Seit 2019 geht punkto L-GAV nichts mehr. Dabei ist ein neuer Vertrag nötiger denn je, um Personal zu halten und Nachwuchs zu gewinnen.
Ob branchenintern oder zunehmend auch in der breiten Öffentlichkeit: Die Diskussionen um den Landes-Gesamtarbeitsvertrag im Gastgewerbe reissen nicht ab. Zum allgemeinen Verständnis: Der L-GAV regelt die Mindestanstellungsbedingungen, darunter den Beginn und die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, die Löhne, die Arbeits- und Ruhezeiten sowie den Lohnersatz und die Sozialversicherung.
Der letzte, von allen Sozialpartnern unterschriebene L-GAV stammt aus dem Jahr 2017. Seitdem gab es keine Anpassung mehr. Die im Frühjahr 2019 begonnenen Verhandlungen über einen neuen L-GAV wurden von Gastrosuisse nach wenigen Monaten abgebrochen. An der Blockadehaltung des Verbandes der Wirte hat sich bis heute nichts geändert. Der Zankapfel: Gastrosuisse wirft den Gewerkschaften Unia und Syna vor, die im L-GAV vereinbarten Mindestlöhne durch höhere, gesetzlich festgesetzte Mindestlöhne aushebeln zu wollen. Dazu sagt Roger Lang, Leiter Rechtsdienst und Sozialpolitik bei der Hotel & Gastro Union: «Die kantonale Mindestlohnfrage mit den L-GAV-Verhandlungen zu verknüpfen, ist Unsinn.» Die gesetzliche Mindestlohnfrage werde vom Volk entschieden. Die Verhandlungsblockade habe keinen Einfluss auf diese Abstimmungen und werde es auch in Zukunft nicht haben. «Die Hotel & Gastro Union wird sich nie für gesetzliche Mindestlöhne einsetzen, macht Roger Lang unmissverständlich klar. «Für uns ist der Königsweg die Sozialpartnerschaft.»
Ein Gesamtarbeitsvertrag zählt grundsätzlich nur für die Mitglieder der vertragsschliessenden Organisationen. Der Bundesrat kann auf Antrag aller beteiligten Sozialpartner die Ausweitung auf Nichtmitglieder beschliessen. Eine solche Ausweitung ist wichtig, da-mit Betriebe gleich faire Wett-bewerbsbedingungen haben. Als Folge der Allgemeinverbindlichkeitserklärung bezahlt jeder Mitarbeitende und jeder Betrieb die sogenannten Vollzugskostenbeiträge. Aus diesen Vollzugskostenbeiträgen werden die Aus- und Weiterbildungen in unserer Branche sowie der Vollzug, also die Kontrolle auf Einhaltung des Gesamtarbeitsvertrages, finanziert.
Diese Allgemeinverbindlichkeit wird nun seit 2019 jährlich erneuert, löst aber nicht die anhaltenden Probleme der Branche. Und sie ersetzt schon gar nicht einen zeitgemässen L-GAV. An der Delegiertenversammlung von Gastrosuisse im Juni dieses Jahres machte Verbandspräsident Casimir Platzer einmal mehr deutlich, dass er für Neuverhandlungen nicht bereit sei. Der alte L-GAV aus dem Jahr 2017 sei gut genug. Was Casimir Platzer ausser Acht lässt: Der L-GAV ist ein Arbeitsmarktinstrument mit dem Ziel, dass das Gastgewerbe unter Berücksichtigung der wirt-schaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt konkurrenzfähig bleibt. Ist es das?
Die Antwort gibt die aktuelle Situation der Branche. Der anhaltende, gravierende Personalmangel beweist, dass die Mindest-arbeitsbedingungen nicht mehr attraktiv genug sind, um Berufs-leute in der Branche zu halten. Zudem wählen immer weniger Junge einen gastgewerblichen Beruf.
Seit Jahren fordert die Hotel & Gastro Union den Sozialpartner Gastrosuisse auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Mit der aktuellen Unterschriftenkampagne «Gemeinsam gegen Personalmangel» kämpft die Union nicht nur gegen den Weggang von Berufsleuten aus der Branche, sie zeigt auch Wege aus der Krise auf. Kernpunkte ihrer Forderungen sind mehr Investitio-nen in die Bildung und die För-derung des Berufsnachwuchses. Es braucht attraktivere Arbeitszeiteinteilungen, damit Mitarbeitende Beruf und Freizeit besser vereinbaren können. Nur eine frühzeitige Abgabe von Dienstplänen ermöglicht ein planbares Privatleben. Und es braucht Lohnerhöhungen auf allen Stufen. Weder die Hotel & Gastro Union noch Gastrosuisse können die Probleme alleine lösen. Deshalb steht die Union zur Sozialpartnerschaft.
(Jörg Ruppelt)
HGU-Standpunkte: Eine Serie zu sozialpolitischen Fragen und Aspekten der Aus- und Weiterbildung.