Mediadaten Données Media Olympiade der Köche

Edle Pilze aus altem Kaffee

Wie Upcycling in der Gastronomie funktioniert, zeigen die «Stadtpilze» in Basel. Dank der innovativen Jungunternehmer wachsen auf dem Kaffeesatz von Gastronomen Gourmetpilze.

  • Augen- und Gaumenweide: Auf Kaffeesatz gezüchtete Edelpilze kommen in der Gastronomie gut an. (Bilder Claudia Link)
  • Die "Stadtpilze" Armin Sirch und David Jucker in ihrem Pilzzucht-Keller mitten in Basel.
  • Aus dem Kaffeesatz können Seitlinge und Rosenseitlinge gezüchtet werden.

Zig Tonnen Kaffeesatz werden in der Schweizer Gastronomie jährlich weggeworfen. Bestenfalls landet er im Kompost, oft wird er verbrannt. In Basel gibt es dafür eine bessere Lösung: Die Jungunternehmer Armin Sirch und David Jucker holen den Kaffeesatz kostenlos bei Restaurants und Cafés ab und züchten darauf Gourmetpilze für Gastronomie und Private. Mit ihrer Firma «Stadtpilze» setzen sie ganz auf Nachhaltigkeit: «Bei uns wird Upcycling und Recycling gelebt. Unser Ziel ist es, mit Zero Waste höchste Qualität zu erzielen», erklärt Armin Sirch.

Gut für die Umwelt, vielfältig in der Küche

In der Schweiz waren die «Stadtpilze» das erste Projekt ihrer Art. Biotechnologe Sirch kannte das Zuchtverfahren auf Kaffeesatzbasis aus den Niederlanden, und über YouTube stiessen sie auf ein Projekt aus den USA. In mehreren europäischen Städten wird das Konzept bereits erfolgreich umgesetzt, etwa in Berlin, Wien oder Rotterdam. Entstanden ist die Idee bereits vor 20 Jahren aus der «Blue Economy»-Bewegung. Deren Ziel ist es, das Ökosystem zu schützen, Abfälle zum Ausgangspunkt für neue Produkte zu machen und dabei Arbeitsplätze zu schaffen.

Gezüchtet werden auf Kaffeesatz meistens Seitlinge, eine Pilzart, die ursprünglich aus Korea stammt. Diese Pilze sind pflegeleicht und kolonisieren den Kaffeesatz sehr schnell. «Ausserdem behält der Seitling seinen Biss sehr lange und ist in der Küche vielfältig einsetzbar», so Sirch. Auch für Veganer und Vegetarier ist der Pilz durch seinen starken Umami-Geschmack als Fleischersatz interessant. Ein weiteres Plus: Alles vom Seitling kann in der Küche verwendet werden, auch in der Zubereitung gibt es also keinen zusätzlichen Abfall. Zero Waste eben.

200 bis 300 Kilogramm Kaffeesatz holen Sirch und Jucker pro Woche bei Basler Unternehmen wie «Mitte» oder «Spettacolo» ab. Dabei sind sie mit einem klimafreundlichen Cargo-Bike unterwegs. Den Kaffeesatz füllen sie in spezielle Plastikeimer aus der Gastronomie, die dort nach einmaligem Gebrauch entsorgt werden. Hinzu kommen zur Auflockerung Silberhäutchen der Kaffeebohnen, ein Abfallprodukt aus einer Rösterei in Birsfelden/BL. Die «Stadtpilze» verwenden nur Produkte aus Bio-Produktion, da die Pilze ansonsten Schadstoffe aufnehmen könnten. «Biohöfe bieten ihren Arbeitnehmern zudem oft bessere Arbeitsbedingungen und arbeiten mit möglichst wenig Zwischenhändlern», erklärt Jucker.

Bald geht es ganz ohne Abfall

Damit die Pilze gut gedeihen, werden dem Kaffeesatz Mineralien wie Kalzium und Phosphor beigefügt. Das Myzel, die sogenannte Pilzwurzel, beziehen die «Stadtpilze» derzeit aus Belgien oder Holland. «Sobald wir so weit sind, wollen wir diese aber selbst herstellen. Dazu brauchen wir ein Reinraumlabor», erklärt Jucker. In rund einem Jahr soll es so weit sein. Denn den Plastikmüll, der derzeit durch den Bezug der Pilzwurzeln aus dem Ausland anfällt, wollen die beiden künftig unbedingt vermeiden.

Der Kaffeesatz mit den Pilzwurzeln kommt zunächst in den Inkubationsraum mit rund 60 Prozent Luftfeuchtigkeit und wenig Sauerstoff. Hier werden die Bedingungen von Pilzen in Holz und unter der Erde simuliert. Ist der Kaffeesatz vollständig kolonisiert, spriessen die Pilze durch die mit mikroporösem Tape verschlossenen Löcher in den Eimern. Danach geht es in den feuchteren Fruchtungsraum. Nach vier bis sechs Wochen sind die verschiedenen Seitlingsorten bereit für die Ernte.

«Pilze auf Kaffeesatz – dieses Konzept gehört in jede Schweizer Stadt!» -Armin Sirch, «Stadtpilze» 
 

Unter anderem bieten die «Stadtpilze» als erste Produzenten in der Schweiz Rosenseitlinge an. Diese weisen eine kräftige Pilznote auf – genau wie der Limonenseitling, Armin Sirchs Favorit: «Durch seinen karamelligen Geschmack ist er besonders spannend.» Weiter produzieren sie die im Geschmack weniger dominanten Austernseitlinge sowie weitere Seitlingsarten. Für den Anbau auf Kaffeesatz eignen sich aber alle Pilzsorten, die auf Holz wachsen. Derzeit laufen im Keller der «Stadtpilze» Experimente mit dem Igelstachelbart und dem Glänzenden Lackporling.

