Auf der Nordseeinsel Borkum erzählen Zeitzeugen ihre spannenden Geschichten selbst. KI macht’s möglich – und eröffnet ganz neue Chancen im Tourismus.
Borkum: Eine 31 Kilometer grosse Insel im Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer, voll von scheinbar endlosen Sandstränden, Rad- und Wanderwegen, Leuchttürmen und einer vielfältigen Tierwelt. Ein Urlaubsparadies also, das sich quasi von selbst verkauft? Nicht unbedingt. Denn die Insel ist auch austauschbar – mit vielen anderen Inseln und Regionen in der Nord- oder Ostsee, die genauso mit Sanddünen, Seehunden und kilometerlangen Stränden aufwarten. «Es gibt hier auf den ersten Blick nichts, was uns eine ganz eigene Identität gibt», sagte Göran Sell, Geschäftsführer der Nordseeheilbad Borkum GmbH, am Sport Tourismus Forum in St. Gallen.
Künstliche Intelligenz KI soll nun helfen, der grössten der ostfriesischen Inseln ein Gesicht zu geben, welches den Gästen auch in Erinnerung bleibt. Dafür wurden vierzehn Charaktere kreiert, die an 40 Orten auf der Insel Geschichten aus deren Vergangenheit und Gegenwart erzählen. So ist beispielsweise die Figur Heinrich Meier entstanden: «Heiner» wurde 1870 auf Borkum als Sohn eines Fischers und einer Muschelsammlerin geboren. Schon früh entdeckte er seine Leidenschaft für das Meer und die Seefahrt und begann im Alter von 15 Jahren seine Laufbahn als Seemann.
Mit 25 Jahren war Heiner bereits Kapitän seines eigenen Walfangschiffes und erlebte in seiner Karriere sowohl die Höhen als auch die Tiefen des Walfangs auf Borkum. Nun erzählt die fiktive Figur ihre Geschichten den Touristinnen und Touristen auf der Nordseeinsel – und das nicht nur auf Plattdeutsch, sondern auch in vielen anderen Sprachen. Das ist einer der Vorteile einer mittels KI erschaffenen Figur – Übersetzungen sind in kürzester Zeit verfügbar.
Ebenfalls auf der Insel anzutreffen sind Figuren wie ein Marinesoldat, ein Küstenschützer, eine Nationalpark-Rangerin oder eine Meteorologin. «Die Charaktere geben unserer Geschichte ein Gesicht. Historische Fakten werden dadurch viel emotionaler und spannender und bleiben eher in Erinnerung», so Göran Sell. Abgerufen werden die Figuren über eine Website oder eine App. Dank der Integration des Programms Google Geospatial Creator können sie zudem über das Handy als 3D-Modell in die Landschaft projiziert werden. Entsprechende Hinweise finden sich auf schlichten Schildern, die sich unaufdringlich in die Natur Borkums einfügen.
Damit die von der KI erstellten Geschichten und Charaktere authentisch sind und sich keine Falschinformationen einschleichen, war viel Vorarbeit nötig. Rund ein halbes Jahr wurde benötigt, um die zahlreichen Zahlen und Fakten aus historischen Quellen und Büchern in eine Datenbank einzuspeisen. «Unter anderem mussten wir auch alle Autoren anfragen, ob wir ihre Werke benutzen dürfen», so Göran Sell. «Da es sich um ein Projekt für die Insel handelt, haben aber die meisten ohne zu Zögern zugestimmt.» Sind die Daten erst einmal erfasst, ist die Hauptarbeit getan: «Innerhalb weniger Tage erstellte uns die KI alles, was wir für das Projekt brauchten.»
Der Vorteil: Nun, da die Datenbank besteht, lassen sich innerhalb kürzester Zeit immer wieder neue Charaktere und Geschichten erstellen. So können auch Gäste, welche die Insel mehrmals besuchen, jedes Mal Neues über ihren Urlaubsort erfahren. Göran Sell ist überzeugt: «Künstliche Intelligenz macht es möglich, historische Fakten zu emotionalisieren. In Verbindung mit weiteren technischen Anwendungen entsteht dadurch eine völlig neue Art, mit den Gästen zu kommunizieren.»
(Angela Hüppi)