Viele Gastronomen machen sich Gedanken über die Zukunft unseres Planeten. Einige bekennen sich zur Nachhaltigkeit und zelebrieren eine saisonale Küche, kaufen regional ein und verwenden auch Bio-Produkte. Nur wenige gehen den Schritt konsequent weiter und lassen ihren Betrieb zertifizieren.
Dorothee Stich, Sie sind Geschäftsführerin der Stiftung «Goût Mieux». Bitte erklären Sie uns wofür «Goût Mieux» steht.
Dorothee Stich: «Goût Mieux» zeichnet Gastronomiebetriebe aus, die mindestens die Hälfte aller Lebensmittel aus nachweislich nachhaltiger Produktion beziehen. Dabei gehen Bio, Regio und Tierwohl Hand in Hand.
Welchen Mehrwert bietet «Goût Mieux» der Gastronomie?
Die Auszeichnung mit einem glaubwürdigen, transparenten und durch eine unabhängige Stelle kontrollierten Nachhaltigkeits-Label schafft sicher einen Mehrwert. Dies für den Betrieb wie auch den Gast. Der Erhalt der Auszeichnung oder des Labels nach bestandener Kontrolle ist für das Team ein Zeichen der Wertschätzung und für den Betrieb eine Anerkennung. Für Gäste ist die Auszeichnung eine Orientierungshilfe und somit bringt sie – das zumindest zeigen die Erfahrungen von «Goût Mieux»-Betrieben – auch mehr und neue Gäste. Im Falle «Goût Mieux» sind mit der Auszeichnung für die Betriebe zudem noch wertvolle Marketing-Leistungen verbunden.
Welche Label spielen für die Gastronomie eine Rolle?
Das hängt in erster Linie von der Betriebsphilosophie des Gastrobetriebs ab und somit in welchem Bereich der Betrieb seinen Schwerpunkt oder seine Schwerpunkte setzt. Grundsätzlich ist klar, dass die Einführung von (Nachhaltigkeits-)Labels in der Gastronomie eine deutlich grössere Herausforderung darstellt als die Einführung von Produkte-Labels. So ist die Kommunikation zur effektiven Bedeutung sowie zum thematischen Inhalt eines Labels in der Gastronomie massiv schwieriger zu vermitteln als dies bei der Label-Auszeichnung eines Produkts der Fall ist. Das liegt in der Natur der Sache beziehungsweise der Unterschiedlichkeit der Gastro- respektive der Lebensmittelbranche. Aktuell das einzige Nachhaltigkeits-Label in der Schweiz, das nicht für Produkte sondern ausschliesslich für den Gastrobetrieb verliehen wird, ist das Gütesiegel «Goût Mieux».
Was halten Sie von den «Grünen Michelin-Sternen»?
Jede Bemühung für eine nachhaltigere Gastronomie ist grundsätzlich zu begrüssen, weil sie einen Schritt in die richtige Richtung bedeutet. Ein verantwortungsvoller Umgang mit unseren Ressourcen müsste heute selbstverständlich sein. Um zu einer Auszeichnung für nachhaltiges Engagement zu kommen, müssten meiner Ansicht nach die Leistungen und das Engagement sehr deutlich über der Norm liegen und vor allem auch konstant umgesetzt und gelebt werden. Ein paar Bio-Produkte, das Fleisch vom Nachbarhof und Kräuter aus dem eigenen Garten fände ich da nicht ausreichend. Wichtig ist zudem Klarheit und Transparenz nach aussen gegenüber dem Gast. Dieser soll wissen, was für eine Auszeichnung exakt erfüllt werden muss und wie dies kontrolliert wird. Und ebenso wichtig ist wie häufig, in welchem Umfang und in welchen Bereichen sich ein Betrieb konsequent nachhaltig engagiert. Beim «Grünen Michelin-Stern» bleiben für mich diesbezüglich (noch) Fragen offen.
Welche Betriebe sind bio-affin?
Sicherlich alle mit dem Gütesiegel «Goût Mieux» ausgezeichneten Gastrobetriebe, dann natürlich auch diejenigen, die nach den Richtlinien von Bio Suisse oder Demeter arbeiten.
Welche Rolle spielt der Preis der Produkte?
