Die Hotellerie und Gastronomie in Gesundheitsinstitutionen müssen sich zahlreichen Herausforderungen stellen. Neue Systeme und Herangehensweisen können den Alltag vereinfachen, Geld und Arbeitszeit sparen. Jetzt ist der Moment, um alte Gewohnheiten zu hinterfragen.
Alice Rufer Hohl, Sie beraten Gesundheitsinstitutionen in den Bereichen Hotellerie und Verpflegung. Mit welchen Herausforderungen hat dieser spezifische Bereich aktuell zu kämpfen?
Alice Rufer Hohl: Der Bereich befindet sich in einem Spannungsfeld verschiedener Herausforderungen. Als bedeutendste erachte ich das Thema Kostendruck. Die Institutionen haben nicht mehr so viel Geld zur Verfügung, das spüren vor allem die Infrastrukturbereiche. Dazu kommen veränderte Ansprüche der Bewohnenden und Patienten, aber auch der Mitarbeitenden.
Wie haben sich die Ansprüche verändert?
Die Ansprüche sind höher und diverser geworden. Die Generation, die alles einfach hingenommen hat, verschwindet. Angesichts der hohen Preise sinkt gerade im Langzeitbereich die Toleranz für ungenügende Leistungen und die Anforderungen werden höher. Dazu kommen vermehrt unterschiedliche kulturelle Hintergründe und Bedürfnisse.
Wie wirken sich diese Veränderungen auf den Bereich der Verpflegung aus?
Die Aufenthaltsdauer im Spital wird immer kürzer. Die Zeiten, in denen Küchenchefs eine Jahresmenüplanung gemacht haben, sind vorbei. Die Mahlzeiten, die wir einem Patienten servieren, müssen in erster Linie eine vollwertige Ernährung bieten. Abwechslung spielt eine untergeordnete Rolle. Heute haben sich die Essenszeiten zudem stark individualisiert. Darauf müssen wir reagieren und diese Entwicklung so nutzen, dass sie für uns auch Vorteile bringt.
Wie steht es um die Ansprüche der Mitarbeitenden?
Diese darf man auf keinen Fall vergessen. Je grösser der Druck auf dem Arbeitsmarkt wird, desto mehr muss auch die Mitarbeiterverpflegung als Anreiz dienen können. Spielt zum Beispiel das Thema vegane Ernährung bei Patienten und Bewohnenden noch eine untergeordnete Rolle, wird es von den Mitarbeitenden bereits gefordert. Darauf müssen wir eine Antwort haben.
Wie bringt man all diese Ansprüche unter einen Hut?
Hier sind Konzepte gefordert, die für die einzelnen Segmente separate Angebote vorsehen. Im Spitalbereich sehe ich die Antwort im Patientenbereich bei flexiblen Bestell- und Verpflegungssystemen wie Serve on Demand. Man wird zeitlich unabhängig und der Verpflegungsprozess wird entkoppelt vom Medizinischen. Auch in der Langzeitpflege wäre ein solches System denkbar mit einem Menüplan, der mehr Abwechslung bietet. Zudem braucht es eine separate Schiene für die Mitarbeitendenverpflegung mit mindestens einem eigenständigen, vegetarischen Angebot.
Flexible, schlanke Verpflegungssysteme haben Zukunft: Neben Serve on Demand ist in bestimmten Schweizer Spitälern das sogenannte Micropast-System im Einsatz. Wie funktioniert es?
Die Methode Micropast wurde am Universitätsspital Basel USB an die Schweizer Bedürfnisse angepasst und ist zudem im Kinderspital Basel sowie im Spital Wil/SG im Einsatz. Es handelt sich um thermisch entkoppeltes Produzieren. Die Mahlzeiten werden im USB auf einer Produktionsstrasse zubereitet, in Schalen abgefüllt, pasteurisiert, mit Stickstoff luftdicht verpackt und so für drei Wochen haltbar gemacht. Das USB produziert auf diesem Weg insgesamt 21 Menüs, die in Kühlschränken auf den Stationen gelagert werden. Die Mahlzeiten werden dann je nach Bedarf von Mitarbeitenden aus der Hotellerie in der Mikrowelle regeneriert und auf einem Teller für die Patienten angerichtet.
Wie weit sind die Schweizer Spitäler bei der Einführung neuer Verpflegungssysteme?
