Die Energiekosten explodieren und die Sorge vor einer Gasmangellage nimmt zu. Das betrifft auch das Hotel- und Gastgewerbe. Welche Konsequenzen die Krise für die Branche haben kann und wie sie sich für den Winter wappnet, diskutieren wir mit einem Experten.
Die Beherbergungsbranche blickt auf einen mehrheitlich erfolgreichen Sommer zurück. Selbst in den Städten nähert sich die Nachfrage dem Vorkrisenniveau an. Auch im Hinblick auf den Winter zeichnet sich bezüglich der Buchungen eine Erholung ab, wäre da nicht die drohende Gasmangellage. Laut einer Umfrage des Branchenverbandes Hotelleriesuisse verdrängt die Energiekrise die Sorgen rund um die Pandemie und deren Folgen. Verständlich, denn das Hotel- und Gastgewerbe hat per se einen hohen Wärme- und Warmwasserbedarf. Gemäss der Umfrage, an der rund 170 Mitglieder Anfang Oktober teilgenommen haben, sind 70 Prozent der Hotelbetriebe Grossverbraucher. Diese Unternehmen ständen vor finanziellen Herausforderungen, die existenzbedrohlich werden könnten. So zeigt die Umfrage, dass sich die Strompreise im Vergleich zu 2021 bei Betrieben im freien Markt für das Jahr 2022 durchschnittlich mehr als verdoppelt haben. Für das Jahr 2023 sind die Energiepreise im Vergleich zu 2021 gar um durchschnittlich 129 Prozent gestiegen.
Aufgrund der steigenden Energiepreise sowie Preissteigerungen bei Löhnen und Lebensmitteln haben drei von vier Betrieben deshalb ihre Preise für die kommende Wintersaison um rund fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr angepasst.
Gemäss Fachpersonen würde eine Mangellage zwar erst gegen Ende des ersten Quartals 2023 wahrscheinlich werden. Nichtsdestotrotz sind jetzt nicht nur Hoteliers angehalten, ihren Energieverbrauch genaustens zu prüfen, um die Energiekosten zu senken, sondern jeder Einzelne.
Daniel Büchel ist Vizedirektor des Bundesamtes für Energie BFE und Programmleiter von «Energie Schweiz», dem Energiesparprogramm des Bundes. Der Experte spricht über Hilfeleistungen und Sparmassnahmen und macht deutlich, dass sowohl Bund als auch Private und Firmen jetzt handeln müssen:
Daniel Büchel, was beschäftigt Sie aktuell mehr denn je?
Zurzeit steht die Diskussion um die Versorgungssicherheit ganz oben auf der Agenda. Dabei zeigen sich in der aktuellen Situation viele Reaktionen und Verhaltensänderungen. Bei all den positiven Ansätzen ist es jedoch wichtig, dass kurzfristige Aktionen nicht in die falsche Richtung gehen und dass wir langfristig auf dem Weg der effizienten Energieverwendung und nachhaltigen Stromproduktion bleiben.
Wie meinen Sie das?
Die Klimapolitik und der Ausstieg aus den fossilen Energien bleiben wichtig – auch heuer bekommen wir die Auswirkungen des Klimawandels vor Augen geführt. Die Anstrengungen im Bereich der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien sind weiter voranzutreiben, um die Klimaverträglichkeit und die Versorgungssicherheit zu garantieren.
Haben Sie heute schon Strom gespart?
Ja. Im Alltag kann man beim Warmwasserverbrauch sparsam sein. So habe ich kurz geduscht und auch beim Händewaschen den Regler auf kalt gedreht. Zwar können wir alle durch unser Verhalten kurzfristig einiges an Energie sparen; die grossen Potenziale liegen aber anderswo: So sollten wir generell alte Geräte durch energieeffiziente Apparate ersetzen, die richtigen Einstellungen bei der Installation vornehmen und Revision sowie Unterhalt gewährleisten.
Was unternimmt der Bund gegen die drohende Mangellage?
