Nils Müller ist der einzige Bauer in der Schweiz, der auf seinem Land Weideschlachtungen durchführen darf. In seinen Augen die konsequente Folge einer artgemässen Nutztierhaltung.
«Wir lieben unsere Tiere, deshalb töten wir sie selber – stressfrei unter Artgenossen auf der Weide, wo sie schon zur Welt gekommen sind. In Ehrfurcht vor dem Leben.» So steht es prominent auf der Homepage des Bauernhofs «Zur Chalten Hose» auf dem Küsnachterberg/ZH. Wer sich mit Bauer Nils Müller darüber unterhält, merkt sofort, dass dies keine leeren Worte sind, um sein Fleisch zu vermarkten. Dies hat er nämlich nicht nötig. Das Fleisch seiner Angus-Rinder und Turopolje-Schweine ist von einer dermassen spannenden Konsistenz und so geschmackvoll, dass er es problemlos in Eigenvermarktung losbringt. Die Rinder schiesst er selbst. Ihr Fleisch wie auch das der Schweine verarbeitet er zum Teil. Meist geht es an Private. Doch ab und zu verkauft er an Gastronomen. Wenn es genügend Fleisch zur Verfügung hat und der Koch oder die Köchin ihn überzeugt.
«Ich bin der Meinung, dass professionelle Köche im Restaurant keine Edelstücke anbieten sollten. Die sind so einfach zu kochen, dass die Profis diese Stücke den Laien überlassen sollten. Deshalb verkaufe ich Köchen manchmal diejenigen Stücke, die liegenbleiben», sagt Nils Müller. Der gelernte Bauer weiss, wovon er spricht: Nach seiner Erstausbildung zum Landwirt absolvierte er die Hotelfachschule in Passugg/GR. Danach arbeitete er ein Jahr lang in der Küche der «Fischerzunft» von André Jaeger, der jahrzehntelang mit 19 Gault-Millau-Punkten sowie einem Michelin-Stern ausgezeichnet war. «Ein guter Koch sollte mindestens einen Viertel eines Tieres einkaufen als Basis für eine gute Fleischküche.» Aus den Knochen bereite man die besten Saucen zu und aus dem Mix der rund 200 Muskeln schmackhafte Würste sowie Farcen. Das Beste der Tiere jedoch befände sich am Kopf, so der 40-Jährige. Dieses Fleisch verfüge über das meiste Aroma. Er schwärmt vom Kopffleisch der Schweine, das sich hervorragend für Carbonara eigne, und von Rindsbacken, die über viel mehr Aroma verfügten als diejenigen der Kälber.
An den monatlich stattfindenden Tavolata auf dem malerischen Hof bereiten er und seine Frau Claudia nur Schmorgerichte zu. «Mit diesen Essen bleibt der ganze Lebenskreislauf von der Geburt, über das Leben bis hin zum Tod und die Verarbeitung unseres Tieres in unseren Händen. Es ist ein in sich geschlossener Kreislauf», so Nils Müller. Für das Gericht «Brust vom Bio-Turopolje-Säuli» verarbeitet er zum Beispiel Schwarte, Kopffleischfarce, Spinat, Ricotta und Kräuter. Mit diesen Anlässen verdient sich das Paar nicht nur etwas hinzu, sondern sie dienen ihm auch als Reflektion. «Das Gastgewerbe war für mich schon immer eine Verbindung zum Menschen, um Anregungen anzunehmen und meine Ideen weiterzugeben», so Nils Müller. Während seiner Zeit als Koch bei André Jaeger begann der Zürcher die Fleischproduktion zu hinterfragen, die er als Bauer bereits von der anderen Seite her kannte. «Ich lernte, dass neben der Rasse des Tieres viel Bewegung und die Fütterung von Gras wesentlich zu einer guten Fleischqualität beiträgt. Und dass Stress trockenes und saures Fleisch hervorbringt.» Denn infolge länger anhaltender Angst- und Erregungszustände werden unter dem Einfluss von Stresshormonen die Energiereserven der Schlachtrinder weitgehend aufgebraucht. Dies hat negative Auswirkungen auf die Milchsäurebildung und Reifung des Fleisches.
Nach seiner Ausbildung zum Landwirt arbeitete Nils Müller einige Jahre auf konventionellen landwirtschaftlichen Betrieben in verschiedenen Ländern. Wie weltweit mit Tieren umgegangen wird, bereitete ihm mehr und mehr Unbehagen, bis sich der Zürcher entschloss, anders zu arbeiten. «Wenn wir unsere Tiere mit Mais, Soja, Gerste oder Getreide füttern, fressen sie Menschen ihr Essen weg, und es ist wenig artgerecht. Dazu kommt, dass das Grasland unseres Landes genutzt werden muss, da es sonst verwaldet. 70 Prozent der Schweiz ist mit Wald bedeckt. Was macht da mehr Sinn als eine artgerechte Tierhaltung?» Nach diesen Überlegungen begann Nils Müller selektiv wieder Fleisch zu essen. Darin sieht er eine Berechtigung dazu.