Pilze, die mitten in der Stadt um die Ecke wachsen

Das Angebot der zwei kommt an – nicht nur bei Privaten auf dem Matthäusmarkt in Basel, sondern auch in der Gastronomie. Mit 32 bis 34 Franken pro Kilogramm sind die Pilze zwar nicht unbedingt günstig – doch die Idee überzeugt. «Uns gefällt die Nachhaltigkeit des Projekts, die sehr gute Umsetzung sowie der tolle Geschmack dieses regionalen Produkts», sagt Markus Engeler vom Restaurant Zum Kuss in Basel. Er habe lange nach einer Lösung gesucht, um den Kaffeesatz nicht mit dem normalen Müll entsorgen zu müssen. Nun wachsen auf dem Kaffeesatz Pilze, die im Café angeboten werden: etwa als «Baked Potato mit Stadtpilzen».

Lars Klotz, Küchenchef im Restaurant Rhyschänzli, findet die Seitlinge vor allem für vegetarische Gerichte spannend. Dabei stehe immer der Pilz im Fokus: «Ihn zum Beispiel als Geschnetzeltes zu verarbeiten, fände ich schade.» Auf seiner Karte stehen etwa Polenta mit Pilzragout, Risotto oder offene Ravioli mit Pilzen und Artischocken. Er schätzt die Qualität der Seitlinge, aber auch die Flexibilität der «Stadtpilze» – die Pilze wachsen direkt um die Ecke und können auch mal ausserhalb des Lieferturnus gebracht werden. Das Thema Nachhaltigkeit findet Lars Klotz spannend, allerdings sei es in einem kleinen Restaurant nicht immer einfach umzusetzen. Mit den «Stadtpilzen» hat er eine Möglichkeit gefunden, auf regionale und nachhaltige Produkte zu setzen.

Nachahmer erwünscht

Mittlerweile sind die «Stadtpilze» nicht mehr die Einzigen, die in der Schweiz Pilze auf Kaffeesatz züchten. So bietet etwa «Zwingli Pilz» in Zürich Seitlinge an, die nach dem gleichen Prinzip produziert werden. Die «Stadtpilze» begrüssen dies. Für sie ist klar: «Pilze auf Kaffeesatz – dieses Konzept gehört in jede Schweizer Stadt!» Sie selbst decken nur das Basler Stadtgebiet ab, denn ein wichtiger Pfeiler ihrer Philosophie ist die Regionalität. Eine Expansion nach Basel-Landschaft können sie sich aber durchaus vorstellen. «Zunächst müssen wir uns aber hier eine solide Basis schaffen und Erfahrungen sammeln», so David Jucker.

Ihr Projekt haben die beiden Unternehmer selbst vorfinanziert. Willkommene Zustösse gab es durch den Gewinn des Preises «Innovation Basel» in der Höhe von 5000 Franken sowie durch ein Crowdfunding, bei dem im Herbst 2017 weitere 45 000 Franken hinzukamen. Dennoch sind weitere Investitionen nötig, um die Produktion auszubauen. Derzeit ernten die Jungunternehmer rund 30 Kilogramm Pilze pro Woche, was einer Auslastung von etwa 40 Prozent entspricht. «Wir könnten unsere Produktion also locker verdoppeln», so Armin Sirch. An Nachfrage mangle es nicht, aber derzeit noch an Manpower.

Neben der Pilzzucht wollen die beiden ihre Philosophie weiterverbreiten. Sie können sich vorstellen, künftig auch Pilzzucht-Kits für zuhause zu vertreiben, so dass auch der Kaffeesatz im Privathaushalt wiederverwendet werden kann. Zudem wollen sie ihr Pilz-Wissen unter die Leute bringen: «Viele Private, aber auch Köche, kennen die verschiedenen Arten und ihre Möglichkeiten gar nicht. Dabei gäbe es gerade im Bereich asiatischer Speisepilze noch so viel zu entdecken», sagt Armin Sirch. Die «Stadtpilze» möchten daher künftig auch Kochkurse, Workshops und Schulbesuche durchführen, um auf das Nahrungsmittel Pilz aufmerksam zu machen. Denn Armin Sirch ist überzeugt: «Pilze in all ihren Formen sind viel zu lecker, um nicht auf unseren Märkten und in unseren Bäuchen zu landen.»

(Angela Hüppi)


Zahlen und Fakten

99,8 Prozent der Biomasse in der Kaffeepflanze werden verworfen oder als Abfall verbrannt. Nur 0,2 Prozent landen tatsächlich in der Tasse.

Der Austernseitling enthält viel Vitamin B, C und D und sorgt durch seine gute Verdaulichkeit für eine gesunde Darmflora.

99 Prozent seines Lebens verbringt der Pilz unter der Erde in Form von Myzel, analog zu Wurzeln bei Pflanzen.

28 bis 35 Tage dauert es, bis die Seitlinge der «Stadtpilze» verzehrfertig sind. Die Produktionsreste werden als Dünger und Kompost weiterverwendet.

Pilze gehören weder zurKategorie der Pflanzen noch der Tiere.

300 Kilogramm Kaffeesatz holen die «Stadtpilze» pro Woche bei Gastrobetrieben ab. Künftig soll es noch mehr werden.

Wegen seiner holzähnlichen Zusammensetzung eignet sich Kaffeesatz ideal als Nährboden für Seitlinge.


Mehr Informationen unter:

www.stadtpilze.ch