Neben Kaffee ist Tee auf den Getränkekarten der Schweizer Gastronomiebetriebe oft der unscheinbare Nebendarsteller. Wer sich damit befasst, wird schnell feststellen, dass Tee viel mehr kann. In der Tasse und in der Küche warten spannende Geschmackserlebnisse.
Was Tee betrifft, stecke die Schweiz noch in den Kinderschuhen, sagt Tee-Expertin Tamara Grob. Die ausgebildete Hotelkauffrau hat sich an der World Tea Academy in den USA zur Tee-Sommelière weitergebildet. «Tee lässt sich in vielerlei Hinsicht mit Wein vergleichen», sagt sie. Über 88 Aromen bringt dieser mit sich. Klima, Terroir und Verarbeitung sind für das Endprodukt genauso entscheidend wie beim Wein. Gealterte Tees aus besonders berühmten Anbaugebieten bringen an Auktionen Höchstbeträge ein.
Für Tamara Grob ist es deshalb höchste Zeit, dass Tee auch hierzulande einen höheren Stellenwert erhält. «Ich finde es schade, wenn in einem Restaurant am Ende eines tollen Menüs eine Tasse Wasser mit einem günstigen Teebeutel serviert wird.»
«Warum bestellt im Restaurant niemand Tee?» Das fragte Henrietta Lovell, die in London die Rare Tea Company führt, das Publikum am Gastronomiekongress Madrid Fusión. «Weil sich beim Tee kaum jemand Mühe gibt», beantwortete sie ihre Frage selbst. «Befasst man sich aber nur ein bisschen damit, kann Tee zu einer wunderbaren Erfahrung für die Gäste werden», so Lovell. Mit ihrem Unternehmen berät und beliefert sie zahlreiche Restaurants, auch das «Claridge’s» in London oder das Restaurant Noma. Auf qualitativ hochwertigen Tee aus fairer Produktion zu setzen, sei nicht nur aus Geschmacksgründen wichtig, führte Lovell aus.
Schätzungsweise 15 Millionen Menschen arbeiten in der Tee-Industrie. Viele von ihnen sind junge Frauen aus marginalisierten Gemeinschaften. Sie arbeiten oft unter schlechten Arbeitsbedingungen und sind durch die harte Arbeit vielen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. «Der Tee, den sie anbauen, wird zu Tiefstpreisen verkauft, zum Beispiel unter dem Namen English Breakfast Tea», so Lovell. «Damit verlieren die Konsumenten jeglichen Bezug zum Produkt und dessen Herstellung.»
Doch das Produkt Tee ist äusserst facettenreich: Die sechs Teesorten von weiss bis dunkel, die unten auf dieser Doppelseite aufgeführt sind, stammen alle von der Tee-pflanze Camelia Sinensis, die ihren Ursprung in China hat. Die Sorten entstehen durch unterschiedliche Verarbeitungsweisen der Teeblätter. Je nach Anbaugebiet, Klima und Vorlieben der Produzenten entstehen Tees, die unendlich viele Geschmackswelten schaffen können. Von fruchtig und grasig bis zu nussigen, würzigen und gerösteten Noten. «Es gibt sogar Tee, der nach Brathähnchen duftet», erzählt Tamara Grob.
Auch deshalb ist Tee nicht nur für die Getränkekarte spannend, sondern auch für die Küche. Das haben Anna Strähl und Lisa Mühlemann von der «Künstlercantina by Nali» in Müllheim/TG gemeinsam mit Tamara Grob entdeckt. «Für uns ging mit der Einführung ins Thema Tee eine neue Welt auf», berichten die beiden gelernten Köchinnen. «Kein Gewürz kommt an das Geschmackserlebnis von einem Tee heran.» Sie entschlossen sich, ein komplettes Menü plus Getränkebegleitung rund um den Tee zu entwerfen. «Das Spannende am Tee ist, der Geschmack verändert sich mit der Temperatur. Ein frisch aufgegossener Tee schmeckt anders als ein kalter, damit kann man wunderbar spielen.» Auch die Teeblätter selbst könne man im getrockneten Zustand weiterverwerten.
