annelie Holzkämper: Die zunehmende klimatische Variabilität und häufigere Extreme bei Trockenheit und Niederschlägen führen zu grosser Planungsunsicherheit. Je unberechenbarer die klimatischen Bedingungen, desto grösser werden auch die Risiken von Produktivitätsverlusten. Zumindest, wenn diese nicht durch geeignete Anpassungsmassnahmen abgefedert werden.
Steigende Temperaturen führen vermehrt zu Pflanzenschutzpro-blemen. Es gibt mehr Insektenschädlinge; in Jahren mit vielen Niederschlägen wie in 2021 oder auch in diesem Jahr ist der Krankheitsdruck hoch. Durch direkte Stressfaktoren wie Hitze und Trockenheit sind Pflanzen gleichzeitig anfälliger und können Schädlingen und Krankheitserregern weniger entgegensetzen.
Über die letzten Jahrzehnte sind die Temperaturen überall signifikant angestiegen. Die Folgen sind für Landwirte spürbar: Kulturen und Sorten mit höheren Wärmeansprüchen gedeihen inzwischen in der Schweiz. In höheren Lagen steigt die Produktivität im Futterbau an, sofern Trockenheit noch keine entscheidende Rolle spielt. Im Mittelland führen Trockenperioden dagegen schon heute regelmässig zu Produktivitätseinbussen. Bewässerungsverbote wegen der Niedrigwasserstände können gravierende Folgen für die Landwirtschaft haben.
Annelie Holzkämper,Projektleiterin Agroscope
Die Effizienz der Wassernutzung kann durch verschiedene technische Massnahmen erhöht werden: Nächtliche Bewässerung oder Mulchen – wobei der Boden mit organischem Material bedeckt wird – reduziert zum Beispiel unproduktive Verdunstung. Bodenfeuchtesensoren und andere Entscheidungshilfen können für eine effiziente Bewässerung sorgen. Auch die Funktion des Bodens als Wasserspeicher lässt sich stärken, zum Beispiel durch Humusaufbau oder eine möglichst permanente Bodenbedeckung durch Pflanzen. So wird der Bedarf an Zusatzbewässerung reduziert.
Dass einzelne Kulturen in der Schweiz in Zukunft gar nicht mehr angebaut werden können, ist grundsätzlich nicht zu erwarten. Allerdings ist für viele Kulturen auch in der Schweiz mit Ertragsreduktionen zu rechnen, sofern keine Massnahmen getroffen werden. Zum Beispiel kann man auf Sorten und Züchtungen setzen, die klimaresistenter sind.
Im Sinne einer Anpassung an zunehmende klimatische Variabilität würde es vor allem Sinn machen, das Spektrum möglichst breit zu halten. Witterungsex-treme wirken sich sehr unterschiedlich auf einzelne Kulturen und Sorten aus, weil sich An-bauphasen und Anfälligkeiten gegenüber einzelnen Stressoren wie Hitze, Frost, Trockenheit und Extremniederschlag zwischen den Kulturen und teilweise auch den Sorten stark unterscheiden. Je diverser ein Produktionssystem auf-gebaut ist, desto besser können die Auswirkungen einzelner Extremereignisse abgefedert werden. Das Ziel sollte also nicht darin liegen, einen neuen Fokus zu finden, sondern das Spektrum der Anbaumöglichkeiten auszuweiten.
Es gibt hier sehr viele Möglichkeiten. Smarte Entscheidungsunterstützungstools, die meteorologische Informationen mit Feld- und Bewirtschaftungsdaten verknüpfen, haben meiner Ansicht nach ein grosses Potenzial zur Steigerung der Effizienz in der Wassernutzung und auch für andere Mög-lichkeiten der Anpassung.
Die Landwirte haben eine hohe Eigenmotivation, angesichts des fortschreitenden Klimawandels nach Lösungen zu suchen. Risiken bestehen potenziell, wenn jeder für sich allein denkt und plant und das Gesamtsystem dadurch allgemein an Nachhaltigkeit verliert. Ein Beispiel dafür wäre ein Ausbau der Bewässerungsinfrastruktur: Wenn es alle machen und gleichzeitig die Ressourcenverfügbarkeit unsicherer wird, können sich in sensiblen Gebieten Nutzungskonflikte ergeben. Eine weitsichtige und integrierte Betrachtung ist dabei bei der Planung von strukturellen Anpassungsmassnahmen von entscheidender Bedeutung.
Landwirte reagieren fortwährend auf den Klimawandel, denken über Anpassungen nach und erproben die Umsetzung. Besser unterstützt wären sie dabei durch mehr Bildungsangebote und Platt-formen zum Erfahrungsaustausch. Auch durch finanzielle Anreize könnte die Innovationsfreude stärker gefördert werden, sodass Wissen und Erfahrungen im Umgang mit angepassten Bewirtschaftungsformen schneller erlangt und verbreitet werden können.
