Die Schweiz ist im Abstimmungskampf. Bei der BVG-Reform sind die Wirtschaft und die Branche gespalten, auch die Biodiversitätsinitiative polarisiert.
Nach dem Ja zur 13. AHV-Rente folgt am 22. September der Volksentscheid zur Reform der beruf-lichen Vorsorge. Mit der Reform will das Parlament die zweite Säule entlasten. Diese stehe wegen tiefer Erträge und steigender Lebenserwartung unter Druck.
Um dem entgegenzuwirken, sieht die Vorlage eine Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent vor. Bei einem Altersguthaben von 100 000 Franken beträgt die jährliche Rente heute 6800 Franken, mit der Reform wären es noch 6000 Franken. Um Rentenkürzungen möglichst zu verhindern, sind Ausgleichsmassnahmen geplant. So sollen immer 80 Prozent des Lohnes versichert sein, der fixe Koordinationsabzug von 25 725 Franken, der heute angewandt wird, würde wegfallen. Besonders Teilzeiterwerbende sol-len vom höheren versicherten Lohn profitieren. Weiter sind Rentenzuschläge für die Übergangsgenerationen vorgesehen und die Eintrittsschwelle für den Zugang zur Versicherung würde von 22 050 Franken auf 19 845 Franken gesenkt.
Für Bundesrat und Parlament ist die Reform nötig, um die künftigen Renten der obligatorischen beruflichen Vorsorge langfristig zu finanzieren. Für ein Ja setzen sich SVP, FDP, GLP und Die Mitte ein. Auch die Wirtschaftsdachverbände Economiesuisse und der Arbeitgeberverband unterstützen die Reform.
Anfang August scherten acht Wirtschaftsverbände aus und lancierten eine Nein-Kampagne, angeführt von Gastrosuisse, unterstützt unter anderem vom Bäcker-Confiseurmeister-Verband und Cafetier Suisse. «Die Senkung des Koordinationsabzugs belastet besonders Tieflohnbranchen überproportional», argumentiert Gastrosuisse. Zudem entstehe ein höherer Verwaltungsaufwand. So stehen die Verbände auf der Seite des Gewerkschaftsbundes, des Dachverbands der Arbeitnehmenden Travail Suisse und der Hotel & Gastro Union, welche die BVG-Reform ebenfalls ablehnen.
«Der Bundesrat hat immer kommuniziert, dass eine Reform der 2. Säule nicht zu Renteneinbussen führen darf», sagte Adrian Wüthrich, Präsident von Travail Suisse, im Rahmen einer Medienkonferenz. «Dieses Versprechen wird mit der vorliegenden Reform gebrochen.» Die mittleren Einkommen müssten mit Renten-einbussen von 5 bis 15 Prozent rechnen. Durch die Senkung der Eintrittsschwelle müssten viele Arbeitnehmende mit kleinen Einkommen in Zukunft höhere Lohnabzüge leisten, würden mit ihren Altersrenten aber kaum über die Grenze für Ergänzungsleistungen kommen. Mit einem Nein könnte laut Wüthrich ein neuer Anlauf für eine ausgewogene Vorlage genommen werden. Ob es dazu kommt, ist schwierig vorherzusagen. Gemäss Umfragen dürfte es am 22. September knapp werden.
Ebenso offen ist das Rennen um die zweite Abstimmungsvorlage, die Biodiversitätsinitiative. Diese will Bund und Kantone verpflichten, die Artenvielfalt, die Landschaft und das baukulturelle Erbe besser zu schützen und fordert dafür mehr Flächen und Gelder der öffentlichen Hand. Die Schweiz tue heute zu wenig für ihre Natur und ihre Landschaften, der Handlungsbedarf sei aber dringend, so das Initiativkomitee. Zahlenmässige Vorgaben will es aber nicht machen. Schutzgebiete von gesamtschweizerischer Bedeutung müsste der Bund festlegen, kantonale Schutzgebiete die Kantone.
Hinter der Initiative stehen sieben Trägerorganisationen, darunter Birdlife Schweiz und Pro Natura. Unterstützt werden diese von zahlreichen weiteren Organisationen wie Slow Food Schweiz, Pro Specie Rara, aber auch von Parteien wie der SP, den Grünen, der EVP und den Mitte-Frauen, die sich damit gegen ihre Mutterpartei stellen.
Die Nein-Parole beschlossen neben der Mitte die FDP und die SVP sowie viele Wirtschaftsverbände, darunter auch Hotelleriesuisse und Gastrosuisse. Die Initiative sei unverhältnismässig und würde durch neue Auflagen vor allem ländlichen Betrieben schaden.
(Alice Guldimann)