Auf ihrer Karte standen zum Beispiel bereits Focaccia mit Rauchtee-Butter, Blumenkohl mit einer Earl-Grey-Espuma oder ein Tee-Sorbet aus dem Aufguss mitsamt den Blättern. Die Möglichkeiten seien endlos. «Man kann zum Beispiel Rauchtee auch für Barbecue-Sauce verwenden, Teeblätter für Fleischmarinaden oder zum Beizen von Fisch nutzen.» Es lohne sich, Tee an ungewohnten Stellen einzusetzen, sind die beiden überzeugt. «Wir raten allen Berufskolleginnen und -kollegen, es auszuprobieren und mit dem Degustieren zu beginnen.»
Wer nach dem passenden Produkt sucht, kann verschiedene Qualitätsmerkmale betrachten: «Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass ein Tee mit ganzen Blättern oder grossen Blattstücken besser ist als ein Teebeutel mit Teestaub», erklärt Tamara Grob. Tees, bei denen ganze Blätter und Blattknospen zu erkennen sind, wurden sehr wahrscheinlich von Hand gepflückt und mit der so genannten orthodoxen Methode verarbeitet. Hier liegt das Augenmerk auf dem Erhalt der Blätter, was einen manuellen und zeitaufwendigen Prozess bedeutet. Bei der so genannten CTC-Methode werden die Teeblätter maschinell verarbeitet und zerkleinert, um eine möglichst homogene Grösse zu erreichen. Die kleinen Blattstücke oxidieren schneller, was zur Folge hat, dass CTC-Tees zwar oft kräftiger und intensiver schmecken, aber weniger komplex sind als orthodoxe Tees.
Es zeigt sich: Die Welt des Tees ist grösser und vielfältiger, als viele denken. Gastronominnen und Gastronomen, die einen Schritt hineinwagen, können nur profitieren.
(Alice Guldimann)
Der Berufsverband Service/Restauration bietet dieses Jahr zum ersten Mal eine Weiterbildung für angehende Tee-Gastronominnen und -Gastronomen an. Tee-Sommelière und Kursleiterin Tamara Grob führt die Teilnehmenden in die Geschichte des Tees ein, zeigt, wie man ihn degustiert und in der Gastronomie einsetzen kann. Die ersten Teilnehmenden haben den Kurs bereits gestartet, weitere Module sind im Herbst 2024 geplant. Interessierte können sich an folgende Mailadresse wenden: bildung(at)hotelgastrounion.ch
Sein aufwendiger Herstellungsprozess unterscheidet den seltenen Gelben Tee deutlich von anderen Sorten: Mit Tüchern bedeckt, werden die Teeblätter mehrmals erhitzt und wieder leicht abgekühlt. So erfolgt eine sanfte Oxidation. Die Blätter werden gelblich, der Tee wird mild und erhält ein reiches, blumiges Aroma.
Brühtemperatur: 80 bis 90 Grad
Ziehzeit: 1 bis 3 Minuten
Die teilweise oxidierte Teesorte wird während der Verarbeitung leicht gequetscht. So entstehen komplexe Aromen – von blumig über brotig bis fruchtig. Es gibt Oolong in verschiedenen Stilen – von leicht bis stark oxidiert. Die Blätter werden bei der Verarbeitung entweder zu kompakten Kugeln gerollt oder zu länglichen Spitzen eingedreht.
Brühtemperatur: 80 bis 95 Grad
Ziehzeit: 3 bis 5 Minuten
Der Weisse Tee besteht aus den Knospen und jüngsten Blättern der Teepflanze. Es ist der am wenigsten verarbeitete Tee und bekannt für sanften und subtilen Geschmack. Von seiner hellen Farbe darf man sich aber nicht täuschen lassen: Da die Knospen der Pflanze das meiste Koffein enthalten, kann dieser durchaus stärker als andere Tees wirken.
Brühtemperatur: 75 bis 80 Grad
Ziehzeit: 2 bis 5 Minuten
Beim Schwarzen Tee sind die Teeblätter vollständig oxidiert. So erhält er seine dunkle Farbe und seine reichen und robusten Aromen. Auch für tiefe, malzige Noten ist die Sorte bekannt. Sie wird vielerorts angebaut, bekannt sind Tees aus den indischen Regionen Assam und Darjeeling, aus Yunnan in China oder Ceylon-Tees aus Sri Lanka.
