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«Wir müssen unsere Ernährung ändern»

Seit neun Jahren leitet Lukas Kilcher das Ebenrain-Zentrum für Landwirtschaft, Natur und Ernährung in Sissach/BL. Täglich macht er sich Gedanken über die Ernährung.

Der ETH-Ingenieur Lukas Kilcher engagiert sich für klimaverantwortliche Landwirtschaft und Ernährung. (ZVG)

Lukas Kilcher, heisse Sommer, Starkregen, Erdrutsche, Dürre und Spätfrost: Die Zeichen der Klimaveränderung sind nicht mehr wegzuleugnen. Wie wirkt sich das auf unsere Ernährung aus?
Mit zunehmenden Wetterextremen müssen die Bauern ihre Kulturen immer mehr schützen und bewässern. Gleichzeitig werden Energie und das Land immer knapper. Die Klimaerwärmung und der Kulturlandverlust gehören zu den grössten Risiken unserer Ernährungssicherheit. Wir müssen im gesamten Ernährungssystem ressourcenschonender produzieren und sparsamer konsumieren.

Welchen Beitrag kann jeder einzelne leisten?
Was wir konsumieren, bestimmt unsere Landwirtschaft. Je konsequenter unsere Wahl auf nachhaltige Lebensmittel fällt, desto kleiner wird unser Klima-Fussabdruck. Wer regionale, saisonale und umweltbewusst produzierte Lebensmittel konsumiert, verbraucht weniger Ressourcen und belastet das Klima weniger. Wir tun auch etwas fürs Klima, wenn wir möglichst frische und unverpackte Lebensmittel einkaufen und wenn wir Lebensmittelabfälle vermeiden.

Und was kann die Gastronomie im Speziellen ändern?
Wenn ich auswärts esse, lasse ich mich gerne inspirieren. Die Gastronomie kann ihre Beispielfunktion wertvoll einsetzen, indem sie regionalen, ressourcenschonend  produzierten Lebensmitteln den Vorzug gibt. Dazu gehört auch eine Reduktion von verarbeiteten und vorverarbeiteten Menüs: Denn wie bereits erwähnt: frisch, lokal und wenig verarbeitet hilft dem Klima.

Müssen wir alle unser Essverhalten zukünftig ändern?
Ja, unbedingt. Denn wie wir uns ernähren, hat eine grosse Wirkung auf das Klima. Eine gesunde Ernährung kommt nicht nur dem Menschen zugute, sondern auch dem Klima.

Und wie sollen wir unser Essverhalten ändern?
Wie eine gesunde Ernährung aussehen kann, die auch gut für die Umwelt ist, zeigt die Planetary Health Diet. Dies ist ein wissenschaftlich fundierter Speiseplan, der gleichermassen die Gesundheit des Menschen und den Planeten schützt. Der Plan wurde von der EAT-Lancet Commission erstellt. Diese Kommission hat die Aufgabe, Strategien für Landwirtschaft und Ernährung zu erarbeiten, welche das Essen von morgen sichern soll. Gemäss deren Erkenntnissen werden wir künftig einen höheren Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln konsumieren müssen und gleichzeitig einen reduzierten Konsum an tierischen Produkten haben. Gemüse, Getreide und weitere Ackerprodukte verursachen vom Feld bis zum Teller meistens geringere Treibhausgas-Emissionen als Fleisch.

«Wir müssen uns zukünftig wieder regionaler ernähren können. Dafür müssen wir unser Kulturland besser schützen.»

Weniger Fleisch bedeutet auch weniger Milch und Käse. Würde das Käsefondue von der Speisekarte verschwinden?
Auf keinen Fall. Milch, Käse und Fleisch aus ökologischer und tierfreundlicher Produktion bleiben wichtige Bestandteile unserer Ernährung. Zwei Drittel der Landwirtschaftsfläche weltweit sind permanentes Grasland. Wiederkäuer wie Kühe, Schafe und Ziegen können aus Gras wertvolle Proteine für die menschliche Ernährung erzeugen. Auf diese Lebensmittel können wir nicht verzichten. Darüber hinaus produzieren Wiederkäuer wertvollen Hofdünger und pflegen unsere Landschaft. Auch Schweine und Geflügel haben künftig ihre Berechtigung als Verwerter von Nebenprodukten. Doch muss es uns gelingen, weniger vom Acker an Tiere zu verfüttern, weil die-ses Futter in Konkurrenz zur menschlichen Ernährung steht.

In den Sommermonaten waren Missernten in ganz Europa ein Dauerthema. Was wird diesen Winter im Angebot fehlen?
Auf den ersten Blick fehlt nichts. Aber Lebensmittel sind teurer geworden, weil die Bauern ihre Kulturen besser schützen müssen und dennoch grössere Missern-ten erleiden. Zum Beispiel haben die Bauern 2022 wegen Spätfrösten und Klimaschädlingen wie der Kirschessigfliege weniger Kirschen geerntet. Dennoch gab es genügend Kirschen zu kaufen.

Müssen wir zukünftig auf fehlende Waren verzichten?
Wenn die Ernten hierzulande missraten, wird mehr importiert. Die Schweiz kann sich das mit ihrer hohen Kaufkraft leisten. Mit grösseren klimabedingten Ernteausfällen und gleichzeitig wachsender Weltbevölkerung werden Agrarexportländer künftig weniger exportieren können. Deshalb müssen wir schon jetzt für uns selber sorgen, der regionalen Landwirtschaft mehr Wert beimessen und unser Kulturland schützen.

(Interview Ruth Marending)


Zur Person

Seit 2013 führt Lukas Kilcher den Ebenrain, das Kompetenzzentrum für Landwirtschaft, Natur und Ernährung beider Basel. Er leitet an der Universität Bern das CAS-Modul «Nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung».


Mehr Informationen unter:

ebenrain.ch