Die Speisekarte wurde vielerorts digitalisiert. Einige Betriebe gehen einen Schritt weiter. Sie setzen auf kulinarische Erlebnisse ohne Karte.
«Keine Speisekarte zu haben, gibt uns die Freiheit, so zu kochen, wie wir wollen», fasst Clemens Zehender zusammen. Er ist seit gut einem Jahr Inhaber des «Bistro 67» in Ebnat-Kappel/SG. Seit Beginn verzichtet er in seinem Betrieb auf Speisekarte, Getränkekarte und Visitenkarten. Zehender erläutert: «Das Konzept wurde zu Beginn von vielen als hochriskant angesehen, aber ich habe mich aus Überzeugung dafür entschieden und konnte mich durchsetzen.»
Er habe das Konzept schon davor in anderen Betrieben im Ausland erprobt. Damit es funktionieren könne, müsse man die Fähigkeit besitzen, «sich dem Markt wie ein Chamäleon anzupassen und täglich frisch einzukaufen», sagt Zehender. Ebenso wichtig seien unter anderem eine schnelle Reaktionszeit und Ideenreichtum.
Begrüsst werden die Gäste im «Bistro 67» mit einem Aperitif
und einem Häppchen, das vom Koch höchstpersönlich serviert wird. Dieser stellt im Anschluss die frisch gekauften Produkte vor und informiert die Gäste über Allergene. «Das wird von den Gästen sehr geschätzt. Sie fühlen sich ernst genommen», sagt Zehender.
Wenn der Koch oder andere Mitarbeitende spürten, dass sich ein Gast nicht wohlfühle damit, keine Speisekarte zu haben, könne das Team umgehend reagieren. «Wir haben die Möglichkeit, fast jedes gewünschte Gericht zuzubereiten. Dass ein Gast ein bestimmtes Menü haben wollte, ist bisher jedoch noch nicht vorgekommen», so Zehender. Im Gegenteil: Die Gäste, die mittlerweile auch aus weiter entfernten Regionen wie Chur oder Zürich anreisten, reagierten durchweg positiv auf die fehlende Speisekarte und das damit verbundene Überraschungsmenü. Clemens Zehender sagt: «Hätten wir eine Speisekarte, wären sie wohl eher enttäuscht.»
Eine Speisekarte sucht man auch im Boutique-Hotel Schlüssel in Beckenried/NW vergebens. Das Gastgeber-Paar Gabrielle und Daniel Aschwanden, welches das «Schlüssel» seit 1998 führt, hat sich vom ersten Tag an bewusst gegen eine Speisekarte entschieden. «Ein Grund dafür war die kleine Küche, die wir haben. Der Hauptgrund jedoch der, dass wir, wenn wir bei Berufskollegen essen gingen, eigentlich nie Lust hatten, uns durch die Speisekarte zu kämpfen», sagt Gabrielle Aschwanden. Letztlich wolle der Gast einfach gut essen. «Dazu kommen gute Gesellschaft, ein stimmiges Ambiente, wertiges Tabletop und herzlicher Service. Das Gesamtpaket muss stimmen», sagt sie.
Das Menü wird von Daniel Aschwanden vorgetragen. «Wir starten jeweils mit einem lokalen Fisch. Darauf folgt ein Zwischengang mit Pasta und ein Hauptgang mit einheimischem Fleisch. Zudem bieten wir jeden Abend 30 lokale und internationale Käsesorten vom Wagen und eine kleine Auswahl hausgemachter Desserts an», erläutert er.
Reklamationen wegen der fehlenden Speisekarte hatten die Aschwandens bisher nicht. Gabrielle Aschwanden sagt: «Neue Gäste reagieren allesamt positiv. Sie geniessen bei uns die Unkompliziertheit ohne den Verzicht auf Topqualität sowie kompetenten Service.»
(Désirée Klarer)