Die Lohntransparenz kann zu einem guten Arbeitsklima beitragen, muss aber nicht. Der Arbeitspsychologe Michael Weber weiss, worauf es ankommt.
Michael Weber, die Familie Wiesner Gastronomie (FWG) sorgte vor ein paar Wochen für Aufsehen, als das Unternehmen die Löhne bis auf Stufe Geschäftsleitung offenlegte. Was glauben Sie, warum ist das Thema Lohn in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabuthema?
Der Mensch als soziales Wesen vergleicht sich zwar sehr gerne. Da anders als bei spielerischen Wettbewerben mit meist klaren Regeln beim Lohn oft weniger objektive oder zumindest schwierig nachvollziehbare Faktoren eine Rolle spielen, kann der Vergleich des Gehalts ungute Gefühle auslösen.
Haben Sie ein Beispiel für einen solch schwierig nachvollziehbaren Faktor?
Vielen erscheint es ungerecht, wenn jemand einer vergleichbaren Funktion nachgeht wie der Kollege im selben Alter mit einer ähnlichen Ausbildung, der Kollege jedoch mehr verdient, weil er oder sie beim Einstellungsgespräch härter verhandelt hat. Leider ist es jedoch nach wie vor so, dass Männer in puncto Lohn in der Tendenz forscher auftreten. Dies, obwohl sie im Vergleich nicht mehr in die Waagschale zu werfen haben als Frauen.
Beeinflusst Lohntransparenz das Arbeitsklima Ihres Erachtens positiv?
Aus Untersuchungen kennen wir Löhne vor allem als potenziell demotivierendes Element. Eben dann, wenn Unterschiede ungenügend erklärt werden können. Die Lohntransparenz allein genügt also nicht. Es braucht wie bereits erwähnt auch ein nachvollziehbares System mit klaren Kriterien. Zudem ist zu beachten, dass der Lohn für viele zwar ein wichtiger Grund ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Jedoch der Lohn allein ist selten ein nachhaltig motivierendes Element. Sobald die Bezahlung ein angemessenes Niveau erreicht hat, sind es andere Faktoren, die Mitarbeitende antreiben.
Welche Faktoren sind dies?
Allen voran sollte es eine Tätigkeit sein, die jemand gerne ausübt und die ihr oder ihm erfüllend und sinnstiftend erscheint. Weitere Faktoren sind etwa Erfolgserlebnisse sowie Anerkennung am Arbeitsplatz. Hinzu kommen Gestaltungsmöglichkeiten und ein gewisses Mass an Selbstbestimmung sowie die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Nicht zuletzt trägt auch das Zwischenmenschliche zu einem guten Arbeitsklima bei. Also die Qualität der Beziehung zu Arbeitskolleginnen und -kollegen sowie den Vorgesetzten.
Selbst wenn all diese Faktoren stimmen, ist es ärgerlich, wenn man herausfindet, dass man weniger verdient als Kollegen mit vergleichbaren Kompetenzen. Was raten Sie in so einer Situation?
Ich würde mit den Verantwortlichen des Betriebes das Gespräch suchen und mir erklären lassen, nach welchen Regeln oder Prinzipien die Löhne festgelegt werden. Wenn daraus nicht ersichtlich wird, woran die beobachteten Unterschiede festgemacht werden können, gilt es, diese anzusprechen und nach den Gründen zu fragen. Bleibt die Antwort darauf unbefriedigend, sollten die eigenen Überlegungen sachlich und freundlich dargelegt werden.
Glauben Sie, Lohntransparenz könnte in ein paar Jahren die Regel darstellen?
Wir beobachten tatsächlich, dass verschiedene Unternehmen daran sind, eine nachvollziehbare Lohnsystematik aufzubauen. Das ist ein Anfang. Allerdings gibt es vom Markt her noch andere starke Kräfte, die auf das Lohngefüge einwirken und zu Lohndifferenzen führen können, die schwieriger zu erklären sind. In der Gastronomie kann dies beispielsweise das Gästeaufkommen sein. Je bewusster eine Firma mit der Thematik umgeht, desto einfacher fällt auch Lohntransparenz. Nach 20 Jahren im Geschäft bin ich ungebrochen, aber verhalten optimistisch.
(Interview Désirée Klarer)
Michael Weber hat Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bern studiert und diverse Weiterbildungen absolviert. Seit 2007 ist er geschäftsführender Partner des «Büro a & o – Büro für Arbeitspsychologie und Organisationsberatung» in Bern. Er begleitet Firmen bei der Einführung von Lohnsystemen.