Er leitet die Appenzeller Alpenbitter AG in vierter Generation. Pascal Loepfe-Brügger ist sich der Familientradition bewusst und denkt an Enkel, die er nicht hat.
Pascal Loepfe-Brügger, wie schaffen Sie den Spagat zwischen Tradition und Fortschritt?
Es liegt in unseren Genen, dass wir die Tradition ehren, langfristig und sorgfältig planen, dabei innovativ sind und enkeltauglich handeln.
Enkeltauglich? Wie ist das zu verstehen?
Im Denken und Handeln unserer Familie dauert ein Quartal nicht drei Monate, sondern 25 Jahre. Entscheidungen werden dahingehend überprüft, ob sie für die nächste und übernächste Generation vorteilhaft sind oder nicht.
Nennen Sie uns ein Beispiel?
Unsere Brennerei liegt am Rande von Appenzell/AI. Unseren Grossvätern war klar, dass der Betrieb, wenn er sich je vergrössern will, dies nur in Richtung Osten kann. Deshalb kauften sie vorausschauend das angrenzende Grundstück. Heute profitieren wir davon, weil wir die Lagerkapazität auf unserem eigenen Grund mit einem Neubau vergrössern können. Wir investieren derzeit zwölf Millionen Franken in den Neubau und haben ihn so geplant, dass er für die kommenden Generationen nützlich ist. Unter anderem wird die Zufahrt so geleitet, dass Lastwagen weniger durchs Quartier und nicht mehr über unseren Hof fahren müssen. Zudem wird der Neubau aus Holz aus unserem eigenen Wald gebaut. Wir bauen eine moderne Variante der Appenzellerhäuser mit Giebeldächern und Schindelwänden, die das Ortsbild bereichert. Durch Einbinden bestehender, alter Gebäudeteile halten wir Bodenfläche frei, damit spätere Generationen auch noch expandieren können.
Gibt es noch weitere Beispiele?
Vor acht Jahren haben wir mit sieben Bauernfamilien das Projekt Appenzeller Bergkräuter gestartet, weil wir möglichst viele Kräuter, die wir für unseren Appenzeller Alpenbitter benötigen, aus regionalem Anbau beziehen wollen. Zudem legen wir seit 2016 jedes Jahr ein Feld mit gelbem Enzian an. Wir möchten mehr über diese, in der Schweiz geschützte Wildpflanze wissen, deren Wurzeln erst nach fünf, sechs Jahren erntereif sind. Dies, um sie später einmal gewerblich anzubauen.
Hilft Ihnen die langfristige Denk- und Handlungsweise auch aktuell?
Auf jeden Fall. Wir legen Wert auf langjährige, bewährte Partnerschaften. Das half uns, einen drohenden Abfüllstopp zu verhindern. Wir lassen unsere Flaschen seit vielen Jahren von der Vetro-pack AG herstellen. Als deren Fabrik in der Ukraine im Krieg zerstört wurde, musste ihr Werk in Österreich, das unsere Flaschen herstellt, die Ausfälle auffangen. Das bedeutete, dass wir als eher kleiner Abnehmer kaum Nachschub bekamen und fast nicht mehr hätten abfüllen können. Dank unserer über Generationen gepflegten Beziehung zu unseren Lieferanten kamen wir trotzdem zu genügend Flaschen.
Gehen Sie davon aus, dass Ihre Kinder das Unternehmen nach Ihnen weiterführen?
Meine Töchter sind erst fünf und sieben Jahre alt. Es ist noch zu früh, um sagen zu können, ob sie Interesse und Talent dafür haben. Der Verwaltungsrat wird es dereinst mit meiner Nachfolge so halten wie unsere Vorfahren: Die am besten geeignete Person wird das Unternehmen führen. Dabei spielen Familienzugehörigkeit, Alter und Geschlecht keine Rolle.
Wirklich nicht?
Wir sind keine Royals. Bei uns gibt es kein Geburtsrecht auf den Chefsessel. Bevor ich 2020 die Geschäftsführung übernahm, war die operative Leitung 50 Jahre lang in der Hand eines Familienexternen. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Als die Stelle des Geschäftsführers der Appenzeller Alpenbitter AG neu zu besetzen war, musste ich mich einem mehrmonatigen Assessment unterziehen und mich gegen viele Kandidaten durchsetzen.
Was wünschen Sie sich, dass Ihre Nachkommen über Sie und Ihre Zeit als CEO sagen?
Als Erstes wünsche ich mir, dass das Unternehmen über weitere Generationen hinaus gesund bleibt. Wir, die zwei Aktionärsfamilien und die Mitarbeitenden, setzen uns täglich dafür ein, dass sich dieser Wunsch erfüllt. Im Weiteren wünsche ich mir, dass die Kinder, Enkel- und Urenkel unserer heutigen Aktionärsfamilien von uns dasselbe sagen, wie wir von unseren Vorgängern. Nämlich: «Unsere Vorfahren haben das toll gemacht! Sie haben das Unternehmen mit grossem Engagement und enormer Weitsicht zum Wohl aller Beteiligten geführt.»
(Interview Riccarda Frei)