An den zweiten Sustainable Tourism Days wurde das Thema Nachhaltigkeit von allen Seiten beleuchtet und diskutiert. Es wurden mögliche Massnahmen aufgezeigt und Best-Practice-Beispiele vorgestellt. Der Konsens war klar: Nichts tun, ist keine Option.
Nicht nur das Programm, auch die Teilnehmendenliste der Sustainable Tourism Days konnte sich sehen lassen: Mehr als 270 Vertreterinnen und Vertreter von Leistungsträgern aus den verschiedensten Tourismusbranchen sowie regionale Organisationen, Branchenverbände, Beratungsfirmen, Bildungsinstitutionen sowie Organisationen im Bereich der internationalen Entwicklungsarbeit fanden sich in Bern ein, um gemeinsam Wege und Lösungen für mehr Nachhaltigkeit im Tourismus zu diskutieren. Organisiert wurde der Anlass vom Kompetenzzentrum Nachhaltigkeit Kona des Schweizer Tourismus-Verbands STV.
Nicoló Paganini, Präsident schweizer Tourismus-Verband
Dieses breite Interesse freute STV-Präsident Nicolò Paganini besonders. «Das Bemühen um mehr Nachhaltigkeit im Schweizer Tourismus ist zu einer Bewegung geworden», stellte er in seiner Begrüssung fest. Dass Wege dadurch entstehen, dass man sie geht, habe schon Kafka gewusst. «Mittlerweile gehen wir im Bereich Nachhaltigkeit im Tourismus nicht mehr auf Trampelpfaden, sondern auf gut befestigten Naturstrassen.» Damit sich diese erfreuliche Entwicklung weiter fortsetzt, brauche es den kontinuierlichen Austausch zwischen allen Akteuren: «Fixfertige Rezepte gibt es in diesem Bereich keine. Aber im Austausch finden wir jene individuellen Lösungen, die uns den Weg bereiten.»
Wie diese individuellen Lösungen aussehen können, zeigten Referentinnen, Workshopleiter und Podiumsdiskussionsteilnehmende mit Beispielen aus ihren Betrieben auf. So stellte unter anderem Sebastian Schmid, Gastgeber im Hotel Glocke in Goms/VS, seinen Familienbetrieb vor. Das Hotel ist mit Ibex Fairstay Platinum ausgezeichnet – der höchsten Stufe der Zertifizierung. Dafür wurden verschiedenste Massnahmen umgesetzt. So sorgt eine Pelletheizung aus der Region für die nötige Wärme, gereinigt wird mit biologisch abbaubaren Produkten, übriggebliebende Menüs werden über die App «Too good to go» verkauft und für das Fleischangebot werden ganze Tiere beim Bauern oder Jäger bestellt. «Es braucht ein bisschen Mut, auch Niere und Herz auf der Karte zu haben», sagt Sebastian Schmid. «Bei uns gibt es das Lammkarree zum Beispiel immer zusammen mit der Niere – das funktioniert sehr gut.» Die Gäste müssen in der «Glocke» zudem schon am Vorabend entscheiden, was sie am nächsten Tag essen möchten – so kann die Küche genauer planen und Food Waste verringern.
Neben einer Ladestation für Elektroautos gibt es beim Hotel seit Juni auch ein Mobility-Auto, welches sowohl den Gästen als auch den Mitarbeitenden zur Verfügung steht. «So können unsere Gäste entspannt mit dem Zug anreisen und bleiben in der Tagesplanung trotzdem flexibel», sagt Schmid. Wer es sportlicher möchte, kann eines von fünf E-Bikes mieten. Die tägliche Zimmerreinigung können die Gäste per App abbestellen. Zu weniger Reinigungsaufwand und entsprechenden Kosteneinsparungen habe dies allerdings nicht geführt, räumt Schmid ein: «Wir haben unser Team nicht abgebaut. Reinigung ist Werterhaltung und bei uns gibt es immer etwas zu unterhalten, sei es der Spielraum für die Kinder oder der Wellnessbereich.» Und die Zimmer müsse man trotzdem täglich betreten, um den Abfall zu entsorgen und den Zustand des Zimmers zu kontrollieren. Für mehr Nachhaltigkeit dank weniger Wäsche sorgt die Massnahme trotzdem – zusammen mit zahlreichen weiteren, die in der «Glocke» umgesetzt werden. Den Teilnehmenden der Tagung riet Schmid: «Wir müssen weniger reden und mehr machen. Fangen Sie einfach an!»