Brühtemperatur: 90 bis 100 Grad
Ziehzeit: 2 bis 4 Minuten
Dunkler Tee, auch Pu-Erh-Tee genannt, wird über Monate, Jahre oder Jahrzehnte gelagert. So entwickelt er tiefe, komplexe Aromen, die besonders Kenner schätzen. Zur Lagerung wird der Tee meist in Formen zu Teekuchen, -nestern oder -ziegeln gepresst. Besonders alte Tees sind Sammler- und Investitionsobjekte und erzielen hohe Preise.
Brühtemperatur: 95 bis 100 Grad
Ziehzeit: 3 bis 7 Minuten
Seine frischen und grasigen Noten machen den Grüntee beliebt. Teils werden die Teepflanzen beschattet angebaut, um die Chlorophyllproduktion anzuregen und ein noch intensiveres Grün zu erhalten. Nach dem Ernten erhalten die Teeblätter eine Hitzebehandlung. Man vermeidet so, dass die Blätter oxidieren und Farbe verlieren.
Brühtemperatur: 60 bis 85 Grad
Ziehzeit: 1 bis 2,5 Minuten
Die Zeit der günstigen, klassischen Tee-beutel ist vorbei, findet Tee-Sommelière Tamara Grob. Im Idealfall kauft man Tee für die Gäste offen und portioniert ihn vor dem Servieren selbst. Grob empfiehlt, sich bei einem lokalen Teehändler beraten zu lassen und dort einige Tees zu probieren. Möchte man trotzdem auf Teebeutel setzen, sollten sie möglichst nachhaltig sein und gross genug, damit der Tee sich darin entfalten kann. Diese Bedingung erfüllen zum Beispiel Pyramidenbeutel.
Trocken, luft- und lichtdicht: Das sind die idealen Lagerbedingungen für Tee. Auch wenn es verlockend sein mag, den schönen, hochwertigen Tee zum Beispiel in einem Glasgefäss aufzustellen, sollte man darauf verzichten. Denn die Lichteinwirkung kann die Oxidation im Blatt fortsetzen und die Intensität der Aromen verringern. Genauso setzen Luftfeuchtigkeit und Sauerstoff dem Tee zu. Die Tee-Expertin empfiehlt zur Lagerung eine Blech- oder Porzellandose. Diese sollte an einem Ort stehen, wo sie keinen allzu grossen Temperaturschwankungen ausgesetzt ist.
Für ein Angebot, das Tee-Liebhaber überzeugt, empfiehlt Tamara Grob, mindestens einen Weissen, einen Grünen und einen Schwarzen Tee auf der Karte zu haben. Damit für alle Geschmäcke etwas dabei ist, sollte man ein Gleichgewicht aus leichten und fruchtigen sowie eher kräftigen Tees anbieten. Neben der Sorte gehört die Herkunft des Tees auf die Karte, im Idealfall noch ein paar Notizen zu Aromen und Geschmack.
Gut geschulte Mitarbeitende begeistern die Gäste für Tee und kennen die Zubereitung. Einer der grössten Fehler ist laut Tamara Grob, wenn der Tee schon aufgegossen beim Gast ankommt und die Brühzeit nicht klar ist. Gerade Grüntee wird gerne bitter, wenn er zu lange zieht. Ideal ist, wenn der Gast seinen Tee selbst aufbrühen kann und eine Sanduhr erhält, um die Zeit zu stoppen. Für die Tee-zubereitung sollte zudem möglichst entkalktes Wasser verwendet werden, kalkhaltiges Wasser beeinträchtigt den Geschmack. Auch das Teegeschirr kann das Geschmackserlebnis beeinflussen: je dickwandiger die Tasse ist, desto kräftiger darf auch der Tee sein.
Tee muss nicht immer warm serviert werden. Er eignet sich hervorragend als Erfrischung für den Sommer. Sei es als klassischer Eistee oder als Thai-Variante, bei der Schwarztee mit Kondensmilch gesüsst und auf Eis serviert wird. Für die Glacekarte empfiehlt Tamara Grob einen geeisten «London Fog»: Earl-Grey-Tee langsam in ein zur Hälfte mit Eis gefülltes Glas giessen, als Topping kommen eine Kugel Vanilleglace und Schlagrahm darauf.