Bekleidung, Bettzeug, Möbel – Pflanzen und Pilze prägen unseren Lebensstil in Zukunft stärker und vielfältiger, als die meisten Menschen es sich heute vorstellen können.
Weiterverwerten anstatt wegwerfen – dieser Grundsatz ist nicht neu. Aber er gewinnt heute immer mehr an Aufmerksamkeit und Bedeutung. Zahlreiche Forscher und Jung-unternehmer wagen sich daran, neue Verwendungszwecke für Abfallprodukte aus der Lebensmittelverarbeitung zu finden. Zudem wird mit Pilzen und Pflanzenteilen experimentiert, um daraus marktfähige Produkte herzustellen. Auch für die Hotellerie.
Zugegeben, etliche Produkte befinden sich erst in der Pilotphase – «Kabier» und «Qmilk» jedoch zeigen, dass Abfallprodukte wertvolle Rohstoffe sind, mit denen sich gut geschäften lässt.
Seit gut 25 Jahren füttert und massiert Landwirt Sepp Dähler in Stein/AR seine Rinder mit Biertreber. Das Abfallprodukt aus der Bierherstellung bezieht er von der Brauerei Locher in Appenzell/AI. Das Fleisch der Rinder verkauft Dähler seit 1999 ans Hotel Hof Weissbad in Weissbad/AI. Aus dem Fell, Leder und Horn stellen lokale Produzenten Bekleidungs-, Gebrauchs- und Dekoartikel her.
Weniger lange als Kabier, aber immerhin auch schon gut zehn Jahre ist Qmilk auf dem Markt. Aus Milch, die nicht mehr zum Verzehr geeignet ist, stellt die Mikrobiologin und Modedesignerin Anke Domaske verschiedenste Alltagsgegenstände her. Die Produktpalette umfasst Kosmetika, Verpackungsmaterial sowie Kleider, Frottee- und Bettwäsche aus Milchproteinfasern.
Wer nicht in Bettwäsche aus Milch schlafen möchte, kann sich mittlerweile auch unter Bettdecken aus Sojaseide kuscheln oder solchen, gefüllt mit Seacell-Fasern. Diese Fasern werden aus einer mineralstoffreichen Meeresalge hergestellt. Sie regulieren die Feuchtigkeit und sind anschmiegsam. Letzteres gilt auch für Piñatex, auch Ananasleder genannt. Für diesen flexiblen, atmungsaktiven Stoff werden die Blätter der Ananas, die sonst nur kompostiert würden, verwendet. Auch Apfelleder wird aus einem Abfallprodukt hergestellt. Das Lederimitat aus Apfeltrester hat die gleichen Eigenschaften wie das Original. Es ist wetterfest, windbeständig und kann zur Reinigung einfach mit einem feuchten Lappen abgewischt werden.
(Riccarda Frei)
Bei der Herstellung von Apfelmus und Apfelsaft bleiben Stängel, Fasern und Schalen übrig. Der so genannte Trester wurde bis anhin kompostiert als Tierfutter oder Brennstoff benutzt. Inzwischen werden daraus essbare Trinkhalme oder auch das so genannte Apfelleder hergestellt. Dazu wird der Trester getrocknet, pulverisiert und mit anderen Zutaten gemixt gleichmässig auf Baumwollstoff aufgetragen. Bei 130 Grad werden alle Komponenten verschmolzen. Dadurch wird das Material widerstandsfähig und wetterbeständig. Apfelleder kann wie echtes Leder für Schuhe, Taschen, Bekleidung und Möbel verwendet werden. Seine Pflege ist einfach. Ein feuchter Lappen genügt. Auf spezielle Pflegemittel kann verzichtet werden.
Biertreber ist ein Rohstoff, der in Zukunft im Alltag allgegenwärtig sein könnte. Zumindest, wenn es nach der Schweizer Designerin Noemi Niederhauser geht. Sie hat dem Brauprozess-Abfallprodukt ein Bindemittel beigegeben, es gepresst und getrocknet. Entstanden ist ein Material, das wie Spanholz aussieht und sich auch so anfühlt. Im Gegensatz zu den Holzplatten lässt sich der Biertreberbrei in alle erdenklichen Formen giessen. 2022 hat Noemi Niederhauser an der weltgrössten Wohnmesse, dem Salone del Mobile in Mailand, ihre Möbelprototypen aus Biertreber präsentiert.
Aus Blättern, die bei der Ananasernte übrig bleiben, wird Piñatex hergestellt. Das Ananasleder erfunden hat Carmen Hijosa, Gründerin des Start-ups Ananas Anam. Die Herstellung von Piñatex ist günstiger als die Produktion von Leder. Es kann jedoch gleich verwendet werden und kommt bereits bei Schuhen, Taschen, Möbelstücken und Kleidung zum Einsatz. Da Piñatex mit einem erdölbasierten Harz beschichtet wird, ist es nicht biologisch abbaubar. Ananas Anam arbeitet an einer biologischen Alternative für dieses Harz.
