Der belgische Chocolatier Dominique Persoone testet alles über die Grenzen des Süssen hinaus. So fängt er auch mal Regen in einer Praline ein.
Zwiebeln, Speck, Tequila, Wasabi, Blutwurst, Kaviar oder Anchovies: «Manchmal übertreibe ich», sagt Chocolatier Dominique Persoone. In diesem Fall aber nicht. Denn diese Zutaten finden sich in seinen Schokoladenkreationen – und die sind heiss begehrt. Der Belgier liebt süss und salzig in Kombination. Er spielt mit Texturen und sorgt in der Gastroszene regelmässig für Schockstarre. So war es Persoone, der mit dem brasilianischen Koch Alex Atala am Amazonas umherzog und auf psychedelische Frösche stiess. Konsumiert man ihr Hautsekret, erlebt man einen Rausch. Ob die beiden Herren diesen am eigenen Leib spürten, lassen sie offen. Doch einige Zeit später kam Persoones neueste Kreation heraus: ein Schokoladenfrosch mit betäubendem Lidocain.
«Die Gäste wollen Abenteuer erleben. Nicht nur auf Reisen, auch kulinarisch», sagt Persoone, der sich auf der «Chef Alps»- Bühne vergangene Woche in Zürich eine Ladung Kakaopulver mit Ingwer durch die Nase zieht. Ursprünglich war Chili statt Ingwer angedacht – «man kann sich vorstellen, wie das nach hinten losgeht», erinnert sich Persoone.
Sich trauen – nach diesem Motto lebt Persoone. Vor 25 Jahren eröffnete er seine «Chocolate Line» in Brügge, in der Frau Fabienne und die Schwiegermutter damals noch die Pralinen rollten. «Als ich begann, lachten alle Kollegen über mich. Ich erinnere mich an Verkostungen, in der ich frisch geschnittenes Gras in Schokolade verarbeitete. Keiner wollte probieren», erinnert sich Persoone. Doch Mentor Ferran Adrià vom «El Bulli» motivierte den jungen Koch: «Wenn eine Kombination für dich stimmt, musst du daran glauben.»
Kurze Zeit später kam Persoone in den «Guide Michelin», in dem weltweit insgesamt vier Chocolatiers vertreten sind. Zusätzlich eröffnete er eine Schokoladenfabrik in Brügge sowie ein weiteres Geschäft in Antwerpen. Heute beliefert der 49-Jährige alle drei Dreisternerestaurants Belgiens mit seinen Kreationen.
Er ist ein Rebell. Oder ein Visionär? Schon während seiner Kochausbildung in verschiedenen Dreisternerestaurants Frankreichs hasste er die Arbeitsweise seiner Kollegen: «Alles war geheim, jeder arbeitete für sich selbst. Wollte ich ein Rezept für eine Sauce, gab mir der Kollege tatsächlich ein falsches Rezept. Und das in der eigenen Küche.» Umso mehr fokussiert sich Persoone nun auf Zusammenarbeit, auch Mentor Ferran Adrià sagt immer wieder: «Je mehr Wissen du teilst, desto mehr kriegst du zurück.»
Gemeinsam mit anderen Gastronomen möchte Persoone einen neuen Antrieb in die Welt der Gastronomie bringen. In Heston Blumenthals «Think Tank» forschen sie gemeinsam zu Food Pairing. Die Ausbeute: Persoones Austern-Schokolade. «Das Schwierigste ist, vor dem Probieren den Kopf auszuschalten. Sonst verurteilt man zu schnell», sagt der Chocolatier. Austern und Schokolade seien eine tolle Kombination. Dazu reduziert Persoone die Flüssigkeit der Auster und kocht sie wie eine Ganache mit Sahne auf. Das Austernfleisch legt er in Wodka ein und mischt alles mit der Schokoladenmasse.
