Einweg-Plastikalternativen aus erneuerbaren Materialien sind gut für das grüne Gewissen. Der Abfallberg wird damit aber nicht kleiner. Umweltschutz- und Abfallexperten sehen nur einen Weg in die Zukunft: Mehrweg.
Der Frühling ist da, der Sommer steht schon bald vor der Tür. Die steigenden Temperaturen laden dazu ein, draussen zuessen, Streetfood-Festivals und Stadtfeste beleben die Gassen. Die Folge davon: volle Mülleimer in Altstädten, Parks und an Seepromenaden. Heute finden sich in der Tonne vermehrt Salatschalen aus Palmblatt oder Löffel aus Holz. Aber auch Bio-Kunststoffe, die in ihrem Aussehen kaum von herkömmlichem Plastik zu unterscheiden sind.
Viele der Produkte sind als «plastikfrei», «100 Prozent natürlich» oder «vollständig biologisch abbaubar» gekennzeichnet. Das klingt gut, doch wie sieht es mit der Nachhaltigkeit und Abbaubarkeit der Bio-Kunststoffe in der Praxis aus? Dem Thema widmet sich Biomasse Suisse, der Verband der Grüngutaufbereiter, in einem jüngst veröffentlichten Positionspapier.
Unterscheiden lassen sich bei den Bio-Kunststoffen so genannte biologisch abbaubare Werkstoffe BAW von nicht abbaubaren Materialien. BAW gibt es auf Basis von Stärke, Zucker oder Polylactid, kurz PLA. Nicht abbaubar ist zum Beispiel Bio-Polypropylen in Verbindung mit Holzfasern.
Diese Produkte haben gegenüber herkömmlichem Plastik klare Vorteile. «Sie verringern die Abhängigkeit von Erdöl und ermöglichen einen geschlossenen Kohlenstoffkreislauf», schreibt Biomasse Suisse. Allerdings gibt es für viele Biokunststoffe noch keine griffigen Aussagen zur Nachhaltigkeit. Denn auch die Produktion von nachwachsenden Rohstoffen für Biokunststoffe ist ressourcenintensiv.
Auch was die Abbaubarkeit betrifft, ist die Lage nicht ganz so einfach. So sind Produkte wie PLA zwar theoretisch abbaubar und oft entsprechend beschriftet. In der Grüngutanlage sind sie aber häufig unerwünscht. Da viele Bio-Kunststoffe nicht von fossilen unterscheidbar sind, wäre der Sortieraufwand, um Verschmutzungen zu vermeiden, sehr gross.
Für viele Bio-Kunststoffe ergibt es laut Biomasse Suisse deshalb Sinn, wenn sie über den Kehricht in die Kehrichtverbrennung gelangen und dort zur Produktion von Wärme und Strom beitragen.
Urs Baier, Vizepräsident Biomasse Suisse
Aufgrund dieser Schwierigkeit sieht der Verband den Fokus auf biologische Abbaubarkeit in der Vermarktung von Plastik-Alternativen kritisch. Das Argument könne zu einem falschen Verständnis der Entsorgung führen oder gar die Hemmschwelle senken, Produkte in der Natur zu entsorgen. Vizepräsident Urs Baier, der viele Jahre an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in den Bereichen Biomasse und organische Abfallbehandlung geforscht hat, erklärt: «Labels zur Kreislaufwirtschaft, welche die Umweltauswirkungen von Biokunststoffen bewerten, wären viel aussagekräftiger.» Biokunststoffe seien dann sinnvoll, wenn sie aus Reststoffen aus nachhaltiger Land- und Forstwirtschaft bestehen. Und auch hier gelte, auf eine Reduktion des Verbrauchs hinzuarbeiten. Denn für Urs Baier ist klar, dass kurzlebige Einwegprodukte eine Übergangslösung sind. «In den nächsten Jahren wird der Trend hin zu Mehrweg und Recycling gehen.»
Die EU ist der Schweiz hier einen Schritt voraus. In deren Mitgliedsländern sind gewisse Produkte aus Einwegplastik seit 2021 verboten. Darunter Besteck, Teller und Strohhalme. Dies gilt auch für Biokunststoffe wie PLA. In der Schweiz sind Verbote noch kein Thema. Letztes Jahr lehnte der Nationalrat eine Motion ab, die ein Verbot von Einweggeschirr in der Take-away-Gastronomie forderte. Auch der Bundesrat sprach sich für freiwillige Massnahmen aus.
In Deutschland gilt seit Anfang Jahr zudem eine Mehrweg-Angebotspflicht für die Gastronomie. Während es in der Schweiz keine landesweiten Regelungen gibt, haben einige Kantone und Städte bereits gehandelt. So besteht in der Stadt Basel seit Herbst 2019 eine Mehrweggeschirr-Pflicht im öffentlichen Raum. Wer Getränke und Esswaren zum unmittelbaren Verzehr verkauft – wie Buvetten oder Kaffee-Mobile – muss Mehrweggeschirr verwenden. Der Kanton Genf geht noch weiter und verbietet Einwegplastik in der Gastronomie ab 1. Januar 2025 komplett.
«Setzt die Politik einmal den Hebel an, kann es mit dem Wandel schnell gehen», sagt Urs Baier. «Es kann aber auch sein, dass die Entwicklung von Industrie und Gewerbe ausgeht.» Eine Prognose, wann Mehrweg auch in der Schweiz zum Standard wird, will der Experte allerdings noch nicht wagen.
