Der Fluch ist ein Segen. Denn das Bier aus Brot von gestern kommt gut an. Erst im April lanciert, wird dieses bereits in zahlreichen Bäckereien und auch einigen Restaurants angeboten.
Bernsteinfarben und geschmackvoll – so lässt sich frisch gebackenes, knuspriges Brot beschreiben. Genau dies trifft auch auf das Spezialbier aus Brot von gestern zu. Das von der Damn Good Food & Beverages AG in Weinfelden initiierte und der Brauerei Locher in Appenzell gebraute «Bread Beer» wurde Mitte April erstmals vorgestellt. Rechtzeitig zum Jahrestreffen des Vereins «United Against Waste», welcher von grossen Playern der Lebensmittelbranche wie Nestlé, Unilever, Pistor und Gastrosuisse gegründet wurde und zum Ziel hat, Abfallberge zu reduzieren, konnte der erste Sud abgefüllt werden. Die Idee, aus Brot ein Bier zu brauen, ist im Sinne des Vereins und lag daher nahe. Schliesslich teilen sich gutes Brot und erfrischendes Bier dieselbe Geschichte.
Das älteste überlieferte Bierrezept soll 5000 Jahre alt sein und aus China stammen. Frühe Nachweise für Bier gibt es auch aus dem altmesopotamischen Raum. Die Ägypter liessen halbfertig gebackenes Brot in Wasser einweichen und vergären. So bekamen sie eine Art Ur-Bier. Die Kelten kannten mehrere Biersorten, insbesondere das weit verbreitete Korma, ein einfaches Gerstenbier, und die Cervisia, ein Weizenbier mit Honig für die wohlhabendere Bevölkerung. Im Mittelalter wurde Bier noch aus sehr vielen unterschiedlichen Zutaten gebraut und die Maische mit obergäriger Hefe vergoren. Erst mit der Einführung des geregelten Braubetriebs durch Klosterbrauereien ersetzten Mönche die Grut, eine Kräutermischung, mit Hopfen. Durch das Kochen der Bierwürze war der Sud keimfrei, was man vom damaligen Trinkwasser nicht sagen konnte. Deshalb tranken bereits Kinder Bier. Dieses enthielt jedoch weniger Alkohol als heutige Bierspezialitäten. Wegen seines Kaloriengehalts war Bier zudem eine wichtige Ergänzung der oft knapp verfügbaren Nahrung. Da Bier auch aus minderwertigem, nur halbwegs geniessbarem Getreide gebraut werden konnte, wurde es «flüssiges Brot» genannt. Spätestens das Reinheitsgebot von 1516 verbannte Brot aus deutschen Sudkesseln. Das erste moderne Bier nach Pilsner Brauart wurde übrigens am 5. Oktober 1842 gebraut. Ausgeschenkt im November des gleichen Jahres trat das helle Lager sodann seinen weltweiten Siegeszug an.
Der Kwas, ein ostslawisches Getränk, das durch die Gärung von Brot hergestellt wird, ist in Russland, Weissrussland, Polen und der Ukraine sowie im Baltikum und dem Kaukasus noch heute weit verbreitet. Neben dem Kwas aus Brot oder Zwieback, kennen die Osteuropäer auch Rezepturen aus Birnen, Beeren oder anderen Früchten. Sensorisch erinnert der Geruch von Kwas an frisches Brot. Zudem hat das Gebräu einen leichten Zitronengeschmack. Um den niedrigen Alkoholgehalt zu verstärken, wird dem Sud vor der Gärung Zucker oder Melasse beigemischt. Bedingt durch Milchsäurebakterien wird dem Brottrunk eine verdauungsfördernde Wirkung nachgesagt. In der Schweiz haben viele gut sortierte Reformhäuser den Brottrunk im Angebot.
Das Beste aus dem Ofen trifft auf das Beste aus dem Braukessel. So wird auf der Webseite für das Schweizer «Bread Beer» geworben. Acht Monate Entwicklungszeit und harte Arbeit stecken im Projekt. Doch mit Karl Locher von der gleichnamigen Appenzeller Brauerei fand Dominic Meyerhans, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Meyerhans Mühlen in Weinfelden, einen innovativen Partner.