Er lebt das Experiment. In alltäglichen Situationen schürt er süsse Pläne. Während Menschen den Duft von Regen geniessen, kurz nachdem die ersten Tropfen auf den Boden prasseln, fragt sich Persoone: «Wie kann ich Regen in Schokolade einfangen?» Es beginnt mit dem Versuch. Welches Wasser schmeckt Regen am ähnlichsten? Sprudelwasser. Nun steht er jedoch vor einem Problem: Schokolade und Wasser stossen sich ab, der enthaltene Zucker absorbiert Wasser. Persoone macht aus Sprudelwasser Gel. Die Praline ummantelt er von innen mit einer dünnen Schicht Kakaobutter, einer Art Schutzfilm. Er überlegt: «Was riecht man, bevor der Regen beginnt? Ozon. Was mache ich also, wenn ich die Schokolade serviere? Ich fülle den Raum mit 100 Ballons.» Bevor der Gast die Praline kostet, lässt er die Ballons platzen. So schmeckt und riecht man, die Umgebung wird intensiver.
Vieles geht schief. Zum Valentinstag plant er eine spezielle Sorte, die glücklich machen soll. «Schokolade zu essen, setzt die gleichen Hormone wie ein Orgasmus frei. Jedoch müsste man sieben Kilogramm davon essen.» Persoone extrahiert also den Stoff Phenylethylamin, der für Lust- und Glücksempfinden verantwortlich ist, und verarbeitet es in seiner Schokolade. Vor der Lebensmittelkontrolle scheitert die Sorte. Doch für Persoone zählt das Unkonventionelle: «Wenn man die Welt verändern möchte, muss man innen drin ein kleiner Junge bleiben, Dinge wagen.» Und er bleibt ein kleiner Junge. Jedoch ein kleiner Junge mit Verantwortung.
«Viele wissen nicht, woher ihr Kakao kommt. Sie beziehen ihn von den Industrieriesen und hinterfragen weder Herstellung noch Arbeitsbedingungen. Selbst bei den grossen Fair Labels gibt es viele schwarze Schafe», kritisiert Persoone und kauft 2011 eine eigene Plantage in Mexiko.
3300 Kakaobäume wachsen dort, sie bietet sich viel Platz für Variation. Wie für die aussterbende Kakaosorte «Criollo Blanc», die Persoone besonders schätzt. «Es ist eine kleine Frucht, immer krank, es gibt nur Drama beim Anbau. Doch der Geschmack ist fantastisch. Die meisten bauen Forastero-Kakao an: eine grosse, starke Frucht, resistent gegen Schädlinge. Doch der Geschmack ist fad.» Auch bei der Fermentation zeigt der 49-Jährige Innovationsgeist: Während die Frucht gärt, gibt er Passionsfruchtsaft oder Bananen hinzu und testet, wie sich der Geschmack verändert.
In allen Stadien der Verarbeitung gibt Persoone seine eigene Note hinzu und röstet die Bohnen in den belgischen Filialen selbst: «In Europa ist die Röstung zu hart, viel Säure geht verloren. Mit Säure zu spielen, ist jedoch sehr interessant.»
Wie bei allen anderen Kreationen saugt Persoone auch in Mexiko seine Umgebung auf. Die Einheimischen hätten einen ganz anderen Bezug zu Kakao: Er sei Zahlungsmittel, Opfergabe – eine eigene Religion mit «Jesus de Cacao» an der Spitze. Was findet sich dementsprechend im Nationalgericht Mexikos? Natürlich Schokolade. In Form von «Mole Poblano», Truthahn mit Schoko-Chili-Sauce. Die Schokolade dient nicht der Süsse, sondern der Würze. Persoones Reaktion darauf: Eine Schokolade mit Huhn. Wie soll man das jedoch haltbar machen? «Ich sah die Technik bei einem Kollegen: Er arbeitet mit Taubenhaut. Er kocht, trocknet und frittiert sie zum Schluss. Sie wird sehr knusprig, ähnlich wie Krabbenchips. Also machte ich es genauso mit Hühnerhaut», erzählt der Chocolatier.
Und wie hat es der belgische Rebell mit der Schweizer Schokolade? «Die Qualität ist sehr sehr gut. Aber es stimmt – die Schweizer Philosophie ist eher klassisch. Kommt schon, der Gast möchte etwas erleben. Es ist Zeit für Neues!»
(Anna Shemyakova)