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«Die Arbeit ist noch längst nicht getan»

Auch heute noch müssen Frauen in Führungspositionen mehr kämpfen, sagt Karriere-Coach Sibyl Schädeli.

Sibyl Schädeli, wie kam es dazu, dass Sie als Coach Frauen in Führungsfunktionen unterstützen?
An meiner ehemaligen Arbeitsstelle war ich für das Kursprogramm für Führungspersonen verantwortlich. Ich merkte, dass die Kurse nicht das abdeckten, was die Frauen eigentlich bräuchten: Themen wie Durchsetzungskraft und Selbstmarketing. Zunächst habe ich intern einen solchen Kurs angeboten und mich 2014 entschieden, das hauptberuflich zu machen.

Was verhindert heute Frauenkarrieren?
Mir ist wichtig zu sagen, dass es nicht einfach an den Frauen liegt, die nicht wollen oder sich nicht trauen. Wir Frauen werden anders sozialisiert. Unser Fokus liegt nicht darauf, Raum einzunehmen, uns vorzudrängen. In der Schule funktioniert das gut. Mädchen schreiben die besseren Noten, gelten als sozialkompetent. Nur fleissig und schlau zu sein funktioniert in der heutigen Berufswelt aber nicht. In unseren Köpfen hält sich auch das Stereotyp der männlichen Führungsperson. Frauen müssen deshalb immer noch mehr kämpfen.


«Man muss für eine Führungskarriere nicht 100 Prozent arbeiten.»


Wie wirkt sich das auf den Bewerbungsprozess aus?
Studien zeigen, dass sich Frauen bewerben, wenn sie mindestens 100 Prozent der Anforderungen erfüllen. Männer bewerben sich bei 60 Prozent. Beim Bewerbungsgespräch neigen Frauen dazu, auf die Anforderungen hinzuweisen, die sie nicht erfüllen. Dabei ist es essenziell, seine Stärken und Kompetenzen in den Vordergrund zu stellen. Wenn das Gespräch dennoch auf eine Lücke trifft, zeigt man auf, wie man sich in jenem Bereich weiterentwickeln will.

Und wie sieht es aus, wenn man die Stelle bekommen hat?
Dann muss man lernen, Raum einzunehmen, sich an Sitzungen zu äussern oder sich um gewisse Statussymbole bemühen. Zum Beispiel darum, dass man nicht das schlechteste Büro bekommt.

Sie sagen, Frauen müssen sich anpassen. Warum nicht die Arbeitskultur ändern?
Das ist effektiv eine Zahlenfrage. Man weiss, dass sich die Kultur ändert, wenn mindestens ein Drittel Frauen in einem Führungsgremium vertreten sind. Wenn wir keine Massnahmen ergreifen, um diese Zahlen zu erreichen, geben im schlimmsten Fall immer mehr Frauen auf. In meinen Kursen sage ich den Frauen immer, dass sie lernen müssen zu kämpfen. Dabei dürfen sie aber nicht vergessen, woher sie kommen. Es ist wichtig, einen positiven Führungsstil zu etablieren.

Im Gastgewerbe arbeiten mehr Frauen als Männer. Letztere haben bei den Führungspositionen dennoch die Nase vorn. Wie erklären Sie sich das?
Die Belastung ist in jedem Beruf, in dem man Schicht arbeitet, Wochenend- und Feiertagsdienste hat oder Saisonarbeit leistet, deutlich höher. Die Organisation des Familienalltags wird schwieriger. Wenn eine Frau zudem in der Gastronomie arbeitet und ihr Partner in einer Branche mit höheren Löhnen, wird sie aus wirtschaftlichen Gründen viel eher zurückstecken.

Frauen – und auch Männer – gehen für Karrieretipps zu Sibyl Schädeli. (zvg)

Sie coachen ausserdem bei Lohnverhandlungen. Was sind die wichtigsten Tipps?
Man sollte sich unbedingt informieren, wie viel man fordern kann, zum Beispiel über Online-Lohnrechner. Man sollte mehrere verwenden und jeweils angeben, ein Mann zu sein, da sich einige Rechner auf die Reallöhne beziehen und für Frauen automatisch tiefere Löhne angeben. In der Verhandlung gilt es, mehr zu verlangen, als man eigentlich erwartet. Es geht nicht darum, es vollkommen zu übertreiben, aber darum, etwas höher einzusteigen, sodass die andere Seite runterverhandeln kann. Am Ende stehe ich doch mit einem etwas höheren Lohn da.

Ist gerade im Fachkräftemangel ein guter Zeitpunkt, mehr Lohn und bessere Bedingungen zu fordern?
Aus meiner Erfahrung trauen sich viele noch etwas zu wenig, das zu tun. Man kann und sollte den Fachkräftemangel aber tatsächlich strategisch nutzen und sich zum Beispiel an mehreren Orten bewerben. Dann kann man sich im Bewerbungsgespräch auf andere Angebote stützen.

Das Bewusstsein für Gleichstellung ist in den letzten Jahren gewachsen. Wie schauen Sie in die Zukunft?
Es gibt nachweislich mehr Frauen in den Führungsetagen, aber immer noch zu wenig. Leider erfährt das Thema Gleichstellung wieder Gegenwind, weil angeblich bereits genug getan wurde. Dem ist aber nicht so. Wenn es stimmen würde, dass immer die qualifiziertere Person ausgewählt wird, hätten wir längst Gleichstellung erreicht.

(Alice Guldimann)


Zur Person

Sibyl Schädeli ist Ethnologin, HR-Expertin und verfügt über langjährige Führungserfahrung im Personalbereich. Seit zehn Jahren ist sie selbstän­dig als Coach und Dozentin in den Bereichen Leadership, Karriereförderung und Gleichstellung tätig. In Kursen und Webinaren teilt sie unter anderem ihr Wissen zu Lohnverhandlungen, Networking und Durchsetzungskraft.


Mehr Informationen unter:

sibylschaedeli.ch