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«Das 2023 war für uns ein sehr, sehr gutes Jahr»

Das Gastgewerbe hat sich von den Corona-Jahren erholt. Die Gäste sind da, aber es fehlt an Personal. Daran sei die Branche selber schuld, findet der Geschäftsleiter der Hotel & Gastro Union.

Urs Masshardt, wie war das Jahr 2023 für die Hotel & Gastro Union?
Urs Masshardt: Sehr gut. Wir konnten die Zahl unserer Mitglieder massiv steigern und haben dadurch an politischem Gewicht zugelegt. Je mehr Mitglieder einem Berufsverband beitreten, desto mehr können wir in der Branche für sie bewirken. Ebenfalls positiv ist, dass uns die Öffentlichkeit nicht nur besser, sondern auch vermehrt als starke, vermittelnde, lösungsorientierte Berufsorganisation wahrnimmt.

Urs Masshardt erreicht im September das Pensionsalter. 2024 wird daher sein letztes Jahr als Geschäftsleiter der Hotel & Gastro Union sein. (Filipa Peixeiro)

Wie hat die Hotel & Gastro Union das geschafft?
Unter anderem durch unsere Unterschriftenkampagne «Gemeinsam gegen Personalmangel». Wir haben Gastrosuisse über 20 200 gesammelte Unterschriften überreicht und damit die Arbeitgeber eingeladen, sich wieder an den L-GAV-Verhandlungstisch zu setzen. Gleichzeitig konnten wir Mitglieder und Nicht-Mitglieder wachrütteln und ihnen zeigen, dass wir gemeinsam viel erreichen. Und dass jeder und jede Einzelne wichtig ist, um unsere Branche voranzubringen.

Wie geht es denn nun mit den Verhandlungen des Landes-Gesamtarbeitsver­trages L-GAV weiter?
Das hängt davon ab, ob die Delegierten von Gastrosuisse an ihrer Versammlung im Frühling 2024 bereit sind, die Gesprächsblockade aufzugeben, so dass die Verhandlungen zeitnah wieder aufgenommen werden können.

Warum sind die Wiederaufnahme der Verhandlungen und das Ausarbeiten eines neuen L-GAV so wichtig?
Das Gastgewerbe steht in Bezug auf Berufsnachwuchs und Arbeitskräfte in Konkurrenz zu allen anderen Branchen. Verkehrsbetriebe und Polizei beispielsweise werben gezielt unsere Berufsleute ab. Gelingt ihnen das, ist dies ein echtes Armutszeugnis für unsere Branche. Ausserdem ist die Zahl der Lehrverhältnisse um 40 Prozent kleiner als noch vor zehn Jahren. Und ein Drittel der Lernenden weiss bereits im zweiten Ausbildungsjahr, dass es die Branche verlassen wird. Das ist katastrophal. Um das Blatt zu wenden, müssen wir besser sein als die anderen Branchen. Die Grundlage dafür ist ein zeitgemässer, wertschätzender L-GAV.


«Auch die Lernenden sollten dem L-GAV unterstellt werden.»


Sie sagten einmal überspitzt: «Der Fachkräftemangel ist selbstverschuldet» und «Fachkräftemangel ist ein Fake». Wie ist das gemeint?
Wir haben keinen Fachkräftemangel, sondern ein Nachwuchsproblem. Bereits vor zehn Jahren war abzusehen, dass wir zu wenig Lernende haben werden, was unweigerlich zu fehlenden Fachkräften führt. Und dies nicht nur als Folge der allgemeinen demografischen Entwicklung. Auch die Abwanderung unserer Mitarbeitenden in andere Branchen war schon lange zu beobachten. Statt bessere Rahmenbedingungen für Angestellte zu schaffen und das Gastgewerbe als interessanten, lukrativen Arbeitsort zu etablieren, hat man Personallücken durch ausländische Mitarbeitende gestopft. Diese Massnahme reicht inzwischen aber längst nicht mehr aus.

Warum hat niemand früher die Notbremse gezogen?
Die Hotel & Gastro Union versucht bereits seit vielen Jahren, mit ihrem Manifest die Branche zu sensibilisieren und Lösungsansätze aufzuzeigen. Dieses Manifest kann übrigens auf unserer Website nachgelesen werden. Der Handlungshebel liegt jedoch in den Händen der Arbeitgeber und ihrer Verbände.

Sie haben sicher den einen oder anderen Handlungsvorschlag.
Wir müssen alles daran setzen, dass sich Arbeitnehmende in unserer Branche wohlfühlen. Dazu gehört, dass sie vom Lohn leben können, Wertschätzung erfahren und beruflich gefördert werden. Zugegeben, für kleine Betriebe ist eine individuelle Karriereplanung für ihr Personal schwierig, aber grössere oder gar Kettenbetriebe sollten sie betreiben. Im Weiteren müssten auch die Lernenden dem L-GAV unterstellt werden. Dann könnten die 2500 Franken Bildungskosten, die sie im Schnitt für Notebook, Fachbücher und Lernsoftware bezahlen, durch den L-GAV finanziert werden. Generell dürfen wir den immensen Vorteil, den unsere Branche mit dem L-GAV-finanzierten Aus- und Weiterbildungskonzept hat, nicht verspielen.

Doch das befindet sich gerade im Wandel. Aus Budgetgründen werden ab 2024 nicht mehr alle Aus- und Weiterbildungen subventioniert.
Was ich persönlich sehr bedauere. Die Branche schiesst sich damit selber ins Knie.

Was sollte die Branche stattdessen tun?
Man sollte den Vollzugskostenbeitrag leicht erhöhen. Das wäre eine gute Sache. Denn schon eine moderate Erhöhung um nur zehn Franken pro Person im Jahr würde zwei Millionen Franken zusätzlich für den Bildungsfonds generieren. Aus diesem Bildungsfonds werden die L-GAV-subventionierten Aus- und Weiterbildungen finanziert.


«Die moderate Erhöhung des Vollzugs­kostenbeitrags wäre eine gute Sache.»


Kürzlich wurde bekannt, welche Aus- und Weiterbil­dungen in welcher Höhe subventioniert werden sollen. Was halten Sie von der Auswahl?
Den aktuellen Verteilschlüssel für das Jahr 2024 finde ich unfair. Mit den Vollzugskostenbeiträgen, die heute zu 80 Prozent von den Arbeitnehmenden bezahlt werden, sollten primär Bildungsangebote für Arbeitnehmende finanziert werden und nicht, wie jetzt geplant, Kurse für Arbeitgebende. Das muss sich ändern.

(Riccarda Frei)


Zur Person

Urs Masshardt ist seit 17 Jahren Geschäftsleiter der Hotel & Gastro Union. Unter anderem ist er Stiftungsratspräsident der SHL Schweizerischen Hotelfachschule Luzern, Verwaltungsratspräsident des Art Deco Hotels Montana in Luzern und Vizepräsident von Travail Suisse, dem Dachverband der Arbeitnehmerverbände.


Mehr Informationen unter:

hotelgastrounion.ch