Mediadaten Données Media Olympiade der Köche

Die Technik bringt’s

Wie kann man die Möglichkeiten der Technik ausreizen, um völlig neue Konsistenzen und intensive Geschmäcke zu erschaffen? Die Molekularküche zeigt, wie das geht.

  • Eine Perle, die im Inneren etwas völlig Unerwartetes verbirgt: Mithilfe der Sphärisierung lassen sich Bestandteile in eine neue Form einschliessen. (Bild ZVG)
  • Was aussieht wie Olive oder Pfirsich, ist rekonstruierte Sphäre der Früchte. Koch Oriol Castro kreiert Oliven-Pralinés ... (Bild ZVG)
  • ... und der Schweizer Koch Ralph Schelling erschafft eine neue Form der Walliser Aprikose, die im Mund platzt und zerfliesst. (Bild Chef Alps/Nadine Kägi)
  • Der spanische Molekularkoch Oriol Castro setzt verschiedene Sphären zu einer Multisphäre zusammen. Hier dekonstruiert er einen Maiskolben und serviert ihn mit Beurre noisette. (Bild Chef Alps/Nadine Kägi)
  • Molekularkoch Rolf Caviezel arbeitet mit Wissenschaftern zusammen, um neue Techniken fürs Kochen zu entdecken. (Bild ZVG)
  • Ralph Schelling, ein ehemaliger Schützling von Molekular-Legende Ferran Adrià, kreiert Molekulares aus Schweizer Produkten. (Bild ZVG)

Die meisten denken bei «molekular» an ein Paar Perlen oder ein bisschen Stickstoff. Doch das ist nur ein ganz kleiner Teil vom Ganzen», erzählt Koch Rolf Caviezel. Seit den Anfängen der Molekularküche in der Schweiz betreibt er in Grenchen sein Restaurant Station 1 und weicht nicht vom molekularen Konzept ab. «Und es gibt uns immer noch», lacht er. Technik und Wissenschaft in der Gastronomie macht Molekularküche aus. «Es geht um das Spiel der Aromen und Konsistenzen. Wir schauen uns die Produkte an, nehmen sie auseinander und setzen sie wieder zusammen», erzählt Caviezel.

Eine Steinpilzcreme ohne Steinpilze

Rolf Caviezel ist ein Künstler. Und seine Akteure sind die Aromen. Er setzt sie neu zusammen, er hinterfragt, er rekonstruiert. Sein Proberaum ist das Labor, sein Publikum die Gäste. Und die Kunststücke performt er auf dem Teller. So besteht beispielsweise ein Gericht aus Käse, in dem gar kein Käse ist. «Wir haben festgestellt, dass Poulet, Rahm und Sesam kombiniert ein Käsearoma ergeben», erzählt Caviezel. Im gleichen Stil stellt er eine Steinpilzcreme her. Aus Stangensellerie, Olivenöl, Kartoffeln, Gemüsebouillon und Rahm entfaltet sich ein Pilzgeschmack. Food Pairing ist für Caviezel ein grosser Bestandteil der Molekularküche. «Sich mit Produkten auseinandersetzen – das ist die hohe Kunst», sagt er. Das Wissen um Struktur und Zusammensetzung der Produkte nutzt der Molekularkoch, um neue Arbeitsweisen und Geschmäcke zu finden. «Alle denken, in der Molekularküche ist überall ein Pulver drin, das die Konsistenz verändert», ärgert sich Caviezel, beispielsweise Sojalecithin, um einen Schaum herzustellen. «Was viele jedoch nicht wissen: Wenn man einen Karottensaft auf 85 Grad erwärmt, kommt das natürliche Lecithin heraus. So kann man ihn perfekt aufschäumen, ohne dass man etwas hinzusetzen muss», erklärt er weiter.

Auch bei Rotkohl kennt Caviezel die chemischen Reaktionen und kreiert damit Unbekanntes: Er serviert Rotkohl in zwei verschiedenen Farben und das ganz ohne Zusätze. Denn: Gart man den Kohl mit Essig, wird er lila. Gart man ihn jedoch mit Wodka, wird er blau.

Natürliche Zutaten für Sphärenbildung

Alginat oder Calciumlaktat klingen nach Chemie, sind jedoch absolut natürlich. Alginat wird aus einer Braunalge gewonnen, Calciumlaktat kommt in Joghurt und Milchprodukten vor. So kann man Sphären und Schichten ganz natürlich herstellen. Nur das Wissen ist das Entscheidende.

