Die Schweizer Landwirtschaft soll Tier- und umweltfreundlicher werden. Dafür müsste sich einiges ändern – vor allem beim Konsum.
Wie sieht eine Landwirtschaft aus, die an die Herausforderungen des Klimawandels angepasst ist und gleichzeitig einen hohen Tierwohlstandard gewährleistet? Mit dieser Frage beschäftigten sich die Teilnehmenden der diesjährigen Nutztiertagung des Schweizer Tierschutz STS.
«Eine zukunftsfähige Landwirtschaft braucht radikale Veränderung», argumentiert zum Beispiel Philipp Ryf. Er ist Geschäftsleiter des Vereins Sentience Politics, der sich politisch für die Rechte von Tieren stark macht. Die Klimafreundlichkeit des gesamten Sektors hänge von den Nutztierbeständen ab. Unter anderem weist er auf die Futtermittelimporte von rund einer Million Tonnen hin. «Wir bräuchten fast eine zweite Schweiz, um solche Mengen im Inland anbauen zu können», sagt Ryf.
In einem ersten Schritt soll die Nutztierhaltung gemäss Ryf auf eine reine Weidehaltung reduziert werden – auf Naturwiesen, die sich nicht für Ackerbau eignen und auf denen Wiederkäuer Gras veredeln. «Das würde bedeuten, dass wir noch rund ein Drittel der heutigen Eier- und Fleischmenge konsumieren könnten.»
Langfristig führt laut Ryf aber der Weg zur sogenannten postletalen Landwirtschaft, die auf das Töten von Tieren komplett verzichtet. «Sowohl aus Gründen der Nachhaltigkeit als auch aus moralischer Sicht ist die Tierproduktion kein zukunftsfähiges Modell.»
Eine Zukunft, in der die Nutztierhaltung noch Platz hat, sieht derweil Urs Niggli, Agrarwissenschaftler und Präsident des Instituts für Agrarökologie Schweiz. «Ohne die Nutzung des Graslandes durch Wiederkäuer könnte die Protein- und Energieversorgung der wachsenden Menschheit niemals sichergestellt werden», sagte Niggli. In veganen Szenarien gehe gerne die nicht essbare Biomasse wie die Schalen von Getreide oder Presskuchen von Ölpflanzen vergessen. Diese Nebenprodukte könnten zu Kraftfutter verarbeitet werden. Auch der Anbau von Futterpflanzen mache Sinn, weil diese die Fruchtfolge entlasten und die Bodenstruktur massiv verbessern würden. Da Fleisch hochwertige Proteine liefere, sieht Niggli gerade Wiederkäuer als Teil eines nachhaltigen Ernährungssystems. Trotzdem müsse der Fleischkonsum um 50 bis 80 Prozent sinken.
Ein Beispiel aus der Praxis stellte Marlen Koch-Mathis vom Bauernhof Obermettlen in Root/LU vor. Mit ihrem Partner hat sie einen Betrieb aufgebaut, der mittels graslandbasierter Rindfleischproduktion Ressourcen schont und wo das Tierwohl an erster Stelle steht. «Das verfügbare Futter auf der Obermettlen gibt vor, wie viele Tiere bei uns leben.»
Aktuell sind es fünf Mutterkühe mit Jungtieren. Deren Fleisch gelangt über ein eigenes Marktsystem an den Kunden. So erhält jedes Tier bei der Geburt acht Paten, die es auf dem Hof kennenlernen können und nach der Hofschlachtung ein Mischpaket mit Fleisch erhalten. Für 10 bis 13 Kilo Fleisch zahlen die Paten 730 Franken. «Der Kontakt fördert einen bewussten Fleischkonsum», so Koch-Mathis. «Für uns war nie die Frage, ob Nachhaltigkeit und Tierschutz vereinbar sind, sondern wie.»
(Alice Guldimann)