Wer spielerische Aktivitäten anbietet, bindet die Gäste länger und stärker an sich. Diese so genannte Gamification können Destinationen und Betriebe nutzen, um ihre Attraktivität zu steigern.
Das Leben hat nur einen wirklichen Charme: das Spiel.» Das sagtebereits im 19. Jahrhundert der französische Schriftsteller Charles Baudelaire. Heute zeigt die Forschung: Das menschliche Gehirn ist gewissermassen aufs Spielen programmiert. «Es ist eher ein Spielzeug als eine Rechenmaschine», heisst es in der Trendstudie «Playful Business» des deutschen Zukunftsinstituts. Das erklärt auch, weshalb Spielen in jeglicher Form stets mit einem lustvollen Empfinden und massiven Dopaminausschüttungen einhergeht. «Diese erzeugen zugleich eine hohe Bereitschaft, sich über längere Zeiträume zu fokussieren und zu konzentrieren», so die Studie weiter. Das können sich auch Tourismusanbieter und -destinationen zunutze machen. Denn wer spielerisch an etwas herangeht, hat automatisch mehr Spass und bleibt länger dabei.
Gamification bedeutet, auch ausserhalb von typischen Spielen wie Videogames oder Brettspiele einen spielerischen Ansatz zu verfolgen. Dies nutzt zum Beispiel die Sprachlern-App Duolingo, bei der Nutzer nicht nur eine Sprache lernen, sondern dabei auch Punkte sammeln und sich Trophäen erarbeiten.
Gemäss Business Game Designer Wolfgang Rathert (siehe Interview) geht es bei der Gamification in erster Linie um die Befriedigung von vier Bedürfnissen: Verbundenheit, Autonomie, Kompetenz und Sinnhaftigkeit. «Wer anhand von Feedback und Storytelling vermittelt bekommt, dass diese Bedürfnisse befriedigt werden, macht eine intensivere Erfahrung.»
Ein Paradebeispiel der Gamification im Schweizer Tourismus ist das «Bike Kingdom Lenzerheide», welches im Sommer 2020 eröffnet wurde. Denn hier geht es um viel mehr, als einfach mit dem Bike den Berg hinunterzufahren. Dank einer zugehörigen App werden die einzelnen Biker zu einer Community und kämpfen alleine oder in Teams um Punkte und Belohnungen. «Wir haben den Berg in einen digitalen Spielplatz verwandelt», erklärte Kristian Paasila, CEO von Inside Labs, am «Sport Tourismus Forum 2021». Seine Firma hat die Bike Kingdom App entwickelt. Trotz Digitalisierung und App bleibt das Bike Kingdom aber ein physisches Erlebnis, das in der Realität verankert ist. «Wir legen auf das Biken einfach eine virtuelle Dimension, um die Gäste noch mehr einzubinden», so Paasila.
Das Ganze funktioniert so: Für die Nutzer gibt es zum einen persönliche Challenges, zum andern ein Clan Battle mit anderen Teammitgliedern. «Bei den Challenges können unsere Gäste individuelle Belohnungen erspielen, indem sie beispielsweise 500 Höhenmeter an einem Tag absolvieren oder dreimal die Rothornbahn an einem Wochenende nutzen», erklärt Marc Schlüssel, Geschäftsführer a. i. der Ferienregion Lenzerheide. Neben digitalen Abzeichen gibt es zur Belohnung beispielsweise ein kühles Getränk an einer Bar in der Region oder einen Merchandise-Artikel. Beim Clan Battle geht es darum, sein eigenes Team durch verschiedene Herausforderungen in der Rangliste so weit wie möglich nach vorne zu bringen.
Die Grundidee des Angebots ist die Personalisierung des Erlebnisses am Berg: «Die neue App sammelt täglich Zehntausende Datenpunkte als Grundlage für das Content- und Campaignmanagement», so Marc Schlüssel. «Dies erlaubt die Gestaltung von hoch personalisierten digitalen Erlebnissen.» Gäste, die ihre Fahrten über die App aufzeichnen, erhalten relevante Inhalte und Angebote, basierend auf den gefahrenen Trails und am Ende des Tages eine Übersicht ihrer Leistung. Marc Schlüssel ist überzeugt: «Mit Bike Kingdom läuten wir eine neue Ära des datenbasierten Erlebnismarketings ein. Denn nur so können heute bedeutungsvolle Erlebnisse und langfristige Kundenbeziehungen kreiert werden.»