Aus Abfallmilch wird die Faser Qmilk hergestellt. Sie ist 100 Prozent natürlich, weich wie Seide und dazu auch noch hautpflegend. Als einzige Naturfaser hat sie thermobondierende Eigenschaften. Damit können auch andere Naturfasern ohne Kunststoffe oder Phenolharze verbunden werden. Sogar ein Kunststoff namens Qmilk Biopolymer wird aus abgelaufener Milch produziert. Der Kunststoff ist antibakteriell, schwer entflammbar und innert weniger Monate biologisch abbaubar.
Als Rauschmittel ist Hanf in Verruf geraten. Dabei hat die Pflanze viele andere tolle Eigenschaften. Ihre Fasern sind sehr reissfest, schnelltrocknend und laden sich nicht elektrostatisch auf. Ausserdem vermitteln Kleider aus Hanf ein kühlendes Tragegefühl, und der Stoff unterdrückt die Entstehung von Gerüchen. Zudem ist Hanf einer der am schnellsten nachwachsenden Rohstoffe. Er wächst pro Woche etwa 30 Zentimeter und ist nach 100 bis 120 Tagen bereit zur Ernte. Im Gegensatz zu Baumwolle kann Hanf regional in der Schweiz angebaut werden. So unkompliziert Hanf im Anbau ist, so kapriziös ist er als Stoff zu reinigen. Gewaschen werden sollte er bei maximal 30 Grad. Bei Flecken immer das ganze Kleidungsstück waschen, da bei der Fleckenbehandlung helle Scheuerstellen entstehen könnten.
Der Design-Student Maurizio Motalti suchte nach Materialien, die irgendwann Kunststoffe ablösen werden. Er experimentierte mit Pilzen, die er im Labor auf Nährböden aus Kaffee- oder Teesatz oder Baumwolle züchtete. Bei seinen Versuchen ist ein Stoff entstanden, der sich wie Latex anfühlt. Daraus hat er ein Kleid geschneidert, das nach dem Tragen nicht in die Waschmaschine, sondern auf den Kompost kommt. Wirklich neu ist der Ansatz, Textilien aus Pilzen herzustellen, nicht. Im Westen der USA haben die Ureinwohner den Agarikon-Pilz schon lange in Verwendung. Das Myzel, die feinen, verschlungenen, fadenförmigen Zellen dieses Pilzes, ist gleichzeitig robust und geschmeidig. Es wird unter anderem zur Herstellung von Taschen eingesetzt.
Sojaseide besitzt ähnliche Eigenschaften wie tierische Seide. Sie ist weich, glatt und verfügt über einen schimmernden Glanz. Sie ist temperaturausgleichend und nimmt viel Feuchtigkeit auf. Im Gegensatz zur Seide der Seidenraupe knittert Sojaseide kaum, und sie ist biologisch vollständig abbaubar. Hergestellt wird Sojaseide aus Sojaprotein. Dieses fällt als Nebenprodukt und Produktionsresten bei der Tofuherstellung an. Bereits in den 1940er-Jahren experimentierten Textildesigner in Amerika mit Sojaproteinen. Henry Ford, der Autofabrikant, soll einen Anzug aus Sojaseide besessen haben. Heute wird dieses Material hauptsächlich für Kleidung und Wohnaccessoires verwendet.
In der Kleiderindustrie werden gleich mehrere Holzsorten zu Stoffen verarbeitet. Ecovero beispielsweise ist eine umweltfreundlichere Viskose. Sie wird nur aus Holz hergestellt, das aus verantwortungsvoll bewirtschafteten Wäldern stammt. Ebenfalls aus Zellstoff, der aus Buchenholz stammt, wird Modal hergestellt. Während Ecovero nur mit 30 Grad warmem Wasser gewaschen werden sollte, verträgt Modal Temperatu-ren bis 60 Grad .
Ob als Futter für Pandas, als Baumaterial oder als Ersatz für Plastikgeschirr – Bambus ist ein Tausendsassa. Die zu den Gräsern gehörende, schnell wachsende Pflanze kann sogar zu Kleidung verarbeitet werden. Bambus-Viskose ist äusserst atmungsaktiv, nimmt Feuchtigkeit gut auf und wirkt temperaturausgleichend. Der Stoff aus Bambus verfügt über einen leichten Glanz und ist eine gute Alternative zu Seide. Im Gegensatz zu Seide ist Bambus-Viskose pflegeleicht. Der Stoff kann bis zu 60 Grad heiss gewaschen werden. Aufs Trocknen im Tumbler ist jedoch zu verzichten. Da Bambusfasern kaum knittern, müssen sie nicht gebügelt werden.