Die Aufräumarbeiten im Hotel Landgasthof Kemmeriboden Bad laufen auf Hochtouren. Der Schaden ist grösser als bisher angenommen. Nichtsdestotrotz sind die Betreiberfamilie und die Mitarbeitenden guten Mutes.
Es ist ein schrecklicher Anblick. Dort, wo bis zum 4. Juli dieses Jahres die rustikal-schönen Gaststuben des Hotel Landgasthofes Kemmeriboden Bad waren, bedeckt dicker, zäher Schlamm die Böden. Restaurant, Souvenirshop, Bar, Weinkeller: Alle Räumlichkeiten des Erd- und Untergeschosses sind komplett zerstört worden. «Der Schlamm muss ganz entfernt werden, und zwar möglichst schnell, sonst können wir hier nie mehr wirten, weil der miefige Geruch unerträglich wäre», sagt Gastgeber Reto Invernizzi.
Am Morgen des 4. Juli, einem Montag, begann alles ganz harmlos. Am Vormittag waren Behördenvertreter vor Ort, um die erweiterte Terrasse abzunehmen. Im Haus fanden diverse Seminare statt, deshalb hatte es einige Hotelgäste. Ansonsten waren, weil das Restaurant am Montag Ruhetag hat, keine weiteren Gäste vor Ort. Es regnete leicht und in der Ferne war ein Donnergrollen zu hören, das sich wie ein entferntes Gewitter anhörte. Nichts deutete auf die darauf folgende Katastrophe hin.
Plötzlich war alles anders. Die Emme rollte wie eine grosse Walze auf den Gasthof zu. «Wir konnten uns alle gerade noch in die obere Etage retten.» Das tobende Wasser riess Geröll, Holz und unglaublich viel Schlamm mit sich. Innert Kürze breitete sich der Teppich der Zerstörung über das Gelände aus.
Zehn Minuten später war das Schlimmste vorbei. Geblieben war eine unglaubliche Zerstörung. «Es ist uns ein sehr grosser Schaden entstanden, doch glücklicherweise sind keine Personen zu Schaden gekommen», sind Alexandra und Reto Invernizzi erleichtert. Doch für sie beide ist die ruinierte Infrastruktur fast ebenso schlimm. «Vieles ging in den Fluten verloren.» So zum Beispiel die Biedermeiersofas, welche die Vorfahren von Reto Invernizzi anschafften und die heutigen Gastgeber renovieren liessen. «Ich hatte Tränen in den Augen, als sie diese einst guten Stücke heraustrugen», gesteht Reto Invernizzi.
Ende letzter Woche konnten die Besitzer des «Kemmeriboden Bad» nun eine erste Renovierungsphase abschliessen. Das beschädigte Mobiliar wurde ausgeräumt, der Schlamm weitgehend abgesaugt. Das Ehepaar Invernizzi spricht vor allem den involvierten Vertretern von Zivilschutz, Gemeinde und Region ein grosses Lob aus. «Das Ganze lief hochprofessionell und unkompliziert ab. Alle haben uns mit ihrem Engagement sehr geholfen.» Gleichzeitig trat aber nach Abschluss dieser ersten Phase auch Ernüchterung ein: «Der Schaden ist noch grösser als bisher angenommen», so Reto Invernizzi. An einen Hotelbetrieb, auch wenn der erste und zweite Stock unversehrt blieben, ist vorerst nicht zu denken.
Trotz des Schicksalsschlags schaut die Familie guten Mutes in die Zukunft. In den letzten 14 Tagen hätten sie das Haus besser kennengelernt als in den vergangenen zwölf Jahren, in denen sie den Betrieb geführt haben. «Weil wir alle Böden abtragen mussten, erkennen wir nun den Grundaufbau in jedem Detail», so Reto Invernizzi. «Auf diese Weise können wir die technische Infrastruktur neu denken und den Betrieb für die sechste Gastgebergeneration und deren Nachkommen auf den Stand 2023 zu bringen.» Wann genau der Betrieb wiedereröffnen kann, sei zurzeit noch nicht absehbar: «Wir beurteilen die Lage laufend neu, noch sind nicht alle Details bekannt», kommentiert Reto Invernizzi.
Nebst den Behörden seien auch die Mitarbeitenden des Hotel Landgasthof Kemmeriboden Bad bei den Aufräumarbeiten involviert gewesen. Und diese sind froh, ob der Katastrophe ihren Job nicht verloren zu haben. «Dank einer guten Arbeitsausfallversicherung können wir für alle Mitarbeitenden die Lohnfortzahlung bis zur Wiedereröffnung garantieren», hält Reto Invernizzi fest. Für die Mitarbeitenden sind in der Zwischenzeit Aufbaueinsätze vor Ort, Präsenzen an Messen und Events sowie Weiterbildungsmöglichkeiten vorgesehen. Zudem übernimmt das «Kemmeriboden Bad» ab Anfang August vorübergehend das Franc Bistro in der Berner Kantonalbank in Thun, wo ein «Kemmeriboden Bad Bistro und Lädeli – z Gascht ir Stadt» eingerichtet wird.
In den Aufzeichnungen der 188-jährigen Geschichte des Hotels finden sich keine vergleichbaren Geschehnisse. Die Vorfahren der heutigen Besitzerfamilie Invernizzi hatten zum Schutz des Grundstückes eigens einen Damm errichtet, welcher 2014 beim grossen Unwetter in Schangnau den Wassermassen perfekt Stand hielt.
Dieses Mal genügte dieser Damm nicht. Und wie es bei solchen Ereignissen leider immer der Fall ist: Der Katastrophentourismus liess nicht lange auf sich warten. In einigen Medienberichten war im Nachgang der Katastrophe gar von Plünderungen die Rede. Das Ehepaar Invernizzi winkt jedoch ab: «Zwar hielten sich einzelne Schaulustige auf dem Grundstück auf, diese wurden allerdings direkt angesprochen, sobald sie sich dem zerstreuten Mobiliar näherten. Böswillig entwendet wurde gemäss heutigem Kenntnisstand nichts.»
(Ruth Marending)