Wein machen, ist das eine, ihn zu verkaufen, das andere. Piwi-Sorten schmecken trotzdem nach Zukunft.
Um diese Geschichte zu verstehen, muss man kurz in die Vergangenheit blicken. Denn sie beginnt mit einer Katastrophe. 1845 wurde der Echte Mehltau in Europa erstmals nachgewiesen. 1863 folgte die Reblaus und 1878 tauchte der Falsche Mehltau auf. Eingeschleppt aus Amerika, vernichteten sie einen grossen Teil der europäischen Rebfläche. Es brauchte Jahre der Forschung, bis man die Zusammenhänge begriff. Die Reblaus konnte schliesslich mit dem Aufpfropfen von europäischen Edelreben auf amerikanisches Wurzelwerk unter Kontrolle gebracht werden. Mehltaupilze in Schach zu halten, vermochte die Bordeaux-Brühe, ein Zusammenspiel von gebranntem Kalk mit einer Kupfersulfatlösung.
Mit der Kreuzung europäischer Reben der Gattung vitis vinifera mit der amerikanischen vitis rupestris entstanden Hybriden, die heute pilzwiderstandsfähigen Reben, kurz Piwi, genannt werden. Einen ersten grösseren Erfolg hatten die miteinander verwandten Sorten Maréchal Foch und Léon Millot. 1911 in Colmar (F) gezüchtet, weisen sie bis heute eine hohe Pilzresistenz auf. Karin und Roland Lenz aus Uesslingen/TG haben 25 verschiedene Piwis in Ertrag. Ihren Léon Millot mussten sie noch nie spritzen. Daraus keltern sie einen granatroten, geschmeidigen und nach Süssholz und dunklen Früchten duftenden Wein. Rote Piwi-Sorten werden meist als Assemblagen vermarktet. Weisse Piwi-Sorten weisen mit Zitrusduft und Noten von exotischen Früchten ähnliche Aromenprofile auf wie Europäersorten. Sortenrein vinifiziert, lassen sie sich deshalb einfacher in den Weinmarkt integrieren.
Frühe Piwi-Sorten aus den Jahren 1911 bis 1922 wurden vor allem auf Resistenz gezüchtet. Amerikanische und asiatische (vitis amurensis) Kreuzungspartner hinterliessen Spuren. Die Weine schmeckten zum Teil so schauderhaft, dass der Anbau gewisser Sorten verboten wurde. Weitere Kreuzungsversuche folgten zwischen 1967 und 1975. In der Schweiz entstanden zu dieser Zeit Gamaret und Garanoir. Bei Züchtungen der dritten Welle ab 2006 stehen die Aromen und die Finesse der Europäerreben im Vordergrund. In der Schweiz ist Valentin Blattner aus Soyhières/JU führend. Cabernet Blanc, Sauvignac sowie Cabernet Jura und Pinotin haben bereits bekannte Namen. Viele weitere tragen erst Blattners Kürzel VB sowie Zuchtnummern wie 32–7 oder 26–28. Auch die Forschungsanstalt Agroscope in Changins/VD hat mit den Geschwistersorten Divico und Divona je eine vielversprechende rote und weisse Sorte am Start. Die Eltern sind Gamaret und Bronner. Sie enthalten jedoch auch Gene von über 30 weiteren Rebsorten. In wenigen Jahren werden noch weitere Sorten auf den Markt kommen. Viele, vor allem jüngere Winzerinnen und Winzer, setzen primär auf weisse Piwi-Sorten. Das stimmt Rebbaukommissär Beat Felder zuversichtlich. «In der Zentralschweiz haben Piwis bald einen Anteil von 50 Prozent.
(Gabriel Tinguely)