Das Unterengadin präsentiert sich als Vorzeigedestination, wenn es um nachhaltigen Tourismus geht. Ein natur- und kulturnahes Angebot ist dabei nicht nur zeitgemäss, sondern auch wirtschaftlich interessant.
Die Ferienregion Engadin Samnaun Val Müstair hat als eine der ersten Schweizer Destinationen auf Nachhaltigkeit gesetzt. Dies begann vor rund 100 Jahren mit der Gründung des Schweizerischen Nationalparks. Ihre Vorreiterrolle nimmt die Tourismus Engadin Scuol Samnaun Val Müstair AG (TESSVM) bis heute wahr.
Martina Stadler, Direktorin der TESSVM, erklärt: «In unserer Ferienregion leben wir Nachhaltigkeit bewusst in allen drei Dimensionen. Ökologisch, indem wir die intakte Natur- und Kulturlandschaft schützen; gesellschaftlich über die Pflege der regionalen Baukultur, Traditionen, Brauchtümer sowie der rätoromanischen Sprache; und wirtschaftlich, indem wir regionale Produkte und heimische Anbieter fördern.» All diese Angebote fliessen ins touristische Angebot mit ein, welche die AG laufend ausbaut. Seit diesem Juni ist beispielsweise eine Mineralwasserpauschale buchbar, welche unter anderem eine Führung mit einer Expertin sowie eine Degustation mit Wassersommelière Claudia Vontobel beinhaltet. Damit sowie mit drei Mineralwasserwegen macht die Gemeinde Scuol ihr Alleinstellungsmerkmal – ihre 20 Mineralquellen – nachhaltig und vielseitig erlebbar.
«Das Thema Nachhaltigkeit hat grosses Entwicklungspotenzial», erläutert Yvonne Schuler, Produktmanagerin Natur und Nachhaltigkeit der TESSVM. Die Destination will Nachhaltigkeit auf Touren erlebbar machen. Deshalb entwickelte sie mit Hochschulen sowie in Mandaten – etwa mit der Stiftung Pro Terra Engiadina – zahlreiche neue Angebote. Organisation und Umsetzung der geführten Wanderungen, Exkursionen und Workshops mit Naturexperten liegen bei «Pro Terra Engiadina». «Mit unserer gelebten Nachhaltigkeit sind wir anderen Destination voraus. Wir profitieren jetzt von dieser Positionierung und können dank unseres natur- und kulturnahen Tourismus aus dem Vollen schöpfen», so Yvonne Schuler.
Doch die Umsetzung berge auch Herausforderungen. Wichtig sei, die Nachhaltigkeitsmassnahmen in der Strategie zu verankern und dafür fixe finanzielle wie auch personelle Ressourcen bereitzustellen. Bei der klimaneutralen Unternehmung TESSVM seien zwei Personen mehrheitlich mit dem Thema beschäftigt. Um eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen, werden in der Destination Ganzjahresstellen gefördert, langfristige Investitionen getätigt sowie lokale Anbieter bevorzugt. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Natur und Kultur versteht sich von selbst. Denn eine intakte Natur- und Kulturlandschaft dient dem Tourismus als Kapital. Traditionen und Brauchtum bieten spezielle Erlebnisse und verbinden Gäste und Einheimische, was wiederum die Tourismusakzeptanz bei den Engadinern fördert.
Eine Zusammenarbeit mit Partnern sei sehr wichtig. Yvonne Schuler rät, Kooperationen einzugehen. So hat die TESSVM beispielsweise Angebote mit Pro Terra Engiadina und dem WWF aufgegleist. Diese beinhalten Team- oder Arbeitstage für Firmen, an welchen Bewässerungsgräben geputzt oder Trockensteinmauern gepflegt werden. Private können in einfachen Maiensässen übernachten, welche die Stiftung laufend instand stellen lässt. Für die Verpflegung sorgen Bauern und Käser aus der Nähe. «Menschen, die das Naturnahe suchen, stellen eine eigene, wachsende Gästegruppe dar», weiss Yvonne Schuler. Dieses Angebot gibt’s freitags oder montags, damit möglichst Zusatznächte übers Wochenende gebucht werden.