Dieses nutzt auch der Koch Ralph Schelling geschickt für sich aus. Er rekonstruiert Produkte und schafft damit neue Erlebnisse. Die Faszination für Molekulares kommt dabei nicht von ungefähr: Schelling arbeitete Seite an Seite mit Ferran Adrià im legendären «El Bulli» – dem Geburtsort der Molekularküche. Und während seine ehemaligen Kollegen landestypische Zutaten wie Oliven oder Gerichte wie Gazpacho rekonstruieren, fokussiert Schelling sich auf Schweizer Produkte. «Wir haben Walliser Aprikosen. Das sind die besten auf der Welt», sagt Schelling. Diese konserviert er in Einmachgläsern und serviert ein völlig neues Gericht in den kalten Monaten. Nun ja, ein nicht völlig neues. Es sieht immer noch aus wie eine Aprikose und schmeckt auch so. Doch im Mund platzt die Frucht wie eine kleine Bombe. Wie das zustande kommt? «Ich kreiere eine Sphäre mit flüssigem Kern aus der Aprikose», erzählt der junge Starkoch. Das Aprikosenfleisch wird püriert und in einer Form aus roher Kakaobutter gefroren. Anschliessend wird die dekonstruierte Frucht angemalt, während der Kern schmilzt. Schelling serviert die neue «Frucht» direkt aus dem Einmachglas heraus und versprüht am Tisch ein Destillat aus dem Aprikosenkern. So wird aus einem Gericht ein Erlebnis für alle fünf Sinne.

Alltägliche Produkte neu inszeniert

Schelling nutzt Techniken der Molekularküche, um bekannte Produkte in ein neues Licht zu rücken. «Bei einem mehrgängigen Menü ist eine Kartoffel beispielsweise viel zu schwer. Ich kreiere eine neue Form aus dem Espumabläser. Diese ist dann luftig-leicht», erzählt Schelling. Auch Käse bekommt bei ihm ein neues Gewand verpasst. Mit einem Jersey-Blue-Käse aus dem Appenzeller Lichtensteig kreiert er mit Käser Willi Schmid eine Art Burrata. Den Käseschaum taucht er in ein Algenbad. Durch das Kalzium im Käse verkapselt sich die äussere Schicht automatisch und komplett ohne Zusätze. So entsteht ein dünner Film – eine Sphäre. Innen ist der Käse luftig, aussen fest.

Was in der Schweiz Käse und Kartoffeln sind, sind in Spanien Oliven oder Gazpacho. Oriol Castro, ein langjähriger Kollege von Ferran Adrià, präsentierte vor einem Monat an den Chef Alps in Zürich die neuesten Techniken im Bereich der Molekularküche.

Eine Sphäre ist für Oriol Castro nicht genug, er arbeitet mit der Multisphärisierung und rückt einen Maiskolben in ein neues Licht: Er dickt Maissaft mit Xanthan ab, einem natürlichen Verdickungsmittel, und erschafft mehrere Sphären. Diese fügt er in einer maisähnlichen Form zusammen, so dass optisch ein Maiskölbchen entsteht. Auch Oliven dekonstruiert er wie Schelling seine Aprikosen. Er kreiert Oliven-Pralinés aus Blutorangensaft und Oliven, friert diese in einer Kakaobutterschicht ein, so dass sie im Mund platzen und zerfliessen.

«Die Basis ist immer das Althergebrachte. Aus dieser muss man schöpfen», sagt Oriol Castro. So kreiert er eine neue Form des klassischen Gazpacho. Er serviert ein Baiser-Sandwich mit einer Sorbet-Füllung. Die «Toastscheibe» ist dabei aufgeschlagener und getrockneter Tomaten- saft mit Xanthan und Eiweisspulver. Die Füllung besteht aus einem Gazpacho-Sorbet, das im Pacojet zu einer luftigen Mousse verarbeitet wird. Dazu reicht er ein Glas mit Sherryessig-Spray. Da Sherry traditionell Bestandteil von Gazpacho ist, soll der Gast am Glas riechen und dazu das «Sandwich» essen.

Alte Techniken als Basis

Althergebrachte Techniken sind auch bei Rolf Caviezel immer wieder Thema. «Wir packen beispielsweise ein ganzes Poulet in Wirz und ummanteln es mit Lehm. So wird es dann gegart. Wie früher in einem Römertopf», erzählt Caviezel. Oder wie wäre es, einen Blumenkohl in Brot zu backen? Oder Fleisch in Honigwaben?», überlegt er sich weiter. So viele Fragen, auf die die avantgardistische Küche noch mehr Antworten findet.

(Anna Shemyakova)


Neue und alte Techniken der avantgardistischen Küche

Multisphäre
Bei der Multisphärisierung kreiert man aus vielen Sphären eine neue. So kann man Maiskolben oder Himbeeren rekonstruieren.

Zentrifuge 

Öle herstellen mit Zentrifugation: Die Bestandteile der Produkte trennen sich und das Öl setzt sich oben ab.

Vakuum

Durch die Vakuumfiltration kann man das Aroma eines Produktes flüssig herauslösen und so beispielsweise ein geklärtes Tomatenjus extrahieren.

Verkohlung

ermöglicht sanfte Garung. Dazu einen Sellerie in Salzwasser einlegen, Ofen hochheizen, bis das Gemüse verkohlt, dann abstellen.

Aroma

In einem Schaum lässt sich beliebiges Aroma einschliessen: entweder mit Öl mischen und schäumen oder Aroma beim Braten mit Glocke auffangen und dem Produkt zufügen.