«Dritter Ort», so nennt man in der Soziologie Orte, die ausserhalb vom eigenen Zuhause und vom Arbeitsplatz zum Verweilen einladen. Nicht jedes Hotel oder Lokal gehört dazu.
Viele Hotels werben damit, dass Gäste bei ihnen ein Zuhause weg von Zuhause vorfinden. «So wurde der Begriff des Dritten Ortes vom amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg ursprünglich auch geprägt», sagt Christian Mikunda. Er ist unter anderem Begründer der strategischen Dramaturgie, Speaker und Gastprofessor in Klagenfurt (AT) und Tübingen (DE). Anders als Ray Oldenburg ist Mikunda der Ansicht, dass Dritte Orte sehr wohl inszeniert werden können – aber nicht müssen. «Wenn man in sein Stammlokal geht, das einen mürrischen Wirt zum Gastgeber hat, setzt man sich an den Tisch und erwartet, dass er auf dieselbe Art und Weise mürrisch ist, wie er es immer ist», erklärt Mikunda die natürliche Inszenierung. Menschen liebten die Aufgeladenheit emotionaler Orte, die eigentlich dazu da seien herauszufinden, wer man selbst sei. «Fühlt sich jemand in einem Grand Hotel wohl oder doch eher in einem Budget Hotel, das zwar auch gut inszeniert ist, bei dem es aber zum Beispiel weniger um Kronleuchter und Wendeltreppe geht?», fragt Mikunda rhetorisch.
Ob sich jemand in einem Grand Hotel oder einem Budget Hotel wohlfühlt und ob der Aufenthalt über die reine Bedürfnisbefriedigung hinausgeht, hängt laut Christian Mikunda von den so genannten Hochgefühlen ab: Glory, Joy, Power, Bravour, Desire, Intensity und Chill. In seinem Buch «Warum wir uns Gefühle kaufen» zeigt Mikunda anhand zahlreicher Beispiele auf, welche Bedeutung diese Hochgefühle haben und wie man sie weckt. Am Beispiel des Grand Hotels könnten etwa die Hochgefühle Glory und Chill dazu beitragen, dass sich der Aufenthalt zu einem Erlebnis mausert, für das man gerne bereit ist, mehr zu bezahlen. «Bei Glory, geht es um Erhabenheit im weitesten Sinne. Im Gastgewerbe sind es jene Hotels und Lokale, die ein royales Gefühl lostreten. Chill wiederum steht für das Entspannende», erläutert Mikunda.
Erzeugt werden könne Glory etwa durch Kronleuchter wie in einem Ballsaal, Chill wiederum durch Restaurantgärten, wo man sich auf den Boden legen könne.
Betrieben, die es sich nicht leisten können, die genannten Hochgefühle durch kostspielige Inszenierungen hervorzurufen, rät Mikunda, auf psychologische Präzision zu setzen. Er nennt ein Beispiel: «Wer eine Kerze auf den Tisch stellt, gibt gegenüber dem Gast ein Versprechen ab. Wurde die Kerze bei der Bestellung noch nicht entzündet, wurde das Versprechen nicht eingelöst und der Gast ist enttäuscht. Finessen entscheiden letztlich darüber, ob sich ein Raum als Dritter Ort qualifiziert oder nicht.»
(Désirée Klarer)
Die Strategische Dramaturgie definiert die dramaturgischen Kunstgriffe und identifiziert die psychologischen Mechanismen hinter professionell hergestellten Erlebnissen. Sie wurde von Christian Mikunda im Laufe von mehr als dreissig Jahren entwickelt.