Sowohl Micropast als auch Serve on Demand sind im Ausland nichts Neues. Die Projekte in Frauenfeld und im USB haben den Modellen eine gewisse Swissness verpasst. Allgemein ist die Skepsis in den Schweizer Institutionen noch gross, es findet aber ein Wandel statt. Gerade an Standorten, wo neue Häuser geplant werden, setzen sich die Verantwortlichen damit auseinander. So hat beispielsweise das Spital Aarau den Grundsatzentscheid gefällt, ein thermisch entkoppeltes System einzuführen. Weil bei Serve on Demand frisch und regional gekocht werden kann, ist die Akzeptanz dieser Herangehensweise tendenziell höher.
Gerade angesichts des Fachkräftemangels dürften die Institutionen früher oder später gezwungen sein, sich mit schlankeren Systemen auseinanderzusetzen.
Das ist so. Obwohl es aufgrund der Arbeitszeiten noch einfacher ist, Mitarbeitende für die Gastronomie im Gesundheitsbereich zu finden, wird es auch dort eng. Man muss die Prozesse optimieren und neu denken. Eine Möglichkeit, gerade bei kleineren Betrieben, wäre es auch, beispielsweise mit Rezeptdatenbanken zu arbeiten und die Menüplanung und den Einkauf auszulagern.
Wie geht man in einem hochkomplexen Betrieb wie einem Spital Systemumstellungen an?
Solche Umstellungen muss man als Projekt sehen, angefangen bei der Evaluation: Welche Antworten muss ein neues System liefern, wie sollen die Prozesse im Betrieb künftig aussehen? Wenn der Entscheid für eine Variante gefällt wurde, muss die Einführung eng begleitet werden. Steht eine Schlüsselperson wie der Küchenchef nicht dahinter oder wird die Kontrolle nicht sauber gemacht, kann ein Projekt schnell kippen. Ebenso wichtig ist der Zeitfaktor. Wird ein neues System nicht innerhalb eines Jahres umgesetzt, kann das Ganze im Sand verlaufen und teure Software wird am Ende nur teilweise genutzt.
Wird ein neues System eingeführt, kommt es nicht selten zu neuen Aufgabenverteilungen – gerade zwischen Hotellerie und Pflege. Dieser Punkt sorgt häufig für Diskussionen.
Das ist tatsächlich ein grosses Problem. Wir kommen hier nicht vom Fleck, weil immer wieder über Stellenpläne diskutiert wird und niemand Stellen abgeben möchte. Die Diskussion findet aber zu einem Zeitpunkt statt, in dem in der Pflege viele Stellen gar nicht besetzt werden können. Oft fehlt auch die Bereitschaft, Prozesse – sowohl in der Pflege als auch in der Hotellerie – zu überarbeiten. Schaut man diese Prozesse aber einmal sauber an, kommt man zu einer logischen Schlussfolgerung, wer wofür verantwortlich sein sollte.
Wie sehen diese Verantwortlichkeiten Ihrer Meinung nach im besten Fall aus?
Wenn ich die Abläufe anschaue, sehe ich keinen Grund, warum der Verpflegungsprozess vor dem Patientenzimmer aufhören soll. Mit Ausnahme der Patienten, die Schluckstörungen haben und Unterstützung brauchen, sollte die Verpflegung von A bis Z bei der Hotellerie angesiedelt sein. Wir haben genügend Praxis, um zu wissen, dass das funktioniert.
Zusammengefasst: Wie sieht die Spitalhotellerie und -Gastronomie der Zukunft Ihrer Meinung nach aus?
Medizinischpflegerische Prozesse müssen von der Verpflegung getrennt werden. Eine Entkopplung würde auch bedeuten, dass die Pflegenden flexibler arbeiten, sich verpflegen und Pause machen könnten, da sie nicht an die Essensausgabe gebunden wären. Ich sehe ausserdem, dass wir bei der Patientenverpflegung schlanke Prozesse haben werden und den Mitarbeitenden ein Verwöhnprogramm bieten müssen. Fachkräftemangel und Kostendruck sorgen zudem dafür, dass vermehrt Caterer in diesen Markt drängen werden, gerade in kleineren Spitälern. Es bleibt auf jeden Fall spannend zu sehen, was sich im Gesundheitsbereich noch alles ergeben wird.