(Alice Guldimann)
Es gibt verschiedenste natürliche Fasermaterialien, die sich für die Herstellung von Einweggeschirr und -besteck eignen. Häufig anzutreffen sind Holz, geformte Palmblätter oder Bagasse. Bei Bagasse handelt es sich um Überreste aus der Zuckerproduktion, die gepresst und beispielsweise zu Tellern verarbeitet werden. Diese Materialien sind nachwachsend und stehen nicht in Konkurrenz mit Nahrungs- und Futtermitteln. Wie im Fall von Bagasse handelt es sich oft um Überreste oder Nebenprodukte, die ansonsten nicht weiterverwertet würden. Sind diese nur wenig verarbeitet, schneiden sie in der Ökobilanz trotz Transportweg deutlich besser ab als andere Bio-Kunststoffe oder PLA. Bei Produkten aus Holz ist es auf jeden Fall sinnvoll, auf das FSC-Label zu achten, die Zertifizierung für nachhaltige Waldwirtschaft. Diese so genannten biologisch abbaubaren Werkstoffe BAW können in industriellen Vergärungs- und Kompostierungsanlagen verwertet werden. Rückstände im Boden schaden diesem nicht und können unter Umständen positiv als Humusbildner wirken.
PLA, auch Polymilchsäure genannt, ist von herkömmlichem Plastik kaum mehr zu unterscheiden und ist je nach Produkt qualitativ praktisch gleichwertig. PLA wird aus nachwachsenden und natürlichen Rohstoffen wie Mais oder Zuckerrohr gewonnen und gehört zu den Polyestern. Die Stärke wird beim Herstellungsprozess aus den Pflanzen extrahiert, durch Fermentation entsteht Polylactid. PLA steht häufig in Konkurrenz zu Nahrungs- und Futtermitteln. Es ist zwar grundsätzlich biologisch abbaubar, allerdings nur unter Idealbedingungen in bestimmten industriellen Vergärungs- und Kompostierungsanlagen. Gemäss dem Bundesamt für Umwelt ist PLA für die thermophile Vergärung bei hohen Temperaturen in Biogasanlagen geeignet. Dabei werden aber nur deutlich gekennzeichnete Produkte angenommen. Auf den Kompost gehört der Biokunststoff nicht. Aufgrund der Nahrungsmittelkonkurrenz und der Entsorgungsproblematik schneidet PLA in der Ökobilanz oft schlechter ab als herkömmliche Kunststoffprodukte. Beim Kauf gilt es zudem zu beachten, dass nicht alle PLA-Produkte hitzebeständig sind. Wer beispielsweise warme Suppe servieren möchte, setzt auf das so genannte kristallisierte PLA (CPLA).
Bio-Polypropylen Bio-PP ist eine biobasierte Variante von Polypropylen, einem thermoplastischen Polymer. Thermoplastisch bedeutet, dass sich die Kunststoffe in einem bestimmten Temperaturbereich verformen lassen. Im Gegensatz zu herkömmlichem Polypropylen, das aus fossilen Rohstoffen hergestellt wird, wird Bio-PP aus nachwachsenden Rohstoffen wie Pflanzenöl oder Zellulose produziert. Im Gastrogrosshandel gibt es beispielsweise Besteck zu kaufen, das zu 60 Prozent aus Weichholzfasern und zu 40 Prozent aus Bio-PP besteht. Die Produkte sind robust, oft mehrfach verwendbar und spülmaschinengeeignet. Obwohl Produkte aus Bio-Polypropylen in der Vermarktung beispielsweise als «100 Prozent natürlich» bezeichnet werden, heisst das nicht, dass sie auch biologisch abbaubar sind. Denn sie sind gemäss dem Bundesamt für Umwelt für keine Art der Vergärung oder Kompostierung geeignet und müssen via Hauskehricht und Kehrichtverbrennungsanlage entsorgt werden.
HGZ: In der EU ist Einweggeschirr aus Plastik verboten. Wie steht es um den Kampf gegen Plastik in der Schweiz?
Felix Meier: In der Schweiz gelangt relativ wenig Kunststoffabfall in die Umwelt wegen striktem Abfallmanagement und der hohen Dichte an Kehrichtverbrennungsanlagen. Ein Verbot ist also weniger dringend. Das Verbot der EU wird aber auch hier wirken und Plastikprodukte früher oder später verschwinden lassen.
Also sind hier keine Plastik-Verbote nötig?
In der Schweiz sollten unserer Ansicht nach Einweg-Polystyrol-Produkte verboten werden. Sie belasten die Umwelt am meisten, weil sich der Kunststoff bei falscher Entsorgung schnell in der Natur verteilt.
Gastronomiebetriebe in Deutschland müssen neu Mehrwegvarianten anbieten.
Mehrweg ist aus Umweltsicht praktisch immer die beste Variante. Auch ein Pfandsystem – Mehrweg oder Einweg – hätte klaren Umweltnutzen, weil es Littering vorbeugt.
Ist Mehrweg auch besser, wenn Plastik verwendet wird?
Plastik muss nicht immer schlecht sein. Richtig eingesetzt kann es sogar besser sein als herkömmliche Alternativen. Mehrweg-Plastikteller aus dem Kunststoff Melamin schneiden in der Umweltbilanz besser ab als beispielsweise Keramikteller.
Und wenn es doch Einweg sein muss?
Wichtig ist, möglichst leichte Gebinde zu wählen und auf nachwachsende Rohstoffe mit minimaler Verarbeitung zu setzen. Auf Palmblätter anstelle von PLA oder Bio-Polypropylen. Oder auf Materialien mit hohem Rezyklatanteil, zum Beispiel Kartonteller.
Felix Meier ist Geschäftsleiter der Stiftung Pusch. Sie unterstützt Gemeinden, Schulen und Unternehmen dabei, umweltgerecht zu handeln und bietet Weiterbildungen, Tagungen, Hilfsmittel und Umweltunterricht an.