So vielfältig die Nachhaltigkeit mit ihren drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales ist, so vielfältig war auch das Programm der zweitägigen Tagung Sustainable Tourism Days. Im Folgenden eine kleine Auswahl von Themen und Fragestellungen, die im Plenum und in zahlreichen Workshops diskutiert wurden.
(Angela Hüppi)
Den grössten Anteil am CO2-Ausstoss des Schweizer Tourismus hat nach wie vor die An- und Abreise der Gäste. Elektrofahrzeuge können zwar zur Verringerung der Emissionen beitragen, lösen aber nicht das Grundproblem sowie weitere Herausforderungen wie Platzbedarf und Verkehrsüberlastungen. Ein vermehrter Umstieg der Gäste auf den öffentlichen Verkehr ist daher unerlässlich.
«Hauptgründe für die Anreise mit dem Auto sind Flexibilität, Erreichbarkeit und Gepäckverstauung», sagt Christoph Wydler, Senior Projektleiter bei der SBB. Wer will, dass die Gäste auf den öffentlichen Verkehr umsteigen, muss sich daher diesen Punkten widmen und gleichzeitig die Vorteile des ÖV hervorstreichen: Nachhaltigkeit, Zuverlässigkeit sowie die Möglichkeit, die Zeit im Zug frei zu nutzen. Um den Gepäcktransport so komfortabel wie möglich zu gestalten, bieten die SBB beispielsweise einen Gepäck-Service an. Für 44 Franken können damit vier Gepäckstücke von zuhause bis zur Unterkunft transportiert werden. Das Problem: Die letzte Meile muss vom Hotel übernommen werden. Hier könnte es sich beispielsweise lohnen, Kooperationen mit anderen Betrieben einzugehen, um Kosten zu sparen.
Um den ÖV in abgelegenen Gebieten zu verbessern, bietet zudem die Postauto AG so genannte Rufbusse an, die mittlerweile per App und auch im Voraus bestellt werden können. «Das Angebot lohnt sich für verzweigte Orte mit tiefer Nachfrage und vor allem für kurze Strecken», sagt Mirco Mäder, Leiter der Initiative On-Demand. Der Service soll das Problem der letzten Meile lösen und kommt sowohl Tourismus wie Bevölkerung zugute. Finanziert wird das Angebot oft mithilfe einer Gemeinde oder des Kantons. Für interessierte Destinationen gibt es die Möglichkeit, Testläufe durchzuführen.
Wer etwas für die Nachhaltigkeit tut, sollte dies auch gegen aussen kommunizieren. Nicht zuletzt, da die Gäste immer mehr Wert auf nachhaltige Angebote legen. Doch beim Wording ist Vorsicht geboten, um Greenwashing zu vermeiden. Irreführende Werbeaussagen sind in der Schweiz bereits heute verboten. Künftig wird sich die Situation aber verschärfen: Anfang Jahr wurde in der EU die Empco-Richtlinie angenommen. Diese bestimmt, dass allgemeine Umweltaussagen nur noch rechtens sind, wenn dafür klare, objektive und überprüfbare sowie öffentlich verfügbare Verpflichtungen getroffen wurden. Und: Die Kompensation von Treibhausgasemissionen ist nicht zulässig, um beispielsweise Aussagen wie «klimaneutral bis 2050» zu tätigen.
Derzeit in finalen Aushandlungen befindet sich die Green-Claims-Directive der EU. Diese bestimmt, dass Aussagen zur Nachhaltigkeit begründet und mit wissenschaftlichen Daten untermauert sowie von einer externen Prüfstelle geprüft werden müssen. Auch unklare und irreführende Logos wie beispielsweise ein grüner Baum sind nicht mehr zulässig.
In der Schweiz gilt zwar nicht EU-Recht. Dennoch werden sich Schweizer Betriebe mit diesen Richtlinien auseinandersetzen müssen. Denn erstens muss jede Werbung, welche sich an EU-Bürgerinnen und -Bürger richtet, sich auch an EU-Recht halten. Und zweitens gibt die EU oft die Richtung vor: Was dort gilt, wird meist auch in der Schweiz zumindest in ähnlicher Weise eingeführt. Bestes Beispiel dafür ist die neue EU-Datenschutzrichtlinie. Ganz abseits von rechtlichen Vorschriften sollten die Gäste zudem ohnehin nie in die Irre geführt werden, ob ab- oder unabsichtlich. Denn werden Versprechungen nicht eingehalten, ist das Vertrauen in einen Betrieb schnell erschüttert.