Vor sieben Jahren kaufte er den stillgelegten Bauernhof «Zur Chalte Hose», der seinen Namen seinem zugigen Standort verdankt. Im Winter sei es dort jeweils so kalt, dass die Hosen, die draussen zum Trocknen aufgehängt sind, sofort einfrören, sagt man. Seit drei Jahren kann er mit seiner Frau und einer Mitarbeiterin dort nun so arbeiten, wie er es möchte: mit artgemässer Tierhaltung. Was vielerorts propagiert wird, lebt Nils Müller auf seinem Hof vor: Die Angus-Rinder leben im Herdenverband mit Stier, Mutterkühen und Kälbern. Grosse Weiden stehen ihnen zur Verfügung, im Sommer kommen sie drei Monate auf die Alp. Der Schweinestall ist mit viel Stroh bestreut, die Tiere dürfen jederzeit in ihren grosszügigen Auslauf, der auch Platz zum Suhlen birgt. Die Pferde leben gemeinsam in einem Laufstall mit Umschwung, so oft es die Witterung zulässt, sind auch sie auf der Weide.
Doch das ist längst nicht alles, was Nils Müller fürs Tierwohl macht. Er begleitet sie ihr Leben lang. «Als Bauer weiss ich, in welche Panik Tiere verfallen, die von ihrer Herde getrennt, in einen unbekannten Anhänger durch die halbe Schweiz gefahren und schliesslich im Schlachthaus am Fliessband getötet werden. Das will ich meinen Tieren nicht antun», so der Landwirt. Nach mehrjährigem Kampf mit den Behörden darf er nun als einziger in der Schweiz seine Rinder auf der Weide schlachten. «Ethik und moralische Fragen führten mich dazu.» Das selbstständige Töten seiner Tiere sei der konsequente letzte Schritt artgerechter Tierhaltung – wenn auch der schwierigste. «Wenn ich die Tiere, die ich liebe, schiessen muss, grenze ich mich emotional total ab. Es ist hart, aber fair fürs Tier», so der Bauer. Zu diesem radikalen Schritt hat ihm seine Erfahrung als Jäger geholfen.
Zehn Rinder schiesst Nils Müller jährlich auf seinem Hof. Mit dabei ist immer ein Amtstierarzt. Die Rinder wie auch die zwölf Turopolje-Schweine, die im nahen Schlachthaus in Küsnacht getötet werden, verarbeitet er mit Störmetzger Patrick Föllmi zu Fleisch. Drei Tage dauert es, bis ein Rind vollständig verwertet ist. Wie die letzten Stücke zu edlen Salumi werden, lernte Nils Müller in Italien bei einem Professor, der an der Slow-Food-Akademie unterrichtet. «Ich arbeite nach alter, schonender Methode ohne Konservierungsstoffe und chemische Zusätze.» So entstehen in Handarbeit feine Salami, Bresaola, Rohschinken, Coppa und Panchetta. «Eine schöne und sinnvolle Arbeit, findet er und fügt an: «Es müsste 200 bis 300 solche Betriebe wie meiner in der Schweiz geben. Sie wären nicht nur gut für das Tierwohl und die Fleischqualität, sondern auch für das Image von Landwirten sowie Metzgern. Sie würden das Handwerk und den Berufsstolz fördern.» Interessenten seien vorhanden, doch die Hürden, um die Bewilligung für Weideschlachtungen zu erhalten, sind noch sehr hoch. Sie hoffen auf eine baldige Klärung des Gesetzes.
(Sarah Sidler)
– Tiere befinden sich in gewohnter Umgebung
– Herdenverbund gibt Sicherheit
– Würdevoller Tod
– Mensch bleibt für das Tier in akzeptabler Entfernung
– Arbeitsschutz für Landwirt und Metzger
– Keine fremden Menschen stören das Tier
– Kein Transport des lebenden Tiers
– Kein Kontakt zu fremden Artgenossen
– Keine Wartezeit am Schlachthof (ohne Futter)
– Kein Fixieren des Kopfes vor Betäubung
– Projekt wird unterstützt durch Tierschutz-Organisationen
Bauernhof Zur Chalten Hose
Küsnachterberg
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