Weitere Kooperationen bestehen mit dem öffentlichen Verkehr sowie den Bergbahnen. Denn ein Dreh- und Angelpunkt des nachhaltigen Tourismus ist die Mobilität. Ab Dezember können alle Gäste den öffentlichen Verkehr gratis nutzen. Finanziert wird dies über die Kurtaxe, was erst zu politischen Diskussionen geführt hat. Die klimafreundliche Mobilität forciert das Val Müstair überdies mit einem mietbaren Elektroauto. «Wir wollen die nachhaltige Entwicklung im Tal voranbringen. Diese Aufgabe kann der Naturpark Val Müstair aber nicht alleine erbringen, sondern er benötigt Partner, welche sich zu den Werten des Naturparks bekennen, diese leben und an die Gäste weitergeben», so Aline Oertli, Leiterin Angebotsentwicklung im Biosfera Val Müstair.
Diese Partner können unter anderem Produzenten, Restaurants oder Hotels sein, die sich zum Beispiel auf der kulinarischen Schatzsuche präsentieren. «Mit diesem Angebot zeigen wir jährlich rund 500 Gästen, dass nachhaltig produzierte Regionalprodukte zum Erhalt der wunderschönen Landschaft beitragen und die lokale Wirtschaft stärken», so Aline Oertli. Die kulinarische Schatzsuche ist das meistgebuchte Angebot im Tal.
Wie gut Nachhaltigkeit schmecken kann, erleben die Gäste in den neun Partnerhotels des Naturparks. Diese Betriebe haben sich unter anderem verpflichtet, ein Biosfera-Genussmenü anzubieten, dessen Zutaten zu 80 Prozent aus Lebensmitteln aus dem Val Müstair bestehen. Im Hotel Al Rom in Tschierv/GR wird als Vorspeise Paneer Al Rom, ein indischer Frischkäse, hausgemacht aus Biomilch von der Chascharia Val Müstair, serviert. Zum Hauptgang ist ein Rinds-Flankensteak vom Hof Sur Fuldera an einer hausgemachten Miso-Sauce mit «Soba Noodles» und saisonalem Gemüse im Angebot. Die Nudeln aus der japanischen Küche sind hausgemacht aus Buchweizenmehl von Gran Alpin, einem biologischen Berggetreide aus Graubünden. Crème brûlée und Käse werden aus heimischer Milch und Eiern produziert.
«Dieses Menü wird gerne bestellt und zeigt, dass die Gäste an einer regionalen und nachhaltigen Kulinarik interessiert sind», so Aline Oertli. Verschiedene zertifizierte Produkte aus diesem Naturpark sind im Coop erhältlich. Das Biosfera-Menü ist nur ein Punkt, den die Naturpark-Partnerbetriebe erfüllen sollten. Ausgehend von einem fiktiven Best-Practice-Hotel sollten sie mindestens 60 Prozent an nachhaltigen Kriterien erfüllen. Damit die Betriebe in den nächsten Jahren an ihrer nachhaltigen Ausrichtung dranbleiben und sich in diesem Bereich weiterentwickeln, erarbeiten externe Expertinnen nach einem Partnerschaftsaudit massgeschneiderte Aktionspläne. Übergreifend bekennen sich die Partnerhotels zu Botschaftern für die Grundsätze der sieben Zielbereiche des Naturparks und engagieren sich mit ihm für eine nachhaltige Entwicklung des Val Müstair. So sollen Umweltbelastungen reduziert werden etwa durch ökologische Waschmittel. Weiter sollen die Gastgeber bestrebt sein, regionaltypische Urlaubserlebnisse anzubieten. Sie können zum Beispiel auf die vielen wilden Orchideensorten im Tal hinweisen. Zudem sollen die Mitarbeitenden befriedigende Arbeitsverhältnisse haben. Zusätzlich zum massgeschneiderten Aktionsplan erhalten die Naturpark-Betriebe durch die Destination bessere nationale Sichtbarkeit, und ihre Gäste können ausgewählte Biosfera-Anlässe kostenlos besuchen.
All diese Massnahmen im Unterengadin und im Val Müstair zeigen Wirkung. So anerkennt nicht nur die Unesco das Engagement für einen nachhaltigen Tourismus. Neben dem Biosphärenreservat-Label zeichnet das Nachhaltigkeitsprogramm Swisstainable des Schweizer Tourismus die Ferienregion Engadin Samnaun Val Müstair mit der höchsten Einstufung auf Level 3 aus. Als erste Destinationsmanagement-Organisation der Schweiz strebt die TESSVM nun zusätzlich die Zertifizierung durch Tourcert an. Dieses System ist darauf ausgerichtet, sämtliche Tourismusaktivitäten der Destination auf ihre Umwelt-, Ökonomie- und Sozialwirkung zu überprüfen und damit zukunftsfähig zu machen.
