Wein zelebrieren und grossartige Erlebnisse bieten, bedeutet mehr als nur Zapfen ziehen.
In der Gastronomie werden die meisten Flaschen Wein unmittelbar vor dem Genuss geöffnet. Wenn ein Geniesser, eine Geniesserin dann am Glas riecht, kommt das Gefühl auf, dass etwas nicht ganz stimmt. Leicht enttäuscht schnuppern sie weiter, kramen in ihrer Erinnerung und kommen zur Erkenntnis, dass der letzte Schluck einer vormaligen Flasche besser schmeckte. Dass der letzte Tropfen immer am besten schmeckt, hat nichts mit der Melancholie über Verflossenes zu tun. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz. Und dieses beruht auf einer simplen Logik.
Damit der Most nicht oxidiert und der Wein vorzeitig altert, wird er mit schwefliger Säure geschützt. Im frühen Stadium zugefügte Sulfite haben, das ist wissenschaftlich belegt, einen negativen Einfluss auf die Gärung. Diese kann stoppen und der Wein behält Restzucker, Süsse, die unter Kennern verpönt ist. Auch können traubeneigene Tannine spröde und trocknen werden und den späteren Weingenuss stören. Um das zu verhindern, keltern viele Winzer ihre Moste ohne Schwefelzugabe und vergären sie reduktiv, also unter Ausschluss von Sauerstoff. Dabei müssen sie höllisch aufpassen, dass der Wein keinen Böckser entwickelt, der nach faulen Eiern riechen würde.
Für feine Nasen riecht auch die Reduktion nicht angenehm. Etwa so, wie wenn der Wein keine Fruchtigkeit hätte. Zu Hause wird die angebrochene Flasche mit dem Korken oder Schrauber verschlossen in eine Ecke gestellt. Tage später erinnert man sich an sie und schenkt mangels Alternativen ein. Oha! Mit dem bisschen Sauerstoff, der in die Flasche gelangte, hat sich der verschlossene Wein geöffnet. Der reduktive Stinker ist verflogen und der Wein duftet wunderbar nach den Blüten, Früchten oder Gewürzen, welche die Sinne betören. Der Überraschung folgen Zufriedenheit und mindestens eine Frage:
Ganz einfach: Die Flasche öffnen und zügig in eine bauchige Karaffe giessen. Geübte lassen den Wein in einem dünnen Strahl in die Karaffe plätschern. Vorsicht ist nur so weit geboten, dass der Wein nicht neben die Karaffe patzt. Junge Weine sind robust, vertragen einiges und haben in der Regel keinen Bodensatz.
Im Unterschied zum Karaffieren, dem Belüften junger Weine, ist bei reiferen Semestern Vorsicht geboten. Es gilt, die einige Tage stehend gelagerte Flasche ohne Schütteln zu öffnen und ohne den Bodensatz aufzuwirbeln, in einen schlanken Dekanter umzufüllen. Schlank deshalb, weil gereifte Weine unter einem Zuviel an Sauerstoff oxidieren, was den Trinkgenuss trübt.
Was bei Rotwein wirkt, funktioniert übrigens auch bei Rosé oder Weisswein. Da empfehlen sich schlanke Dekanter, die passen in Eiskühler.
(Gabriel Tinguely)