(Alice Guldimann)
Um 11 Uhr Mittagessen, um 17 Uhr Abendessen. In der Küche stehen zahlreiche Mitarbeitende am Band, um die Mahlzeiten rechtzeitig zu liefern. Dieses System haben zwei Schlüsselpersonen am Kantonsspital Frauenfeld vor einigen Jahren hinterfragt: Küchenchef Marco Dorigo und Leiterin Hotellerie Sandra Frey. Sie suchten für das neue Bettenhaus ein System, das den Patienten mehr Selbstbestimmung ermöglicht und Food Waste reduziert.
Die Lösung fanden sie mit Serve on Demand. Seit der Eröffnung des Neubaus im Februar 2020 bestellen die Patienten ihr Essen grösstenteils individuell und zeitlich flexibel. Sie können wählen zwischen zwei Tagesmenüs und einem À-la-carte-Angebot. Mag jemand erst um 14 Uhr und nur eine kleine Suppe essen, kann er das problemlos tun. Via Patiententerminal wählt der Patient einen Zeitslot von einer Viertelstunde, in dem er das Essen erhält. Küche und Room Service brauchen 45 Minuten Vorlaufzeit.
Das Team von Marco Dorigo kann pro Viertelstunde 36 Bestellungen abarbeiten. Danach wird der entsprechende Zeitslot für die Patienten gesperrt. «Ein Algorithmus sorgt dafür, dass die Mahlzeiten auf dem Servierwagen nach Station und Zimmer sortiert werden und der Room Service möglichst kurze Wege hat», erklärt der Küchenchef.
Für sein Team hat sich seit der Umstellung einiges verändert. Da das Frühstück neu via Frühstückswagen über den Room Service zu den Patienten kommt, fangen alle in der Küche später an und bleiben bis nach dem Abendessen. «Aufgrund der Zehn-Stunden-Schichten haben alle 30 Tage zusätzlich frei», so Dorigo. Mit dem Wegfallen des Anrichtens am Band kann er die Patientenverpflegung mit weniger Mitarbeitenden bewältigen. «Es macht etwa 25 Prozent aus.»
Vor der Umstellung habe gegenüber dem À-la-carte-Bestellsystem im Team eine gewisse Skepsis geherrscht. «Es haben aber alle schnell gemerkt, dass es ein viel angenehmeres Arbeiten ist», sagt der Küchenchef. Das Team habe sich rasch angepasst und sei nach wenigen Tagen eingespielt gewesen. «Was rückblickend wirklich erstaunlich ist», so Dorigo.
Auch dem Ziel Nachhaltigkeit ist das Spital mit Serve on Demand nähergekommen. «Im Vergleich zu vorher sparen wir rund 50 000 Mahlzeiten im Jahr ein, das sind etwa 15 Tonnen Lebensmittel.» Schnell habe sich gezeigt, dass nur wenige Patienten zwei grosse Mahlzeiten bestellen. «Die meisten essen wie zuhause und bestellen am Abend etwas Kleineres, wenn sie am Mittag das Menü gegessen haben.» Auch die Bestellzeiten passten sich den Gewohnheiten an, mit den Hauptzeiten um 12 und 18 Uhr.
Das neue System habe sich seinen Platz im Spitalalltag verdienen müssen, sagt Sandra Frey. «Besonders auf Stationen, wo der Alltag stark strukturiert abläuft, hat das etwas länger gedauert.» Mittlerweile sei Serve on Demand etabliert, und mit der Zeit hätten sich die Bestellungen immer mehr über den Tag verteilt.
80 Prozent der Patienten bestellen aktuell selbst. Patienten mit stark einschränkenden Kostformen sind noch ausgeschlossen, das soll sich aber bald ändern, und auch sie sollen die Möglichkeit erhalten, selbst zu wählen.
«Nachdem wir so lange an dem System gearbeitet haben, sind wir sehr glücklich, dass es jetzt erfolgreich im Einsatz ist», so Marco Dorigo. Sandra Frey stimmt ihm dabei zu: «Verpflegungssysteme, die tagesaktuelle Bestellungen zulassen und flexibel sind in Bezug auf Menge und Zeit, sind bereit für die Zukunft.»
(agu)
Alice Rufer Hohl ist selbständige Beraterin mit Schwerpunkt auf der strategischen Ausrichtung und Organisation der Hotellerie in Gesundheitsinstitutionen. Sie verfügt über 20 Jahre Erfahrung als Leitung Hotellerie in den Kantonsspitälern Liestal und Aarau. Ausserdem ist sie ausgebildete Betriebsökonomin FH und verfügt über einen Executive MBA in General Management und Leadership.