Der Tourismus ist den direkten Folgen des Klimawandels in einem Ausmass ausgesetzt wie wenige andere Branchen. Die Herausforderungen bergen Risiken, bieten aber auch Chancen.
Nachhaltigkeit ist längst kein Nischenthema mehr. Mensch sowie Wirtschaft und Politik haben verstanden, noch bewusster und verantwortungsvoller mit den Ressourcen umzugehen. So hat sich auch der Bundesrat für eine klimaneutrale Schweiz bis 2050 ausgesprochen und der Nachhaltigkeit in der Tourismusstrategie eine zentrale Bedeutung beigemessen. Und weil eine konsequent gelebte Positionierung im Nachhaltigkeitsbereich optimal zum Reiseland Schweiz passt, ist sie auch in der Strategie von Schweiz Tourismus (ST) ein Schlüsselthema. Markus Berger, Mediensprecher der Vermarktungsorganisation des Schweizer Tourismus: «Gemeinsam mit externen Fachleuten der Universität Bern, der Universität Zürich und des GDI Gottlieb Duttweiler Instituts haben wir bereits 2012 die Studie ‹2030: Der Schweizer Tourismus im Klimawandel› veröffentlicht. Das Thema beschäftigt uns seither laufend, und wir sind stetig im Austausch mit externen Fachleuten und der Branche.»
Eine Initiative daraus ist die im Frühjahr 2021 lancierte Nachhaltigkeitsstrategie «Swisstainable» – ein Dach für alle nachhaltigen Angebote im Schweizer Tourismus. Dazu würden laut Berger auch ökologisch nachhaltige Projekte gehören, die als Folge des Klimawandels immer mehr Bedeutung erhielten. «Für unsere Gäste ist es nicht ganz einfach, die Nachhaltigkeit der verschiedenen Angebote zu beurteilen. Mit Swisstainable schaffen wir hier eine klare Orientierung und verleihen den beteiligten Betrieben zudem mehr Visibilität. Darüber hinaus etablieren wir gemeinsam mit den touristischen Branchenverbänden eine Bewegung und motivieren Leistungsträger, sich für eine nachhaltigere Entwicklung des Reiselands Schweiz einzusetzen», so Berger. Ziel sei es, bis Ende 2023 mindestens 4000 Betriebe und Organisationen für «Swisstainable» zu gewinnen.
Der Klimawandel in der Schweiz ist hauptsächlich in zwei Bereichen spürbar. So würde sich die Schneesaison um vier bis acht Wochen bis Ende des Jahrhunderts verkürzen und die Schneefallgrenze um 500 bis 700 Meter höher liegen als heute, erklärt Klimaforscher Reto Knutti in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag». Des Weiteren werden Wetterextreme zunehmen, was die Outdoor-Angebote in Mitleidenschaft ziehen kann. Denn nebst dem Angebot für Wintersportler sind auch andere Arten des Bergtourismus gefährdet, weil schmelzende Gletscher und tauender Dauerfrost die Infrastruktur bedrohen. Ebenso richten Naturgefahren wie vermehrte Starkniederschläge, Felsstürze und Murgänge grossen Schaden an Natur und Landschaft an.
Unsichere Wetter- und Schneeverhältnisse wird es vermehrt geben, was sich auf das «Wintergefühl» auswirkt. Auch hier sind sich die Anbieter der Herausforderung bewusst. Berno Stoffel, Direktor Seilbahnen Schweiz, dazu: «Skiorte können sich als Ganzjahresreiseziele vermarkten, um mit der längeren grünen Saison die kürzere Wintersportsaison auszugleichen.» Und ergänzt: «So können wir seit 15 Jahren beobachten, dass Sommerangebote, vor allem in tiefer liegenden Skigebieten, ausgebaut werden. Dies wird von den Gästen geschätzt, konnten die Bergbahnen doch in den letzten zehn Jahren ihren Sommerumsatz von 13 Prozent auf 26 Prozent verdoppeln.»
Dass sich das Klima verändert, muss nicht nur negative Folgen haben. Auf die Frage, wo ST Chancen sieht, erläutert Markus Berger: «Die Schweiz als nachhaltige und zuverlässig sichere Destination wird, gerade angesichts von Wetterextremen, für Gäste noch interessanter. Die Schweiz hat zudem die höchstgelegenen Skigebiete der Alpen, was sie besonders schneesicher macht.» Ebenso kann es einen «Abschiedstourismus» geben, also Besuche von Attraktionen wie Gletscher, die infolge des Klimawandels verschwinden werden.