Der Preis spielt immer eine Rolle, es sollte aber vielmehr um die Frage des Werts eines Produktes gehen. Wir setzen heute nur noch einen Bruchteil unseres Brutto-Einkommens für den Kauf von Lebensmitteln ein, unsere Lebensmittel sind also heute zu billig.
Wie erklären sich die höheren Preise für Bio-Produkte?
Der Schutz der natürlichen Ressourcen mit all seinen Facetten führt zu kleineren Erträgen als bei einer vergleichsweise nicht-nachhaltig bebauten Fläche. Der Aufwand des Produzenten ist jedoch nicht kleiner – sondern teilweise sogar grösser, also wird das einzelne nachhaltige Produkte somit zwangsläufig einen etwas höheren Preis haben müssen.
Was empfehlen Sie bei der Preisgestaltung?
Wenn ein Gastronom seinen Tellerpreis auf Basis der Warenkosten mit einem fixen Faktor berechnet, so wird sein Preis unnötig höher ausfallen und seine Marge ungerechtfertigt grösser. Dies passiert leider nach wie vor – auch immer noch im Detailhandel. Und was bei konventionellen Produkten gilt, gilt auch für Bio-Produkte: Angebot und Nachfrage beeinflussen den Preis. Auch bei Bio-Produkten gibt es vereinzelt temporär Überangebote, was sich in tieferen Preisen niederschlägt. Es lohnt sich, darauf zu achten und es lohnt sich, saisonal einzukaufen.
Wie viele bio-zertifizierte Hotels und Restaurants gibt es in der Schweiz?
Als «Bio-Restaurant» wird vieles bezeichnet, bio-zertifiziert sind nur die wenigsten und eine Bio-Zertifizierung an sich sagt noch nichts darüber aus, wie gross der Anteil an Bio-Produkten vom Gesamtangebot ist und wie nachhaltig sich der Betrieb insgesamt verhält und engagiert.
Bio ist ein sehr wichtiger Nachhaltigkeitsaspekt, keine Frage! Aber die Bio-Produkte sollten nach Möglichkeit auch aus der Region stammen und saisonal eingekauft werden – um nur zwei weitere wichtigen Aspekt für echte Nachhaltigkeit zu nennen.
Auch nicht zertifizierte Produkte können einen grossen nachhaltigen Wert haben. Beispiel: In der Nähe eines Gastrobetriebs liegt eine Alp, auf der Käse hergestellt wird. Dieser Käse ist nicht bio-zertifiziert, der Aufwand und die Kosten würden in keinem Verhältnis zur produzierten Kleinmenge stehen. Den Gästen diesen Alpkäse aus der Nachbarschaft anzubieten ist jedoch deutlich nachhaltiger, als einen zertifizierten Bio-Käse aus dem Unterland zu beziehen.
Wieviel Bio braucht es, um als Betrieb glaubwürdig zu sein?
Gäste, die sich bewusst für den Besuch nachhaltiger Gastronomiebetriebe entscheiden, die erwarten in der Regel, dass nahezu das Gesamtangebot nachhaltig ist – und zwar immer. Das heisst aber längst nicht, dass alles bio-zertifiziert sein muss. Für die Glaubwürdigkeit wichtig ist, dass der Gastrobetrieb sein nachhaltiges Engagement detailliert dokumentiert und kommuniziert und sich vor allem auch durch unabhängige Dritte kontrollieren lässt. So «Pi mal Daumen» halte ich einen Betrieb für glaubwürdig, wenn er konstant nachweisen kann, dass im Minimum die Hälfte seines Angebots aus nachhaltigem Anbau stammt und er sich diesbezüglich auch kontrollieren lässt.
(Interview Gabriel Tinguely)
Dorothee Stich kocht und geniesst leidenschaftlich gerne. Als Geschäftsführerin bei «Goût Mieux» sorgt sie dafür, dass die «Suppe» schmackhaft am Kochen bleibt. Sie ist zudem auch noch Geschäftsführerin des Schweizer Verbands für Spital-, Heim- und Gemeinschaftsgastronomie sowie Gründerin/Organisatorin des Bio Marché, der grössten Schweizer Bio-Messe in Zofingen/AG.