In den verschiedenen Bundesämtern laufen grosse Anstrengungen und verschiedene Massnahmen im Strom- und Gasbereich, um im Winter eine Mangellage zu verhindern. Des Weiteren läuft eine gross angelegte Kommunikationskampagne unter dem Claim nicht-verschwenden.ch. Parallel dazu haben wir die Energiespar-Alliance mit über 300 Mitgliedern aufgebaut, zu denen wir auch Hotels wie das Swissôtel Kursaal Bern zählen (Infos zu den Initiativen in der rechten Spalte). Ebenso entscheidend ist es, die längerfristigen energiepolitischen Engagements umzusetzen. Hier sind Projekte am Start, einige in der Hoheit unseres Amtes, andere, die unter unserer Begleitung im Parlament beraten werden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Der Bundesrat hat die Verordnung der freiwilligen Umschaltung von Zweistoffanlagen beschlossen. So können deren Betreiber durch eine Umstellung von Gas auf Heizöl eine Reduktion des Erdgasverbrauchs um 15 bis 20 Prozent erreichen und einen wertvollen Beitrag zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit leisten. Ebenso wichtig ist die Priorisierung der inländischen erneuerbaren Energien. So steht beispielsweise mit dem Solarprojekt Gondosolar im Wallis die erste freistehende Photovoltaik-Anlage (PVA) der Schweiz im alpinen Raum zur Diskussion.
Laut einer Umfrage von Hotelleriesuisse bringt die Erhöhung der Energiepreise fast die Hälfte der befragten Betriebe in finanzielle Schwierigkeiten. Was raten Sie den Hoteliers?
Wir empfehlen, sich über den eigenen Energieverbrauch und Lösungen zu dessen Optimierung kundig zu machen sowie Rat bei Fachleuten und Branchenorganisationen zu holen. Ebenso hilfreich kann der Austausch mit Geschäftspartnern und -kollegen sein. Natürlich bietet auch der Bund Hilfestellungen wie zum Beispiel mit dem Programm Energie Schweiz. Auch die Kantone und Gemeinden unterstützen Betroffene in gewissen Fällen finanziell. Ich bin mir aber bewusst, dass es nicht für alle befriedigende Lösungen geben und die Lage schwierig bleiben wird.
Die Hotelbranche ist sich einig: Sie muss langfristig in Sachen CO₂-Emissionen den Weg zur physikalischen Null gehen. Der Handlungsbedarf wird angesichts der Gasmangellage jedoch bereits kurz- und mittelfristig akuter. Wie würde sich ein Gaslieferstopp auswirken?
Wie im Hotel- und Gastgewerbe hätte ein Gaslieferstopp, den wir mit allen Mitteln zu verhindern suchen, auch in der übrigen Unternehmenswelt fatale Folgen. Bei einer drohenden Mangellage käme es zuerst zu Verboten bestimmter Anwendungen, Vorgaben und Kontingentierungen. Diese Szenarien wären mit massiven Einschränkungen und Problemen für die Unternehmen verbunden. Deswegen gilt es, durch freiwillige Einsparungen solidarisch schlimmere Massnahmen zu verhindern. Dahin zielen wir mit unserer Kommunikationskampagne und der Energie-Alliance, zu der wir gerne weitere Unternehmen begrüssen.
Gemäss Bundesrat Guy Parmelin müsse man nicht nur an diesen Winter denken, sondern alles dafür tun, dass in der Schweiz mehr erneuerbare Energien produziert werden. Das würde dauern, denn auch 2023 und 2024 sei man noch abhängig von Öl und Gas. Wie schätzen Sie das ein?
Ich kann diese Aussage unterstreichen. Im Winter 2023/2024 werden wir in Europa die Gasreserven nicht mehr in gleichem Umfang durch russische Lieferungen aufstocken können. Doch wir haben den Vorteil, dass wir mehr Reaktionszeit haben, um die Gebäude, Anlagen, Prozesse und Geräte energieeffizienter zu machen. Und es bleibt Zeit für Revision- und Unterhaltsarbeiten, für Erneuerungen, den Ersatz von Gasheizungen und vielleicht den Bau einer Solaranlage.
Viele Sparmassnahmen wurden in den vergangenen Monaten schon ergriffen. Zusätzlich wird diskutiert, wann beispielsweise in Wellness-Hotels Saunazeiten verkürzt oder die Wassertemperaturen reduziert werden können. Reicht das?
Solche Massnahmen können einen wichtigen Beitrag leisten, wenn sie in der Breite angewendet werden. Wichtig ist hier aber auch, dass man sich in der Branche oder an einer Destination abspricht und somit keine Konkurrenzvor- oder -nachteile entstehen. Dann gilt es zu beachten, dass solche Massnahmen auch temporär eingesetzt werden können. Ob diese ausreichen, ist schwer abzuschätzen, weil wir von nicht beeinflussbaren Faktoren abhängig sind: Wie kalt wird der Winter oder wie schaut es mit der Verfügbarkeit des europäischen Kraftwerksparks aus?