Meyerhans gründete zusammen mit drei Mitstreitern die Firma «Damn Good Food & Beverages AG» – was übersetzt soviel heisst wie «verdammt gutes Essen und Trinken». Die drei Ideengeber und damit «Väter» des «Bread Beers» sind Meyerhans, Mühlen-Verkaufsleiter, und Geschäftsleitungsmitglied Richard Keiser sowie André von Steiger, Leiter Verkauf bei Pistor und Präsident des Vereins United Against Waste, sowie Heinz Nussbaumer, Leiter Strategie- und Geschäftsentwicklung bei Pistor und Vizepräsident des Vereins. «Pistor sammelt unverkauftes und getrocknetes Brot aus Bäckereien und bringt dieses zur Mühle. Wir holen das Brot bei der Pistor ab, prüfen es sensorisch und optisch, mahlen es zu Brotbrösmeli, analysieren diese und liefern es sodann in die Brauerei», erklärt Dominic Meyerhans den Prozess. «Das Brot muss strenge Kriterien erfüllen. Zur Zeit werden vor allem helle Brote zu einem amberfarbenen Bier verarbeitet. «Vielleicht werden wir in Zukunft auch ein dunkles Bier aus dunklem Brot anbieten», ergänzt Meyerhans. Doch das ist Zukunftsmusik. «Vorerst konzentrieren wir uns auf eine tadellose Qualität beim Hellen.» Der Prozess sei anspruchsvoll. Anders als das spelzige Gerstenmalz würden die Brotbrösmeli aufquellen und können die Entleerung des Läuterbottichs erschweren. «Vor dem Abfüllen wird das ‹Bread Beer› nochmals getestet und analysiert. Wir überlassen nichts dem Zufall.»
Brot ersetzt etwa 30 Prozent des Braumalzes. Wie beim Malz wird die Stärke in vergärbaren Zucker umgewandelt. Acht Tonnen Brot ergeben mit Gerstenmalz, Wasser, Hopfen und Hefe gut 1000 Hektoliter Bier. Verkauft wird das «Bread Beer» in 33-cl-Flaschen. Einwegflaschen über Pistor, Einweg- und Mehrwegflaschen über die Vertriebskanäle der Appenzeller Brauerei. Die Idee für ein Brotbier ist nicht neu. Ein solches haben im letzten Dezember auch zwei Lokale in Bern lanciert. Eines davon ist die «Barbière» im Breitenrainplatz. Ihr Projekt realisierten die Brauer Matthias Kernen und Christoph Häni in Zusammenarbeit mit der Äss-Bar, einem Laden für Brot von gestern. Der erste 400-LiterSud fand grossen Anklang und war rasch ausverkauft. Ein weiterer ist geplant. Auf wann genau, wollten die beiden Brauer aber noch nicht verraten.
Ein Brotbier hat auch die Basler Brauerei Unser Bier im Angebot. Das Team um Geschäftsführer Luzius Bosshard und Braumeister Florian Schmid hat ebenfalls die Tatsache, dass schweizweit sehr viel Brot im Müll landet, dazu bewogen, mit dem Altbrot vom Backwaren Outlet von der Güterstrasse in Basel ein Brotbier zu brauen. Dass dabei aller Anfang schwer ist, merkten sie an den verstopften Leitungen. Beim zweiten Sud packten sie die Brotbrösel in einen engmaschigen Nylonsack.
Neben den Brotbier-Brauereien gibt es zahlreiche weitere Einzelinitiativen in der Schweiz, die Konsumenten auf das Thema Lebensmittelabfall sensibilisieren wollen. Die meisten sind Mitglied bei United Against Waste. Auch Damn Good Food & Beverages wird sich weiterentwickeln.
Die Damn Good Food & Beverages AG will in Zukunft weitere innovative Lebensmittel mit einem hohen Grad an Nachhaltigkeit entwickeln und vertreiben. Das Hauptziel dabei ist, Lebensmittelreste zu vermeiden oder neuen Verwendungsformen zuzuführen. Gleichzeitig sollen die Produkte gut schmecken. «Wertschätzender Genuss» ist daher zentraler Leitfaden der jungen Firma.
(Gabriel Tinguely)