Würste gibt es viele verschiedene auf der ganzen Welt. Doch die St. Galler haben vor vielen Jahrhunderten eine Wurst geschaffen, die seither zur Legende geworden ist.
Das fünfzehnte Jahrhundert war eine bewegte Zeit. Mitte des Jahrhunderts erfand Johan-nes Gutenberg (1400–1468) im deutschen Mainz den Buchdruck. Mit der Krönung Albrechts II. zum römisch-deutschen König im Jahr 1438 lösten die Habsburger die Luxemburger als Königsdyna-stie ab. Ins gleiche Jahr fällt eine Erfindung, die es bis heute gibt: die St. Galler Bratwurst.
Urkundlich erstmals erwähnt wurde die Wurst im Jahr 1438 in den Statuten der Metzgerzunft St. Gallen. Darin ist festgehalten, dass die Wurst aus Kalbfleisch, Speck, Gewürzen und Milch hergestellt wird. Dies erklärt die weisse Farbe, die noch heute ein Merkmal ist. Seither hat sich das Rezept kaum verändert.
Ihren Siegeszug hat die Wurst dem Kloster St. Gallen zu verdanken, das damals ein kulinarischer Leuchtturm gewesen sein muss, der weit über die Stadtgrenzen hinaus strahlte. Drei Brauereien, drei Backstuben und üppige Lieferungen von Fleisch, Fisch, Gemüse und Getreide, die fast täglich aus den umfangreichen Ländereien und Besitzungen der wohlhabenden Fürstabtei eintrafen, sind in den Geschichtsbüchern festgehalten. Ein Chronist hielt ironisch fest, das Kloster sei nicht nur ein Hort des Wissens und Glaubens gewesen, sondern einer der ersten Gourmet-Tempel.
Heute kennt man die St. Galler Bratwurst häufig unter dem Namen Olma-Bratwurst. Diese wurde für die traditionelle Herbstmesse in St. Gallen kreiert. Die original Olma-Bratwurst wiegt jedoch 160 Gramm, während die traditionelle St. Galler Bratwurst nur 100 bis 110 Gramm Gewicht auf die Waage bringt. Neben diesen beiden Varianten gibt es zwei weitere Ausführungen: die St. Galler Kalbsbratwurst mit einem Kalbfleischan-teil von über 50 Prozent sowie die St. Galler Kinderfest-Bratwurst. Letztere gibt es nur während des alle drei Jahre stattfindenden Traditionsfestes und ist mit 220 Gramm die grösste Ausführung.
Rund 40 Metzgereien aus den Kantonen St. Gallen, Thurgau und den beiden Appenzell stellen St. Galler Bratwürste gemäss den IGP-Richtlinien her. Das Bratwurstbrät besteht aus je einem Viertel Kalbfleisch, Schweinefleisch, Speck und Milch. Fleisch und Milch müssen aus der Schweiz stammen. Drei Gewürze – Salz, weisser Pfeffer sowie die geriebene Schale der Muskatnuss, die so genannte Macis – sind obligatorisch. Weitere Gewürze sind zugelassen, aber nicht vorgeschrieben. Dazu gehören Zwiebel, Zitrone, Muskat, Kardamom, Koriander und Ingwer. Nach dem Abfüllen in eine Haut aus Schweinsdarm – in der Metzgersprache als Stossen bezeichnet – wird die rohe Wurst zehn bis zwanzig Minuten in etwa 70 Grad heissem Wasser gebrüht und danach im Eisbad rasch abgekühlt.
(Rruth Marending)