(Sarah Sidler)
Kräuter- und Pflanzenwanderung
Zusammen mit der Kräuterfachfrau Carolina à Porta tauchen Interessierte in die vielfältige Welt der genussvollen Wildkräuter und wertvollen Heilpflanzen ein. Dabei lernen sie in Ftan auch deren Verwendungsmöglichkeiten kennen. www.engadin.com/de/wildkraeuter-workshop
Engadiner Scraffito selber machen
Die schönen Verzierungen an den alten Engadinerhäusern sind weltbekannt. Beim Künstler Josin Neuhäusler können solche Sgraffiti in einem Kurs in Susch selbst ge-kratzt werden.
www.josin-sgraffito.ch/wp/
Alpines Fleischhandwerk entdecken
Der renommierte Metzger Ludwig Hatecke gibt in Scuol Einblick in das jahrhundertealte Handwerk der Trockenfleischherstellung.
www.engadin.com/de/metzgerei-hatecke
Öffentliche Schmiede
Thomas Lampert öffnet seine Schmiede in Guarda und zeigt, wie er arbeitet. Er stellt etwa das wuch-tige Besteck für Andreas Caminadas Restaurant Casa Caminada her.
www.lampert-guarda.ch
Fly only
Im Unterengadin gibt es den ersten Flussabschnitt, der Fliegenfischern vorbehalten ist. Die so genannte «Fly only»-Strecke befindet sich am Inn auf der Höhe von Ramosch.
www.engadin.com/fliegenfischen
Archiv der alpinen Geruchserinnerungen
Für das neue Projekt der Kulturinitiative Somalgors 74 sammeln und übersetzen Designer Philipp Kolmann und Künstler Curdin Tones in Tschlin ein Jahr lang Erinnerungen in Gerüche.
www.somalgors74.ch
Das kostenlose Handbuch «Nachhaltigkeit in Schweizer Tourismusdestinationen» zeigt mit konkreten Handlungsfeldern, Checklisten und inspirierenden Beispielen aus der Praxis, wie eine nachhaltige Entwick-lung im Tourismus möglich ist. TESSVM bietet gerne Praxiskurse dazu an.
Das Handbuch kanngratis heruntergeladen oder bestellt werden unter www.sustainability4destinations.ch
Claudia Vontobel, was hat Sie bewogen, sich zur Wassersommelière ausbilden zu lassen?
Ich wollte mich auf etwas Nichtalltägliches spezialisieren. Da wir in Scuol und Umgebung über zwanzig Mineralquellen verfügen, lag der Ent-scheid nahe.
Wie können Sie Ihr Wissen über Wasser vermitteln?
Im Auftrag des Tourismusbüros von Scuol habe ich während der vergangenen Sommermonaten acht Degustationen angeboten. Im Juli probierte sogar Bundesrat Ignazio Cassis mit seiner Frau und weiteren Politikern mit mir die hiesigen Wässer.
Bieten Sie Pairings an?
Ein Pairing wäre mit den meisten Mineralquellen im Ort möglich, aber nicht mit den hochmineralisierten Wässern. Nimmt man etwa ein natriumreiches Wasser zu den Gerichten, hat man das Gefühl, das Essen sei versalzen. Der beste Wein schmeckt nicht mehr, trinkt man dazu ein zu hoch oder zu tief mineralisiertes Wasser.
Wo können die Scuoler Mineralwässer getrunken werden?
Im Thermalbad und an einzelnen Brunnen. In Scuol werden vier Quellen ins Leitungswasser gespeist. Ansonsten verfügen wir über zehn Wässer, die aus Brunnen fliessen. Bei diesen Brunnen gibt es immer zwei Leitungen. Aus einer fliesst Mineralwasser und aus der anderen normales Trinkwasser. In der Gastronomie darf leider nur das Leitungswasser verwendet werden. Doch auch dieses schmeckt gut und wird dort aktiv in einer extra designten Karaffe verkauft.
Die 35-jährige Scuolerin absolvierte zwischen 2017 und 2019 die Ausbildung zur Restaurationsfachfrau EFZ, zur Schweizer Wassersommelière und zur Ausbildnerin. Zudem eröffnete sie 2019 ihr Restaurant, das «Plazzin», in Scuol. Im Juni 2020 erhielt sie das Wirtepatent. Derzeit macht sie die Weiterbildung zur eidg. Betriebsleiterin.