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«Der Tourismus wird nie komplett nachhaltig sein»

Urs Wagenseil ist Experte für nach-haltigen Tourismus. Die eindimensionale Verteufelung von Schneekanonen greift für ihn zu kurz.

  • Klimakiller Schneekanonen? Tourismusexperte Urs Wagenseil wünscht sich eine vielschichtigere Einschätzung. (Keystone-sda)
  • Tourismus-Experte Urs Wagenseil fordert die Branche dazu auf, die soziale Komponente der Nachhaltigkeit nicht zu vergessen.

Urs Wagenseil, Sie betonen, dass zu nachhaltigem Tourismus mehr gehört als ein möglichst kleiner ökologischer Fussabdruck. Zum Beispiel?
Per Definition gehören zur Nachhaltigkeit die drei Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales. In der Schweiz wird derzeit beim Thema nachhaltiger Tourismus die Natur in den Fokus gestellt. Das ist verständlich, grüne Wiesen und Berge gehören zu unseren besten Verkaufsargumenten. Soziale und kulturelle Aspekte hingehen kommen oft zu kurz.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Das ökonomische Wachstum in den Alpen hatte zur Folge, dass neue Hotels und Schneesportanlagen gebaut wurden, für welche man Arbeitskräfte aus dem Ausland holen musste. Man hat sich aber wenig damit befasst, wie man diese in die bestehenden Gemeinschaften integrieren kann. Auch wenn Gruppen aus Asien oder Fernost auf die Bevölkerung treffen, gibt es kaum Strategien für einen konfliktlosen Austausch.

Sie wehren sich auch gegen die einseitige Verteufelung von Schneekanonen. Weshalb?
Schneekanonen respektive künstliche Beschneiungen sind beim Thema Nachhaltigkeit immer wieder im Fokus der Kritik. Sie sind einfache Ziele, weil sie sichtbar und ihre Auswirkungen leicht zu verstehen sind. Fair ist das aber nicht.

Weshalb nicht?
Es ist sehr eindimensional gedacht. Natürlich sind Schneekanonen aus ökologischer Sicht kritisch. Andererseits machen sie die Pisten sicherer und erlauben dank der Saisonverlängerung eine Wertschöpfung, die Arbeitsplätze schafft und Destinationen ökonomisch absichert. Skifahren ist eine Freizeitbeschäftigung wie Schwimmen oder Eislaufen. Auch beheizte Schwimmbäder und Eishallen verbrauchen viel Energie, diese stellt niemand in Frage. Isolierte Bewertungen sind fragwürdig. Es braucht eine umfassende Betrachtung.

Eine langfristige Lösung sind Schneekanonen aber kaum?
Nein, künftig wird es weniger Skigebiete geben. In tieferen Lagen braucht es den Mut, sich von dem Gewohnten zu verabschieden und Neues zu wagen. Das ist aber natürlich einfacher gesagt als getan. Das Sommerangebot zu stärken ist richtig, hat aber auch Grenzen. Und seien wir ehrlich: Wandern, Biken oder Spielplätze bringen deutlich weniger Wertschöpfung. Davon lässt sich als Bergdestination nicht im gleichen Masse leben.

In welchen Bereichen besteht am meisten Potenzial für nachhaltigeren Tourismus?
Überall dort, wo dieser zu Einsparungen führt. In den Bereichen Abwasser, Energie und Abfallmanagement wird bereits viel gemacht. Im Bereich Kultur gibt es sicher noch Potenzial, indem man sich intensiver bemüht, die Authentizität von Regionen wirklich zu pflegen. Grundsätzlich glaube ich: In jedem Betrieb gibt es Hunderte Dinge, die man verbessern könnte. Der grosse Impact kann auch über ein breites Agieren im Kleinen kommen. Sicher ist: Im Bereich Nachhaltigkeit ist man nie fertig. Es gibt immer etwas zu tun.

Wie wichtig ist den Gästen die Nachhaltigkeit überhaupt?
Der so genannte Behaviour Gap, also die Lücke zwischen dem, was man sagt und dem, was man tut, ist hier tatsächlich noch gross. Zwar suchen immer mehr Menschen auch in den Ferien explizit nachhaltige Angebote. Oft möchte man sich aber einfach etwas Spezielles gönnen, da rückt die Nachhaltigkeit schnell in den Hintergrund.

Beim Tourismus geht es ums Reisen. Kann dieses überhaupt je nachhaltig sein?
Nein, Reisen, und dazu gehören auch Tagesausflüge, können nie ganz nachhaltig sein. Wenn wir punktuell verzichten, stetig konsequenter agieren und uns Gedanken über nachhaltige Angebote sowie Ziel und Dauer unserer Reisen machen, können wir schon viel bewirken. Nachhaltiger handeln heisst nicht, gar nicht mehr zu reisen. Der Tourismus bringt auch sehr viel Positives mit sich, wenn wir einen bewussten Umgang mit ihm pflegen.

(Angela Hüppi)


Zur Person

Urs Wagenseil ist Co-Leiter des Kompetenzzentrums Tourismus am Departement Wirtschaft der Hochschule Luzern. Daneben ist er unter anderem Nachhaltigkeitstrainer GSTC sowie Zertifizierungsrat und Coach Tour Cert.

Mehr Informationen unter:

hslu.ch