Der Ansatz der Gamification soll Anreize schaffen, damit die Gäste die Region länger und öfters besuchen. Sie ermöglicht es zudem, Hotspots zu evaluieren und den Gästen Alternativen vorzuschlagen. «Für die Biker heisst dies konkret, dass sie mithilfe der App besser in den sechs verschiedenen Regionen verteilt werden können und von massgeschneiderten Tipps profitieren», erläutert Marc Schlüssel. Neben den Challenges bietet die App zudem Live-Informationen wie den Status der Lifte und Trails, den Standpunkt der nächsten Bike-Servicestation sowie einen Shop mit Angeboten speziell für Biker. Künftig sollen zudem über die App auch Bergbahntickets gekauft werden können.
Die individualisierten Angebote sollen den Gast abholen, aber auch Mehreinnahmen generieren. Für Marc Schlüssel ist klar: «Mit der App tut sich zusätzlich zu den konventionellen Kommunikationskanälen wie Social Media und Website ein weiterer Weg auf, auf dem wir direkt mit dem Gast in Kontakt treten können und durch die Interaktion des Gastes mit der App auch direkt eine Rückmeldung über die Nutzung unserer Angebote erfahren. Durch diesen wertvollen Austausch können wir uns besser auf die Bedürfnisse unserer Gäste ausrichten.»
Das Konzept ist bislang äusserst erfolgreich: Seit dem Start der App wurde sie über 60 000 Mal heruntergeladen, hat mehr als 6000 aktive Nutzer pro Monat und über 2000 tägliche Zugriffe während der Sommersaison. «Während der Bike-Saison im Sommer hat die App unsere Erwartungen übertroffen. Ihre Beliebtheit zeigt, dass wir damit auf einem vielversprechenden Weg sind.»
Wer auf Gamification im Tourismus setzen möchte, muss aber nicht zwingend eine eigene App entwickeln. Es gibt auch Gamification-Angebote, die weitaus schneller und günstiger implementiert werden können. So setzt beispielsweise Thurgau Tourismus auf verschiedene Schnitzeljagden im Kanton, die zu Fuss, auf dem Velo oder auch auf dem Wasser per Pedalo absolviert werden können. Auch hier handelt es sich um Gamification, da eine Wanderung oder Velotour auf spielerische Weise umgesetzt wird, indem die Gäste über verschiedene Hinweise ans Ziel gelangen und auf dem Weg mehrere Rätsel lösen oder Sticker sammeln müssen.
Die Trails wurden von Thurgau Tourismus nicht selbst entwickelt, sondern entstanden in Zusammenarbeit mit der Schweizer Firma Tourify. «Das hat für uns den Vorteil, dass wir auf eine bestehende Reichweite der Marke setzen können und uns das System zur Verfügung gestellt wird», sagt Vanessa Hungerbühler, Assistentin Produktmanagement bei Thurgau Tourismus. «Mit wenig Zeitaufwand konnten so einige tolle Angebote mit kantonsübergreifender Ausstrahlung geschaffen werden.» Dass die Trails gut ankommen, zeigen gemäss Hungerbühler die Nutzerzahlen. So zählte beispielsweise der Krimispass bisher durchschnittlich 74 Startteams pro Monat. «Auch die Schnitzeljagd ist im Startsommer 2021 sehr gut angelaufen mit rund 35 Teams und einigen Gruppen.»
Die Firma Tourify ist spezialisiert auf die Realisierung von Schnitzeljagden aller Art. Dabei ist das interaktive Detektivabenteuer Krimispass das erfolgreichste, es wird jährlich von rund 50 000 Teilnehmern in der ganzen Schweiz gespielt. «Solche Angebote eignen sich für Gemeinden und Tourismus-Regionen, die Einheimischen und Gästen einen spannenden Nachmittag ermöglichen wollen», erklärt Tourify-Geschäftsführer David Baumgartner. Zudem gibt es auch Krimi-Angebote, die speziell für Hotels konzipiert sind: «Quasi als unkonventionelles Regenprogramm für die Gäste.» Mit der webbasierten Lösung Smartrails können Destinationen und Betriebe zudem ganz einfach ihre eigenen Themen- und Erlebniswege erstellen. Bis heute wurden so über 80 digitale Themenwege vom Jura bis ins Engadin umgesetzt.
