Setzen Touristen nach der Pandemie auf mehr Nachhaltigkeit? Nicht wirklich, sagt Xavier Font. Umso wichtiger sei es, umweltbewusstes Engagement richtig zu vermarkten.
Xavier Font, Sie beraten Betriebe im Bereich der Vermarktung von Nachhaltigkeitsbemühungen. Können Sie uns ein paar Tipps verraten?
Bevor man ein Produkt oder eine Destination als nachhaltig vermarktet, sollte man bedenken: Die Touristen sind in den Ferien und werden sich fragen, was ihnen die Nachhaltigkeit eines Betriebs bringt. Die wenigsten Gäste setzen auf ein nachhaltiges Produkt, wenn sie dafür in den Bereichen Qualität, Komfort, Location oder Preis erhebliche Kompromisse eingehen müssen. Daher sollte man die Stärken des Produkts betonen: Macht es mehr Spass als herkömmliche Angebote? Ermöglicht es ein tieferes kulturelles Eintauchen? Oder bietet es eine Chance, die echte Schweiz zu entdecken und Aussergewöhnliches zu erleben?
Nicht jeder Betrieb hängt die Nachhaltigkeit an die grosse Glocke. Sie sprechen von so genanntem Greenhushing. Was meinen Sie damit genau?
Greenhushing bedeutet, dass man seine Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit bewusst nicht vermarktet. Dies aus Angst, dass der Gast das Gefühl hat, nachhaltige Produkte seien weniger komfortabel oder teurer. Meine Forschung zeigt, dass 70 Prozent der Nachhaltigkeitsmassnahmen nie kommuniziert werden. Der Hauptgrund dafür ist, dass Unternehmen oft nicht wissen, wie sie nachhaltige Angebote positiv vermarkten.
Wieso stellt Greenhushing ein Problem dar?
Es ist eine verpasste Chance, dem eigenen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Wenn man die Nachhaltigkeit seines Produkts als einen zusätzlichen Wert vermarktet, gibt man den Gästen und Konsumenten die Chance, ihrem Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit nachzukommen. Jedes Mal, wenn Nachhaltigkeit als harte Arbeit, als teuer oder Verlust von Komfort dargestellt wird, gibt man den Kunden das Gefühl, dass Nachhaltigkeit nichts für sie sei.
Wie schätzen Sie die Nachhaltigkeit des Tourismus in der Schweiz ein?
Ich glaube, dass die Schweiz sich selbst als nachhaltiges Reiseland sieht. Auch ausländische Touristen schätzen die Schweiz als nachhaltig ein und reagieren positiv auf entsprechendes Marketing. Das heisst aber nicht zwingend, dass dies der Realität entspricht. So sind beispielsweise die Standards für das Label Swisstainable für die meisten Betriebe relativ leicht erreichbar. Gleichzeitig ist die Zahl der Unternehmen, die sich für mehr Nachhaltigkeit engagieren, insgesamt noch zu klein.
Inwiefern hatte die Pandemie Einfluss auf das Bedürfnis nach nachhaltigerem Reisen?
Das Motto der Stunde lautet «Carpe Diem». Die Menschen wollen die Reise ihres Lebens jetzt machen und nicht mehr länger warten. Nach zwei Jahren Verzicht sind sie überzeugt, dass ihnen dies zusteht. Auch Menschen, die sich um ihren ökologischen Fussabdruck Gedanken machen, fühlen sich berechtigt, jetzt erst recht zu reisen. Ein grösseres Bedürfnis nach Nachhaltigkeit ist daher weltweit leider nicht zu beobachten.
Der Massentourismus wird also bald wieder zum Thema werden?
Massentourismus bedeutet heute etwas anderes als noch vor ein paar Jahren. Die Gäste verbringen nicht mehr zwei Wochen an einem Strand, ohne viel zu unternehmen. Stattdessen gehen sie kürzer und dafür öfter in die Ferien, um mehr Orte zu besuchen. Der Massentourismus ist auf jeden Fall ein Thema – allerdings weniger in klassischen Ferienresorts, dafür umso mehr in den Städten.
(Interview Angela Hüppi)
Xavier Font ist Professor für Nachhaltigkeitsmarketing an der University of Surrey (UK). Er erforscht und entwickelt Methoden für einen nachhaltigen Tourismus. Weiter berät er Unternehmen zu Marketing und Kommunikation im Bereich Nachhaltigkeit.