Auch viele Verbände und Destinationsmarketing-Organisationen besuchten die Sustainable Tourism Days und tauschten sich darüber aus, wie ihr Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit aussehen kann. «Wir können unseren Mitgliedern nicht vorschreiben, dass sie nachhaltiger agieren sollen», sagte etwa Laura Wyss von Seilbahnen Schweiz. «Aber wir können sie dazu motivieren und natürlich dabei unterstützen.» Der Bedarf der Mitglieder liege zudem weniger in der Unterstützung bei der Umsetzung konkreter Massnahmen, sondern vor allem bei der Erstellung einer Nachhaltigkeitsstrategie oder eines Reportings. «Viele Unternehmen wissen gar nicht, wo sie anfangen sollen. Hier können wir helfen.» Dies kann etwa mithilfe von Branchenanlässen, Leitfäden oder Workshops geschehen.
Die Marketingorganisation Graubünden Ferien hat sich unter dem Motto «Graubünda wiitsichtig» zum Ziel gesetzt, als alpine Destination Vorreiterin beim Thema Nachhaltigkeit zu werden. Dafür wurde eine 100-Prozent-Stelle Nachhaltigkeit geschaffen. Gemeinsam mit den Partnern umgesetzte Massnahmen sind beispielsweise die Förderung der Biodiversität auf Golfplätzen sowie das Projekt «ÖV inklusive», welches durch eine höhere Kurtaxe finanziert wird.
Ein Eckpfeiler von Graubünden Ferien ist zudem der Wissenstransfer. «Wir sind die zentrale Anlaufstelle für unsere Partner» sagt Martina Hollenstein Stadler, Leiterin Nachhaltigkeit. Mittels Netzwerkanlässen, Workshops und Webinaren werden mögliche Massnahmen vermittelt und der wichtige Austausch zwischen den Leistungsträgern gefördert. Für Hollenstein Stadler ist klar: «Wir müssen jetzt ins Tun kommen. Die tief hängenden Früchte sind vielerorts geerntet – jetzt fängt es möglicherweise an, weh zu tun.»
Eine Möglichkeit, sich für mehr Nachhaltigkeit im Betrieb oder in der Destination einzusetzen, ist der Erwerb eines anerkannten Labels. Der Vorteil: Die Gäste wissen, dass die Nachhaltigkeitsbemühungen nachgewiesen und durch eine unabhängige externe Stelle geprüft wurden. Der Erwerb eines Labels zwingt Betriebe ausserdem dazu, trotz Herausforderungen stets am Ball zu bleiben und vorgenommene Massnahmen immer wieder zu evaluieren.
Nachhaltigkeitslabels und Zertifizierungen gibt es mittlerweile zuhauf. Es liegt an den Betrieben zu evaluieren, welche am besten zum eigenen Betrieb passen. In der Schweiz etabliert hat sich unter anderem Ibex Fairstay, welches gleichzeitig auch das internationale Tourcert-Label vergibt. Klar definierte Berechnungen, Analysen der Betriebsdaten sowie Vergleiche mit Benchmarks sollen touristischen Unternehmen eine wertvolle Standortbestimmung ermöglichen. Das Bewertungssystem unterstützt den Betrieb dabei, die Bereiche Management, Ökologie, Regionalität, soziale Balance sowie Finanzen und Performance zu optimieren.
Auch das Nachhaltigkeitsprogramm Swisstainable unterstützt Betriebe und Destinationen bei ihren Nachhaltigkeitsbemühungen. Es stellt keine neue Zertifizierung dar, sondern integriert bestehende Zertifizierungen, Initiativen und Programme. Je nach Engagement werden die teilnehmenden Betriebe in die drei Levels committed (bestrebt), engaged (engagiert) und leading (führend) eingeteilt. Die Unternehmen profitieren neben der Nutzung der Marke Swisstainable unter anderem von Marketingaktionen, Webinaren und dem Zugang zum Swisstainable-Netzwerk, welches wertvolle Inputs gibt und den in diesem Bereich so wichtigen Erfahrungsaustausch fördert.