Wo können Hotels jetzt noch den Sparhebel anlegen?
Ich rate zuerst zu Massnahmen im Bereich der Betriebsoptimierung: Dabei geht es um Einstellungen von Heizungen, Lüftungen und Geräten, Anpassungen von Betriebszeiten, Vermeiden von Stand-by-Verbrauchen oder sonstigem Betrieb ohne Nutzen. Mit kurzfristigen Massnahmen sind bereits zehn Prozent oder mehr an Energie einzusparen. Wer unsicher ist, wie er sein Sparpotenzial am besten ausschöpft, dem helfen wir gerne. Mit dem Beratungsprogramm Peik erhalten Hotelbetriebe sowohl Unterstützung als auch eine Kostenbeteiligung bei einer Beratung (siehe unten).
Laut Hotelleriesuisse-Präsident Andreas Züllig wären Überbrückungskredite oder vereinfachte Verfahren, um Kurzarbeit anzumelden, förderlich.
Das sind keine energiepolitischen Anliegen und liegen deshalb auch nicht auf unserem Tisch. Ich kann aber versichern, dass der Bundesrat die Lage intensiv beobachtet und verschiedene Massnahmen auf ihre Vor- und Nachteile durchleuchten lässt.
(Interview Andrea Decker)
Daniel Büchel ist seit 2011 Vizedirektor des Bundesamtes für Energie BFE. Als Leiter der Abteilung Energieeffizienz und erneuerbare Energien ist er unter anderem für die Erarbeitung von Grundlagen und Instrumenten sowie für die Umsetzung und den Vollzug der Gesetzgebung in verschiedenen Bereichen und als Programmleiter von «Energie Schweiz» für die strategische Ausrichtung des Programms verantwortlich.
Bereits mit einfachen Sparmassnahmen und kleinen Verhaltensänderungen kann jeder Energieeinsparen. Deshalb setzt «Energie Schweiz», ein Programm des Bundesamtes für Energie BFE, die Kampagne nicht-verschwenden.ch um, die Bevölkerung und Unternehmen dazu aufruft, Energieverschwendung zu stoppen. Die Kampagne vermittelt konkrete Sparempfehlungen, wodurch die gesamte Bevölkerung zu einer Entschärfung der Lage beitragen kann. Auf nicht-verschwenden.ch finden sich konkrete Spartipps.
Die Energiespar-Alliance vereint Organisationen, welche die Bemühungen für die Versorgungssicherheit im Winter unterstützen, indem sie Massnahmen ergreifen, um Energie sparsamer zu nutzen. Auch Hotelleriesuisse und Gastrosuisse gehören der Allianz an. Mit ihrem Engagement setzen sie sich ein, um ihre Mitglieder, Partner und Mitarbeitenden bezüglich der sparsamen Nutzung von Energie zu sensibilisieren und zu befähigen. Ziel ist, dass keine Abschaltungen notwendig werden und dass es so weit wie möglich keine neuen Vorschriften braucht. Der Beitritt ist jederzeit möglich, je früher, desto besser. Die Massnahmen sollten so schnell wie möglich umgesetzt werden, damit sie ihre Wirkung umgehend entfalten. Anmeldungen unter alliance2022-23.ch/anmeldung
Peik ist die professionelle Energieberatung für KMU, die von «Energie Schweiz» lanciert wurde. Peik hilft Betrieben, Energiesparprojekte gezielt in Angriff zu nehmen und unterstützt sie dabei finanziell. Auf peik.ch/interesse erhalten Interessierte Informationen zum Angebot.
Die Vorlauftemperatur der Heizung ist ausserhalb der Nutzungszeiten zu senken. Wer die Lüftung täglich von 20 Uhr bis 6 Uhr ausmacht, senkt deren Energieverbrauch um bis zu 40 Prozent – natürlich nur, wo sinnvoll. Ausserhalb der Öffnungszeiten sollten Kühlmöbel konsequent geschlossen werden. Dafür eignen sich Nachtrollos, Abdeckungen oder Glastüren. Alte Leuchtstofflampen sind idealerweise durch LED-Tubes zu ersetzen. Im Druckluftnetz gehen oft 25 bis 60 Prozent der Luft über Leckagen verloren. Das Druckluft-Leitungssystem ist deshalb jährlich zu prüfen und abzudichten.