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«Die Branche verpasst eine grosse Chance»

Sie hat ihre Grundbildung zur Restaurantfachfrau in einem Integrationsbetrieb absolviert. Seit fünf Jahren leitet Jasmin Ineichen nun selber einen solchen und kann sich beruflich nichts Erfüllenderes vorstellen.

Jasmin Ineichen liebt es, Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen beruflich zu begleiten und zu betreuen, um ihnen so Zukunftsperspektiven zu bieten.(rif)

Jasmin Ineichen, Sie sind Geschäftsführerin im Restaurant Loë in Chur. Dieses Restaurant ist ein sogenannter Integrationsbetrieb, also ein Restaurant, in welchem Menschen mit einer Beeinträchtigung arbeiten und betreut werden. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Jasmin Ineichen: Mir gefällt die Kombination aus Gastgewerbe und Sozialwesen. Ein Restaurant zu führen und Menschen, die spezielle Bedürfnisse haben, zu begleiten und zu betreuen – das entspricht genau meinen Interessen. Zudem ist es sehr befriedigend und sinnvoll, Gäste glücklich zu machen und damit gleichzeitig Menschen zu helfen, die ohne Betreuung auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance hätten.

Woher kommt Ihr Flair für Integration und Gastgewerbe?
Ursprünglich wollte ich Krankenschwester werden. Ich habe die Ausbildung zur Fachfrau Pflege aber abgebrochen, weil mich die Betreuung beeinträchtigter Menschen interessierte. Ausserdem hat es mir immer viel Spass gemacht, Gäste zu bewirten. Ich habe mich darum für eine gastgewerbliche Grundbildung als Restaurantfachfrau entschieden und meine Lehre in einem Integrationsbetrieb, dem Gasthaus Pluspunkt in Brunnen/SZ, gemacht.

Downsyndrom, ADHS, körperliche Behinderungen, psychische Erkrankungen – Sie haben mit Menschen mit verschiedensten Beeinträchtigungen gearbeitet. Gibt es Unterschiede in der Zusammenarbeit?
Ja, die gibt es. Einem Menschen mit Downsyndrom oder fehlendem Arm sieht man die Beeinträchtigung an. Gäste und Mitarbeitende haben automatisch mehr Geduld und Verständnis, wenn ein Fehler passiert oder der Service länger dauert. Eine psychische Beeinträchtigung hingegen sieht man nicht. Der Verständnisbonus fällt weg, und man muss damit umgehen können, wenn der Klient – so nennen wir unsere Mitarbeitenden mit einer Beeinträchtigung – plötzlich Stimmen hört oder auf einmal nicht mehr weiter servieren kann. Dieses Unberechenbare macht das Arbeiten mit psychisch Beeinträchtigten extrem spannend, erfordert aber von allen Beteiligten eine grosse Flexibilität. 

Wie stellen Sie diese Flexibilität im Alltagsbetrieb sicher?
Indem ich schon beim Erstellen des Arbeitsplanes Unvorhersehbarkeiten einberechne. Darum teile ich mich selbst nie fix ein, sondern bin immer als Springer dort im Einsatz, wo gerade eine Unterstützung oder Ablösung nötig ist. Ausserdem stelle ich gastgewerbliche Mitarbeitende nicht alleine aufgrund ihrer fachlichen Qualifikationen ein. Wichtiger ist für mich, wie es zwischen ihnen und den Klienten  harmoniert.

«Ich wünschte, die Branche würde das grosse Potenzial von Menschen mit Beeinträchtigung endlich erkennen.»

Jasmin Ineichen, Geschäftsleiterin Restaurant Loë und Verein Cosmea, Chur

Was ist das Restaurant Loë für die Klienten – eine Durchgangsstation auf dem Weg in den ersten Arbeitsmarkt oder ein fixer Arbeitsplatz?
Wir haben vom Kanton Graubünden den Auftrag, Klienten zu betreuen. Dabei fungieren wir sowohl als Bahnhof wie auch als Hafen. Für jüngere Klienten sind wir der Bahnhof. Denn sobald sie fit für den ersten Arbeitsmarkt sind, ziehen sie weiter. Für ältere Klienten sind wir der Hafen, in dem sie bis zur Pensionierung bleiben und arbeiten können.

Worauf sind Sie stolz?
Momentan auf eine junge Klientin, die ihre Lehre bei uns zur Restaurantangestellten EBA mit der Note 4,9 abgeschlossen hat. Und das wohlgemerkt ohne Nachteilsausgleich. Die junge Frau tritt demnächst eine Stelle in der Saisonhotellerie an, die sie sich eigenständig gesucht hat.

Wäre das Einstellen von Menschen mit einer Beeinträchtigung ein Lösungsansatz für den Fachkräftemangel?
Ganz klar ja! Ich wünschte mir, dass die Gastronomie das Potenzial dieser Menschen endlich und vermehrt erkennt. Deshalb organisieren wir im Restaurant Loë ab März 2024 jeden ersten Mittwoch im Monat eine Tavolata. Wir laden Gastköche dazu ein, mit unseren Klienten zusammen zu kochen und die Tavolata auszurichten. Damit möchten wir erreichen, dass die Köche sehen, was unsere Klienten können, und erleben, wie und wo diese Menschen in der Gastronomie einsetzbar sind. Interessierte Köche dürfen sich sehr gerne bei mir melden.

(Riccarda Frei)


Zum Restaurant Loë

Das Restaurant Loë liegt an der Loëstrasse 161 in Chur unter dem Dach von Gastro Graubünden. Vor gut 20 Jahren hat Gastro Graubünden das Restaurant an den Verein Cosmea vermietet, der das «Loë» als Integrationsbetrieb führt. Menschen mit Beeinträchtigungen finden hier eine zeitweise oder dauerhafte Beschäftigung. Je nach ihren Möglichkeiten werden sie fit gemacht für eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Mittlerweile sind 20 psychisch erkrankte Menschen im «Loë» tätig.

Mehr Informationen unter:

restaurantloe.ch

cosmea.ch