Ob sich die Vor- und Nachteile für die Tourismusbranche letztlich aufwiegen, ist schwer abzuschätzen. Gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft Seco kann sich der Bergsommer durchaus als Alternative zu den Mittelmeerregionen positionieren, welche vermehrten Hitzewellen ausgesetzt sind. Allerdings zeigen Studien, dass sich Touristen weniger von hohen Temperaturen als von Regen abschrecken lassen. Daneben dürften die Schweizer Seeregionen für den Badetourismus beliebter werden sowie die Städte von einer Mediterranisierung profitieren.
Zwar gibt es Möglichkeiten, sich dem veränderten Klima anzupassen – doch viele davon würden zusätzliche Kosten verursachen und nur kurzzeitig Abhilfe schaffen. Gefährdete Standorte könnten in neue, widerstandsfähigere Infrastrukturen investieren, Wintersportanbieter Schneekanonen einsetzen oder in grössere Höhen ausweichen. Doch bei hohen Emissionen von Treibhausgasen und einer starken Erwärmung ist es fraglich, ob eine Anpassung möglich ist.
Wohin die Reise geht, wird künftig noch stärker von der Nachhaltigkeit des Angebots beeinflusst. Eine aktuelle Studie von Booking.com zeigt: Jeder zweite Reisende möchte nachhaltiger unterwegs sein und 69 Prozent der Befragten wünschen sich mehr nachhaltige Reiseangebote.
Mit dem Projekt «Davos Klima 2030» und der Schaffung des «myclimate Klimafonds Davos» macht die Stadt einen weiteren Schritt in Richtung eines nachhaltigen Tourismus. «Die Bereitschaft, etwas für den Klimaschutz zu tun, wächst», so Kai Landwehr, Mediensprecher von Myclimate. Oft fehle es den Menschen an der Gelegenheit, dies im Alltag zu tun. Die Initiative für ein klimaneutrales Davos schaffe solche Möglichkeiten. Auf Initiative der Destinationsorganisation beteiligen sich Unternehmen aus dem Tourismus, Veranstalter wie das World Economic Forum oder der Hockey Club Davos sowie das Gewerbe am Projekt. Das WEF beispielsweise kompensiert seit 2016 den CO2-Ausstoss seines Jahrestreffens in Davos inklusive der Reisen aller Teilnehmenden.
Finanziert werden soll das Projekt von den touristischen und gewerblichen Anbietern sowie ihren Gästen und Kunden mit freiwilligen Beiträgen. 50 Prozent würden in Klimaschutzprojekte in der Schweiz und weltweit investiert. 35 Prozent sollen in Massnahmen gehen, mit welchen die Unternehmen ihre Betriebe nachhaltiger machen und 15 Prozent fliessen in den «myclimate Klimafonds Davos». Der Fonds soll Projekte vor Ort finanzieren, die CO2-Emissionen reduzieren.
Die Zukunft der Tourismusbranche ist mit Fragezeichen behaftet. Zwar sind Studien zu den Auswirkungen des Klimawandels verfügbar, doch die Inhalte differieren stark. Dies macht es schwer, allgemeingültige Schlussfolgerungen zu ziehen. Was jedoch klar ist: Der Klimawandel ist genauso real wie die Dringlichkeit, etwas dagegen zu tun.
(Andrea Decker)
17
17 der 18 wärmsten Jahre gab es seit der Jahrtausendwende, so die «World Meteorological Organization».
Auf den Tourismus entfallen gut neun Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.
2 °Celsius
Die Temperatur in der Schweiz ist im Jahresmittel um zwei Grad Celsius höher als noch 1864.
80 Zentimeter
80 Zentimeter ist der maximal zu erwartende Anstieg des Meeresspiegels bis zum Jahr 2100.
2020war so warm wie das Rekordjahr 2018. Nach einem rekordwarmen Winter folgte der drittwärmste Frühling mit einer anhaltenden Trockenperiode.
250 Mio.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) erwartet bis zum Jahr 2050 250 Millionen Klimaflüchtlinge.
500
Seit 1850 sind in der Schweiz mehr als 500 kleine Gletscher verschwunden wie der Pizolgletscher/SG.
Quelle: education21.ch
Das Buch «Tourismus und Klimawandel in Mitteleuropa» stellt den aktuellen Wissensstand und die Erfahrungen von Unternehmen und Regionen im Spannungsfeld zwischen Tourismus und Klimawandel in Mitteleuropa dar.
Springer Fachmedien
136 Seiten, Taschenbuch, 2016
ISBN 978-3-658-14706-8 Fr. 79.90