Er ist aus der Gastronomie nicht wegzudenken: der Horgen-Glarus-Stuhl. Das Modell Classic aus dem Jahr 1918 steht bis heute in so manchem Schweizer Restaurant. Was macht ihn so erfolgreich?
Man schrieb das Jahr 1880. Konrad Duden veröffentlichte im Königlichen Gymnasium in Hersfeld (DE) das erste Rechtschreibwörterbuch. In Köln wurde der Dom fertig erstellt und im Bahnhofbuffet Olten der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB ins Leben gerufen.
Es ist auch das Gründungsjahr der heute ältesten, noch fabrizierenden Stuhl- und Tischmanufaktur, der Horgenglarus. Gründer Emil Baumann legte damals in Horgen/ZH den Grundstein zur Möbelmanufaktur. 1902 kam der Werkstandort Glarus dazu, wo bis heute in Handarbeit fabriziert wird. Auf der Referenzliste des Unternehmens stehen zahlreiche Gastronomiebetriebe und Hotels, verteilt auf die ganze Schweiz: vom Hotel Krafft in Basel über das Restaurant Bärengasse in Zürich bis zum Jugendstilhotel Pax Montana in Sachseln/OW, vom Hotel Saratz in Pontresina/GR über das Klausenpasshotel in Unterschächen/UR bis zum Restaurant Löwengarten in Rorschach/SG.
Doch nicht nur Schweizer Restaurantgäste sitzen auf Horgenglarusstühlen, auch im Ausland gibt es zahlreiche Betriebe, die auf Produkte aus dem Glarnerland schwören. So stehen Modelle im New Yorker Hotel Chrystie, im Restaurant Mural in München oder im The Marshall House im isländischen Reykjavík.
Um 1900 entstand die Bugholztechnik in Deutschland sowie in Österreich. Emil Baumann griff diese Verarbeitungsmethode auf und entwickelte sie weiter. Bei dieser Technik wird das Holz in heissem Wasserdampf geschmeidig gemacht, in Form gebogen und über mehrere Tage getrocknet. Der Standort Glarus spezialisierte sich fortan auf Möbelstücke mit gebogenem Holz, während der Horgener Betrieb sich auf gesägte Stühle spezialisierte.
Das Ergebnis dieser Bugholztechnik ist der so genannte Beizenstuhl. Lanciert wurde er im gleichen Jahr, wie der Erste Weltkrieg zu Ende ging: 1918. Der Zweite Weltkrieg machte dann eine Zusammenlegung der beiden Standorte nötig. Übrig blieb die Fabrikation in Glarus, wo bis zum heutigen Tag bis zu 120 Mitarbeitende beschäftigt sind.
Für die Produktion der Möbelstücke setzt das Unternehmen bis heute auf den Rohstoff Holz, der vorwiegend aus dem Schweizer Jura bezogen wird.
Seit der Ära Ernst Anton Kadler-Vögeli, der das Unternehmen von 1926 bis 1946 führte, setzt Horgenglarus auf die Zusammenarbeit mit Gestaltern. Waren es zu Kadler-Vögelis Zeiten Max Ernst Haefeli und Werner Max Moser sowie später Max Bill und Hans Bellmann, so sind es in darauffolgenden Jahrzehnten Architekten wie Herzog & de Meuron, David Chipperfield und Max Dudler. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist eine Vielzahl an schlichten, formschönen Stühlen, Tischen und Barhockern.
(Ruth Marending)