Studierende der SHL Schweizerischen Hotelfachschule Luzern erleben auf dem Bauernhof, wie ein Tier zu Fleisch verarbeitet wird.
Die Umweltschützerin Franziska Herren reichte letzte Woche eine Initiative ein. Gemäss dieser sollen Landwirte weniger Futtermittel für Tiere, dafür mehr pflanzliche Lebensmittel für Menschen produzieren. Marc-André Dietrich, wie diskutieren Sie die Themen vegane Ernährung und Fleischkonsum an der SHL?
Für uns ist es wichtig, den Studierenden alle Möglichkeiten aufzuzeigen. Denn es gibt keine guten Veganer und auch keine bösen Fleischesser. Entscheidend ist, dass die Studierenden über die Konsequenzen ihrer Entscheide nachdenken.
Wie gehen Sie dabei vor?
Die Sensibilisierung beginnt mit den Mittag- und Abendessen auf dem Campus der SHL. Da ist die Menüplanung so gestaltet, dass wir alle Aspekte der Ernährung, der Lebensmittel und der Ökologie abdecken. Wir probieren heute Kaviar, morgen pflanzenbasierte Produkte und natürlich auch Fleisch von Tieren.
Wie gross ist das Interesse der Studierenden an Fleisch und alternativen Produkten?
Wir kochen schmackhafte und gesunde Gerichte. Die Hälfte der angebotenen Menüs sind fleischlos. Gibt es Fleisch, bieten wir immer auch etwas Vegetarisches an. Alternative Produkte sind ein Bedürfnis. Vor allen in den Tagen nach dem Besuch auf dem Bauernhof kommen sie sehr gut an.
Sie gehen mit den Studierenden auf einen Bauernhof?
Ja. Seit bald 30 Jahren gehört der Besuch des Landwirtschaftlichen Zentrums des Kantons St. Gallen in Salez zum Lehrplan. Uns ist es wichtig, dass die jährlich rund 120 Studierenden des Semesters 1 Küche den landwirtschaftlichen Kreislauf verstehen.
Wie bereiten Sie die Studierenden darauf vor?
In der Klasse diskutieren wir über Ressourcen, Kosten, Erträge und Preise – die theoretische Basis.
Was erleben die Studierenden in Salez?
Sie setzen sich in Salez vertieft mit der Urproduktion auseinander. Ein Landwirt erklärt, was für ihn nachhaltig ist. Zu den Themen gehören die Tierzucht genauso wie das Schlachten und Zerlegen eines Tieres. Weiter geht es mit der Veredelung von Fleisch und der Reifung von Edelstücken, die bekanntlich nur vier Prozent des Gewichts ausmachen. Viele vergessen oder realisieren gar nicht, dass auch das billigste Aktionsfleisch einmal ein Tier war. Wenn Studierende ein Tier zerlegen, kommen Diskussionen über die Ganztierverwertung (nose to tail) zustande. Die ist mit dem direkten Bezug zum Tier einfacher zu verstehen. Nach Salez kaufen sie nicht einfach Fleisch, sondern ein Qualitätsprodukt.
Gut die Hälfte des in der Schweiz konsumierten Fleisches wird ausser Haus gegessen. Setzt die SHL diesbezüglich Trends?
Wie gesagt, setzen wir mindestens zur Hälfte auf vegetarische Gerichte. Wir wissen, dass wir in der Schweiz in einer Luxus-Bubble sitzen und uns Gedanken über unsere Gesundheit und das Tierwohl machen. Wir können es uns leisten Label-Fleisch zu kaufen. Während der Fleischkonsum in der Schweiz stagniert oder leicht sinkt, wird er sich bis 2050 weltweit verdoppeln. In China steigt der Wohlstand. Je reicher ein Land, desto höher der Fleischkonsum mit allen negativen Konsequenzen für die Umwelt und das Klima.
Sehen Sie mögliche Auswege aus diesem Dilemma?
Wir zeigen den Studierenden drei mögliche Szenarien auf. Das Schönste basiert auf Freiwilligkeit und lautet: weniger wäre besser als mehr und günstig. Wertschätzung vom Feld bis auf den Teller. An der SHL setzen wir auf Tierwohl, Qualität und höhere Preise für Landwirte und Metzger. Das müsste die Schweiz und die ganze Welt übernehmen. Doch bei vielen Gastronomen und Konsumenten hört die Nachhaltigkeit beim Portemonnaie auf.
Was halten Sie von Fleisch aus dem Labor?
Die Technologie soll funktionieren. Vielleicht kommen in absehbarer Zukunft bezahlbare Mengen aus Tierzellen kultiviertes Fleisch auf den Markt. Das würden wir sicher testen wollen.
Und das dritte Szenario?
Das ist meiner Meinung nach das wahrscheinlichste. Im Premiumbereich werden wir normales Fleisch zubereiten wie Bio-Freilandhühner oder Steaks von Rindern mit Hörnern. Die Vielfalt veganer Alternativen wird weiter zunehmen. Proteine generiert die Industrie aus Algen und Seegras. Vielleicht werden Insekten wieder zum Thema. Wir von der SHL bleiben am Ball und werden alles testen und darüber diskutieren. Denn als Basis für eine gute Zubereitung braucht es solides Handwerk.
(Interview Gabriel Tanguely)
Als 23-Jähriger arbeitete Marc-André Dietrich ein Jahr im Hotel Madinat Jumeirah in Dubai. Mit 25 übernahm er die Küche im «Les Trois Rois» in Basel. Seit 2017 arbeitet der eidg. dipl. Küchenchef und Erwachsenenbildner FA als Culinary Director an der SHL.