Im März 2020 wurde CVP-Nationalrat Nicolo Paganini via Online-Abstimmung als Nachfolger von Dominique de Buman zum neuen Präsidenten des Schweizer Tourismus-Verbands gewählt und startete gleich in ein turbulentes Amtsjahr. Im Interview blickt er auf seinen – von Corona diktierten – Einstand zurück und wagt einen Blick in die Zukunft.
Herr Paganini, vor einem Jahr wurden Sie in ihr neues Amt gewählt. Wie lautet Ihr Gesamtfazit der letzten Monate?
Nicolo Paganini: Das Gesamtfazit ist natürlich schon, dass es eigentlich noch keinen einzigen «Courant normal»-Moment gab. Die Folgen der Pandemiebekämpfung haben mein erstes Präsidialjahr ganz klar dominiert. Schade war, dass es aufgrund der vielen Einschränkungen mit Home Office usw. kaum möglich war, das touristische Netzwerk in persönlicher Begegnung aufzubauen. Das gilt auch für den Kontakt mit den motivierten Mitarbeitenden auf unserer Geschäftsstelle in Bern.
Das vergangene Jahr war geprägt von der Corona-Pandemie. Auf politischer Ebene standen aus Sicht des STV in erster Linie Forderungen nach wirtschaftlicher Unterstützung sowie der Situation angepassten Lockerungen auf der Agenda. Konnte sich der Tourismus Gehör verschaffen?
Wir haben insofern Gehör gefunden, als sich der Bundesrat mit unseren Herausforderungen auseinandergesetzt hat. Es wurden auch viele Milliarden an Härtefallgeldern beschlossen. Auf die Einschränkungen der Geschäftstätigkeit bzw. nötige Lockerungen konnten wir nicht immer wie gewünscht Einfluss nehmen. Positiv ist sicherlich, dass breite Bevölkerungskreise heute ein besseres Verständnis dafür haben, wie der Tourismussektor mit seiner Arbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette funktioniert und welche volkswirtschaftliche Bedeutung er hat.
Gibt es eine Entscheidung oder Forderung, die Sie im Zusammenhang mit der Pandemie getroffen oder gestellt haben, die Sie im Nachhinein bereuen?
Eigentlich kann ich diese Frage mit «Nein» beantworten. Wenn ich sehe, wie Nachbarländer mit härteren Lockdown-Regelungen keine bessere Entwicklung als wir haben, waren unsere Forderungen immer berechtigt. Wir haben ja nie ein «Alles ohne Schutzkonzepte öffnen» gefordert. Wichtig war für den Winter, dass die Seilbahnen fast durchgängig in Betrieb sein konnten. Das hat vielen Hotelbetrieben in den alpinen Destinationen geholfen. Und sämtliche Forderungen nach finanzieller Hilfe für besonders betroffene Unternehmen waren auch mehr als gerechtfertigt.
Aktuell befinden wir uns erneut in einer ungewissen Situation. Der Forderung nach schrittweiser Öffnung steht ein erneuter Anstieg der Fallzahlen gegenüber. Wenn Sie Bundesrat wären: Wie würden Sie in dieser Lage entscheiden?
Der Bundesrat hat eine sehr schwierige Aufgabe zu erfüllen. Ich masse mir nicht an, hier «Möchte-gern-Bundesrat» zu spielen. Es ist einfach schade, dass wir bei der Teststrategie, beim Contact Tracing und bei der Impfkampagne nicht dort sind, wo wir sein müssten. Wenn es so wäre, gäbe es mehr Spielraum für Lockerungen.
Zurzeit stellt sich die Frage, wie der Tourismus kurz- und langfristig wieder Schwung aufnehmen kann. Im Zentrum der Diskussion steht dabei das flächendeckende Impfen sowie allfällige Privilegien für geimpfte Personen. Wie stehen Sie diesem Thema gegenüber?
Ich finde es falsch, von Privilegien zu reden. Es geht darum, dass man seine verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte zurückbekommt, wenn von einem keine Ansteckungs-Gefahr ausgeht. Ob das für die Geimpften gilt, ist noch nicht ganz klar. Das Ziel wäre, dass man bei einem «Covid-free-Nachweis», der ja für kurze Zeit neben dem Impfen auch durch einen negativen Test erbracht werden kann, seine Grundrechte zurückbekommt.
Welche Massnahmen strebt der STV zur Ankurbelung des Tourismus «Post Corona» an?
Ich mache mir vor allem Sorgen um die Investitionsfähigkeit des Sektors. Die Reserven sind vielerorts aufgebraucht und Covid-19-Kredite müssen zurückbezahlt werden. Da bleibt kaum Substanz für Investitionen in die Zukunft. Und wer nicht investieren kann, ist schnell nicht mehr marktfähig. Wir sind mit dem Bund im Dialog, wie wir in dieser Thematik zielführend vorgehen könnten.
Abseits der Pandemie: Welche Themen und Projekte haben Sie in den letzten Monaten als Präsident des STV am meisten beschäftigt?
Der Verband hat ja im Herbst 2019 neue Strukturen beschlossen. In der Praxis mussten wir für das angedachte «Arbeiten im Netzwerk» ein gemeinsames Verständnis entwickeln. Wichtige Projekte sind das Thema «Nachhaltigkeit im Tourismus» und die Erarbeitung einer Strategieskizze für den Schweizer Tourismus. Und in den letzten Wochen hat mich natürlich die Rekrutierung der Nachfolge unserer STV-Direktorin beschäftigt.
Welche Rolle soll der STV künftig im Schweizer Tourismus spielen?
Der STV soll auch künftig der «politische Arm» des gesamten Tourismussektors sein. Wir müssen uns denjenigen Themen annehmen, die branchenübergreifend relevant sind. Neben dem politischen Tagesgeschäft ist das Thema «Nachhaltigkeit im Schweizer Tourismus» ein prädestiniertes Betätigungsfeld für den STV als Dachverband.
Hand aufs Herz: Hätten Sie das Amt als Tourismus-Präsident angenommen, wenn Sie gewusst hätten, wie sich das Jahr 2020 entwickelt?
Solche Gedanken mache ich mir nicht gross. Ich bin ja nicht der Einzige, der letztes Jahr eine Aufgabe angetreten hat, die plötzlich ganz anders ausgesehen hat als erwartet. Und für diesen faszinierenden Wirtschaftssektor einen Einsatz zu leisten, ist trotz – oder vielleicht auch gerade wegen Corona – eine schöne Herausforderung.
Was wünschen Sie sich für Ihr zweites Amtsjahr beim Schweizer Tourismus-Verband?
Mein grosser Wunsch liegt auf der Hand: Dass alle unsere Betriebe, inklusive der besonders arg gebeutelten Stadthotellerie, endlich wieder normal arbeiten und ihre Gäste begeistern können. Und für die Verbandsarbeit wünsche ich mir einen guten Start für die neue Direktorin oder den neuen Direktor des STV.
(Interview STV Schweizer Tourismus-Verband)