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«Es geht um mehr als nur um Proteine»

Die Ernährungsexpertin Hanni Rützler geht im Food Report 2023 dem Thema Nachhaltigkeit auf den Grund. Einer der Schwerpunkte: alternative Proteinquellen.

Ernährungsexpertin Hanni Rützler. (ZVG)

Hanni Rützler, nebst pflanzenbasierten Fleisch-Alternativen wird auch intensiv an In-vitro-Fleisch geforscht. Für viele Konsumierende ist der Verzehr von solchem «Laborfleisch» nach wie vor eine merkwürdige Vorstellung. Was braucht es, damit die Akzeptanz von In-vitro-Fleisch in der Gesellschaft steigt?
Drei Hürden müssen dafür übersprungen werden. Erstens die offizielle Zulassung als Lebensmittel. Zweitens der Preis, also dass kultiviertes Fleisch nicht wesentlich teurer ist als konventionelles. Und drittens, dass für die Herstellung keine Tiere getötet werden müssen, also auch die Produktion im industriellen Massstab ohne tierisches Nährmedium auskommt. Es gibt aber schon erste Alternativen für das bislang als Nährmedium verwendete fetale Kälberserum.

Was glauben Sie, warum halten sich Firmen, die in diesem Bereich forschen, zurück, wenn es um Angaben dazu geht, wo sie im Forschungsprozess stehen?
Weltweit requirieren die Firmen bislang vor allem private Mittel, daher stehen sie unter grossem Erfolgs- und Konkurrenzdruck. Detaillierte Angaben werden deshalb im Entwicklungsstadium nicht offensiv kommuniziert. Das wird sich erst im Zuge lebensmittelrechtlicher Zulassung ändern.

Welche Rolle spielt der Geschmack hinsichtlich der Akzeptanz?
Dieser ist, wie ich mich selbst schon vor fast zehn Jahren bei der ersten Verkostung eines kultivierten Burger-Pattys überzeugen konnte, tatsächlich die kleinste Hürde. Das gilt zumindest für unstrukturiertes Fleisch, sprich für Hackfleisch. Für Steaks und Filet gibt es noch eine weitere Hürde, die genommen werden muss: die Textur nachzubauen. Das ist bei Muskelfleisch deutlich schwieriger als bei Hackfleisch.

Inwieweit beeinflusst die Klimadebatte die Thematik rund um In-vitro-Fleisch?
Neben einem geringeren Ressourcenverbrauch und einem niedrigeren Ausstoss an Klimagasen ist es vor allem das Tierwohl-Argument, das für In-vitro-Fleisch spricht. Wenn es zudem gelingt, Konsumenten mit seriösen Daten zu überzeugen, dass die Produktion dieses Fleisches ökologisch, aber auch sozial nachhaltiger ist als die konventionelle Fleischproduktion, würde sich die Akzeptanz rasch erhöhen.

In einem Zug mit pflanzen­basierten Fleisch-Alternativen wird häufig das Thema Nach­haltigkeit genannt. Sind diese Produkte tatsächlich so nachhaltig wie Produzenten sie gerne anpreisen?
Dazu gibt es meines Wissens noch keine ausreichenden und wirklich zuverlässigen Studien, die eine generelle Aussage erlauben würden. Da sind – je nach Produkt und Ausgangsstoffen – sehr viele Variablen im Spiel. Seriös kann das wohl – volle Transparenz vorausgesetzt– nur im konkreten Fall und mit einem Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette beantwortet werden.

«Die Entwicklung von alternativem Protein hat an Tempo zugelegt.»


Woran erkennen Konsumentinnen und Konsumenten, ob es sich bei einem alternativen Protein-Produkt um ein qualitativ hochwertiges handelt?
Als Trendforscherin verfolge ich den Trend natürlich aufmerksam, als Ernährungswissenschafterin allerdings auch kritisch. Die Produzenten und ihre Werbekampagnen suggerieren, dass wir an einer Unterversorgung an Proteinen leiden, was in den Industrieländern selbst dann nicht der Fall wäre, wenn wir uns alle fleischlos ernährten. Der Blick auf einen Makronährstoff verengt die Debatte über die Zukunft unserer Ernährung. Es geht um mehr. Es geht um alternative Lebensmittelproduktion, um nachhaltigere, bessere Lebensmittel und nicht um Protein.

Bessere Lebensmittel – gutes Stichwort. Pflanzenbasierte Fleisch-Alternativen sind oftmals stark verarbeitet. In welchem Ausmass beeinflusst die Zutatenliste die Wahl der Konsumierenden?
Der Plant-based Food-Trend hat zu einer radikalen Veränderung der Wahrnehmung von Lebensmitteln geführt. Haben sich viele Konsumenten und Konsumentinnen lange Zeit vor Zusatzstoffen, Konservierungsmitteln und Aromen gefürchtet, so werden diese heute – insbesondere von Veganern – bewusst in Kauf genommen. Weil nämlich Tierwohl und Klimaschutz bei der Wahl der Lebensmittel heute einen höheren Stellenwert haben. Bei der neuen Generation von veganen Lebensmitteln ist die Zutatenliste schon deutlich kürzer. Neue Technologien wie die Präzisionsfermentation werden sie weiter schrumpfen lassen.

(Interview Désirée Klarer)


Zur Person

Die Gesundheitspsychologin und Ernährungswissen­schafterin Hanni Rützler erforscht seit über 25 Jahren Gegenwart und Zukunft der Esskultur. Dieses Jahr brachte sie bereits die zehnte Ausgabe ihres Food Reports heraus, zusammen mit einem Food-Trend-Glossar.


Informationen

futurefoodstudio.at
zukunftsinstitut.de