Unter einem Dach vereint «Votre Cercle de Vie» Hotellerie und Gastronomie mit Landwirtschaft, Bildung und Gesundheit.
Es ist ein Projekt, das Grenzen und Vorstellungen sprengt. Es hat zahlreiche Menschen inspiriert, bevor es überhaupt realisiert wurde. «Votre Cercle de Vie» ist das Lebenswerk von Esther und Nicolas Mottier, die in der Waadtländer Gemeinde Château d’Oex den Bauernbetrieb von Nicolas Mottiers Familie führen. Seit 14 Jahren arbeiten sie an ihrer Vision, einem Gastbetrieb, der Menschen und Natur verbindet. Über die reine Landwirtschaft geht das Unternehmen der Familie schon lange hinaus. Es umfasst neben dem Hof zwei Bioläden, einen Secondhand-Laden und eine Naturheilpraxis. Die Geburt ihres ersten Sohnes im Jahr 2008 war der Auslöser dafür, dass sich Esther und Nicolas Mottier verstärkt mit der Zukunft auseinandersetzten. «Wir haben uns gefragt, welche Zukunft wollen wir für unsere Kinder», sagt Esther Mottier. Und sie kamen zu dem Schluss, dass sie diese Zukunft nicht abwarten, sondern gestalten wollen.
Das Thema Nachhaltigkeit war dabei der leitende Gedanke. «Die Menschen haben sich von der Natur und der Landwirtschaft entfernt», sagt Esther Mottier. Ihre Idee: Gastfreundschaft leben und die Landwirtschaft für alle zugänglich machen. Was mit der Idee einer Bauernbeiz mit angrenzendem Massenlager begann, ist zu einem umfassenden Hotelprojekt mit einem integrierten Bauernbetrieb herangewachsen. Geschätzte 600 bis 700 Personen waren in der Planung bereits in irgendeiner Form involviert.
Das neue Projekt soll am Ende 18 Teilbereiche unter einem Dach vereinen. Neben den bestehenden Läden und der Praxis, die in den Neubau integriert werden, umfasst es ein Hotel und ein Restaurant. Ebenfalls geplant sind Seminare, Weiterbildungen, die Durchführung von Hochzeiten und die Präsentation von Kunst und Kultur. Läuft alles nach Plan, wollen die Mottiers Ende 2025 eröffnen.
Das Schlüsselwort bei «Votre Cercle de Vie» lautet «Kreislaufwirtschaft». Was in anderen Betrieben verloren geht, soll hier wiederverwertet werden. Lebensmittelabfälle kommen in der Biogasproduktion oder bei der Schweinefütterung erneut zum Einsatz. Das Mobiliar für die Hotelzimmer und das Restaurant wollen die Betreiber aus zweiter Hand beziehen und ihm neues Leben einhauchen. Gäste, denen die Einrichtung besonders gut gefällt, werden ausserdem die Möglichkeit haben, Stühle, Sofas oder Nachttische zu kaufen.
Die Planung für das Neubauprojekt ist sehr aufwendig. «In den Bereichen Landwirtschaft und Gesundheit sind wir Profis», sagt Esther Mottier, die in Naturheilkunde ausgebildet ist. In den anderen Bereichen holt sich das Gründer-Ehepaar Hilfe und Inspiration von Profis und Pionieren der jeweiligen Branchen. Sei es beim Bau, bei der Abwasser-Aufbereitung oder beim geplanten Hotel und Restaurant.
Esther Mottier, Mitgründerin «Votre Cercle de Vie»
Schon früh in der Planung haben Esther und Nicolas Mottier Kontakt mit Fachleuten aus dem Gastgewerbe aufgenommen. Die Offenheit in der Branche für das unkonventionelle Projekt war laut Esther Mottier gross. «Wir haben dem Gastgewerbe viel zu verdanken», sagt sie. Zahlreiche Hoteliers und Gastronomen hätten den Neueinsteigern mit Tipps und Informationen geholfen.
Aus all den gesammelten Inputs ist dann das Hotellerie- und Gastronomiekonzept von «Votre Cercle de Vie» entstanden. Im Hotelbereich ist ein Vier-Sterne-Superior-Hotel mit 22 Zimmern vorgesehen. Um Familien einen Aufenthalt zu ermöglichen, wird ein Teil der Zimmer über eine Galerie mit zusätzlichen Betten verfügen. Die Zimmerpreise sollen aber gleich bleiben, unabhängig von der Anzahl der Gäste. Das Restaurant des Betriebes ist auf dem Bauplan direkt über dem Stall angesiedelt, so dass die Gäste die Tiere sehen können. «Die Kühe sind bei uns auch Gastgeber», sagt Esther Mottier. In der Restaurantküche kommen künftig vorwiegend Produkte vom eigenen Hof und von Partnerbetrieben zum Einsatz. «Die Produkte und die Tiere, die wir verarbeiten, behandeln wir achtsam und veredeln sie komplett.»
Unkonventionelle Elemente sind auch im Restaurant vorgesehen. So wird es in der Küche keine Abwaschmaschine geben. Als Alternative ist eine künstlerisch gestaltete Abwasch-Bar geplant, an der die Gäste – sofern sie es wollen – nach dem Essen gemeinsam das Geschirr spülen können.
Elemente wie die Abwasch-Bar, die auf den ersten Blick bei einigen Stirnrunzeln auslösen dürfte, finden sich im Bauprojekt von «Votre Cercle de Vie» viele. Doch die Mottiers und ihr Team wollen nichts übernehmen, was es schon gibt. Sie planen ein Pionierprojekt. Dieses Denken wurde belohnt: Das Projekt hat Anfang November den Hotel Innovations-Award von Gastrosuisse gewonnen.
«Votre Cercle de Vie» soll nach der Eröffnung des neuen Betriebes 58 Personen beschäftigen. Obwohl nicht jeder dieselbe Verantwortung tragen wird, können laut Esther Mottier bei wichtigen Entscheiden alle mitreden. «Der Betrieb soll nicht nur für die Gäste, sondern auch für die Mitarbeitenden stimmen.»
(Alice Guldimann)
Das Projekt «Votre Cercle de Vie» befindet sich aktuell noch in der Bewilligungsphase. Wenn alles klappt, soll der Baustart im kommenden Jahr erfolgen. Die Familie Mottier hofft, den Betrieb per Ende 2025, nach einer zweijährigen Bauphase, eröffnen zu können.