Eines der aussergewöhnlichsten Projekte, die «Tourify» gemeinsam mit einer Destination realisiert hat, ist der Krimispass Jungfrau Region. Hier handelt es sich um ein mehrtägiges Krimi-Erlebnis mit 25 Schauplätzen, verteilt über die gesamte Region. «Für das Projekt wurde eigens eine Schauspieltruppe engagiert, welche die Verdächtigen spielt und den Teilnehmenden ihre Aussagen per Videobotschaft zukommen lässt», so Baumgartner.
Experte Wolfgang Rathert sieht in der Gamification riesiges Potenzial: «Jane McGonigal hat es auf den Punkt gebracht: Die Menschen lieben es, sich zu entfalten und einen Beitrag zu leisten. Doch ihr Alltag hält leider zu wenig Möglichkeiten dazu bereit. Je mehr sinnvolle Aktivitäten wir in den Alltag integrieren, beispielsweise auch bei der Arbeit, umso mehr stecken die Menschen ihre Energie wieder in die Realität statt in Videogames.»
(Angela Hüppi)
Was ist bei der Gamification entscheidend: Das Gemeinschaftsgefühl oder der Drang, der Beste zu sein?
Es ist eine der grossen Tragödien der Gamification, dass viele denken, der Wettbewerb sei ausschlaggebend. Das stimmt nicht. Untersuchungen zeigen, dass nur ein Prozent der Gamer spielen, um andere zu dominieren. Rund 80 Prozent tun dies wegen des Gemeinschaftsgefühls. Der Wettbewerb macht dann Sinn, wenn er die Bühne dafür bietet, um gemeinsam etwas zu erreichen.
Was braucht ein Gamification-Ansatz, um zu funktionieren?
Das Kernelement ist ein Rückmeldesystem. Um ein gewünschtes Verhalten zu erzeugen, muss das System Feedback geben, wenn man etwas erreicht hat. Und zwar je schneller, desto besser. Daher eignen sich Apps auch perfekt für Gamification-Ansätze. Und: je langfristiger mein Ziel, desto besser muss meine Story sein. Wenn ein Urlaubsgast nächstes Jahr wiederkommen soll, brauche ich eine starke Geschichte. Am besten mit verschiedenen Levels, auf denen sich mir immer mehr Möglichkeiten bieten.
Welche Fehler sollte man vermeiden?
Man sollte nicht ausschliesslich auf das Leistungsprinzip setzen. Sondern sich zuerst überlegen: Was will ich erreichen und wie kann ich meine Gäste dazu motivieren? Wenn es nur darum geht, möglichst viele Kilometer zu erwandern, spreche ich damit nur eine bestimmte Zielgruppe an. Für andere steht eher die Natur oder die Entspannung im Mittelpunkt. Daher muss man seine Gäste genau kennen und vielleicht auch verschiedene Angebote entwickeln.
Wolfgang Rathert ist Unternehmer, Business Game Designer, Hochschuldozent und Keynote Speaker. Er hat in IT-, Beratungs- und Finanzunternehmen gearbeitet, sechs Firmen gegründet und über 50 Management-Simulationen für Unternehmen weltweit entwickelt.
Im Fluss
Der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi hat den Spielmodus im Gehirn als «Flow» beschrieben: ein hochinnovativer und konzentrierter mentaler Zustand des Glücksgefühls, der beim gänzlichen Aufgehen in einer Beschäf- tigung entsteht.
Gaming ist nicht so schlecht wie sein Ruf: Es verlangsamt den geistigen Verfall bei Älteren.
3 Mrd.
Stunden in der Woche verbringt die Menschheit mit Computerspielen.
22 Prozent
Um so viel konnte in Stockholm das Fahrtempo von Autos mittels einer Blitzer-Lotterie gesenkt werden. Wer sich an das Tempolimit hielt, konnte das Strafgeld der Raser gewinnen.
Immer häufiger spielen wir, ohne es zu bemerken. Etwa auf der Dating-App Tinder, welche die Partnerwahl zum Spiel umfunktioniert.
57 000
Spieler entschlüsselten 2011 ein Oberflächenprotein des HI-Virus. Durch Drehen, Schieben und Falten brachten sie die Proteine in einen möglichst energiearmen Zustand. So nahmen sie den Forschern freiwillig eine langwierige Arbeit ab.