(Alice Guldimann)
Annelie Holzkämper ist Leiterin des Projekts Klimadapt bei Agroscope, dem Landwirtschaftlichen Forschungszentrum des Bundes. Das Projekt hat zum Ziel, das Wissen über Klimarisiken in der Schweizer Landwirtschaft auszubauen und Anpassungsmöglichkeiten zu identifizieren.
Über Jahrhunderte wurden in den Bergen Getreide und Hülsenfrüchte zur Selbstversorgung angebaut. So lange, bis diese dem Grünland für die Tiere weichen mussten. Die Versuchsstation Berg- und Alplandwirtschaft will den Alp-Ackerbau wiederbeleben. Das Projekt «Ackerbau in Berggebieten», das von Agroscope koordiniert wird, startete in diesem Frühling im Wallis und in Graubünden. Verschiedene Partnerbetriebe bauen wieder Roll- oder Perlgerste, Braugerste, Ackerbohnen und Lupinen an. Diese werden zu hochwertigen Lebensmitteln verarbeitet. Zum Beispiel entsteht Brot aus den Ackerbohnen und lokalem Getreide sowie Käse aus Milch und Lupinen. Ziel ist ausserdem, regionale Kooperationen zu stärken und einen grossen Teil der Wertschöpfung im Berggebiet zu halten. Auch Partner aus der Gastronomie und dem Tourismusbereich engagieren sich für dieses Projekt.
Ferien auf dem Bauernhof: Ein Konzept, das für Bauernbetriebe eine zusätzliche Einkommensquelle bedeutet und für die Gäste einen Bezug zur Landwirtschaft, zu den Lebensmitteln und zur Natur herstellt. Der Verein «Agrotourismus Schweiz» vereint als aktuell grösste nationale Organisation über 320 Anbieter. Ein besonderes Augenmerk auf den Agrotourismus legt derzeit die Biosphäre Entlebuch. Anfang August gab die Lebensraumorganisation eine Karte mit allen Angeboten in der Region heraus, im Rahmen eines Projekts wurden ausserdem zehn Betriebe beim Einstieg in den Agrotourismus beraten und unterstützt. Sandro Bucher, Leiter Tourismus und Mobilität bei der Biosphäre Entlebuch, sieht darin ein grosses Potenzial: «Der Agrotourismus fördert den gesellschaftlichen Austausch zwischen Produzenten und Konsumenten und bietet ein authentisches Erlebnis.»
Auch 2024 macht das Wetter den Kartoffelproduzenten zu schaffen. Der regnerische Frühsommer begüns-tigte die Kraut- und Knollenfäule, die ohne regelmässigen Fungizideinsatz die ganze Ernte zerstören kann. Eine jüngst veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass mit Züchtungen, die gegen die Pilzkrankheit robust sind, bis zu 75 Prozent weniger Fungizid nötig sind. Darunter fallen die Sorten Vitabella und Emanuelle. Die Branchenorganisation Swisspatat will den Anteil robuster Sorten bis 2040 auf 80 Prozent erhöhen. Laut Geschäftsführer Christian Bucher dürfte zum Beispiel die Sorte Bintje, die sehr anfällig für Kraut- und Knollenfäule ist, bei nachlassender Nachfrage nicht mehr angebaut werden. Doch die Etablierung neuer Sorten ist nicht einfach: 12 bis 15 Jahre dauere es von Züchtungsbeginn bis zum Markteintritt, noch erfüllten wenige Sorten die Anforderungen. Bis dahin empfiehlt Swisspatat den Produzenten, Krankheitsprognosemodelle zu nutzen. «Diese helfen den Landwirten, den Fungizideinsatz in ihren Kulturen zu optimieren.»
Graubünden soll der erste Kanton sein, der seine Lebensmittel komplett klimaneutral produziert. So die Vision des Projekts «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden». Akteure der Bündner Landwirtschaft haben es initiiert, der Kanton finanziert es. 52 Betriebe beteiligen sich am Projekt, das 2021 in die Pilotphase startete und zehn Jahre dauern soll. Sie testen unterschiedlichste Ansätze, wie sie klimafreundlich wirtschaften können. Ein Landwirt aus dem Val Lumnezia plant den Bau eines Retentionsweihers, um besser gegen die zunehmende Sommertrockenheit gewappnet zu sein. Einige Betriebe gründeten einen regionalen Gemüse-Lieferdienst, wieder andere wollen energieautark werden, auf Futterzukäufe verzichten oder die Bodengesundheit verbessern. 2026 geht das Projekt von der Pilot- in die Expansionsphase: Massnahmen, die sich bewährt haben, sollen dann auf die gesamte Bündner Landwirtschaft ausgedehnt werden.