Beim Wort Fermentation denken viele sofort an jahrhundertealte Traditionen des Einmachens. Doch mittlerweile ist das Zeitalter der Präzisionsfermentation angebrochen. Dank Hightech ergeben sich ganz neue Einsatzfelder.
Die Fermentation ist im Grundsatz eine simple Sache: Durch die Zugabe von Bakterien-, Pilz- oder sonstigen biologischen Zellkulturen oder durch den Zusatz von Enzymen werden organische Stoffe in Säure, Gase oder Alkohol umgewandelt. Weintrauben beispielsweise werden gequetscht und die so entstandene Maische in einen Gärungsbehälter geleitet. Durch den Einfluss von Hefe wird der enthaltene Zucker in Alkohol, Kohlenstoffdioxid und Wärme umgewandelt. Wie vielfältig die heutige Welt der Fermentation ist, zeigte die zweite International Food Innovation Conference des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) eindrücklich auf. Zu Gast waren neben innovativen Start-ups unter anderem auch drei Persönlichkeiten aus der Gastronomie, welche die Kunst der Fermentation in ihren Betrieben auf die Spitze treiben. So etwa Jason White, der im berühmten Restaurant Noma in Kopenhagen (DK) als Director of Fermentation tätig ist.
Nicht zuletzt aufgrund des mässigen Wetters in der dänischen Hauptstadt sei es unumgänglich, Produkte haltbar zu machen: «Dank der Fermentation gibt es bei uns auch im Winter viele spannende Geschmäcke zu entdecken.» Für White ist die Fermentation einer der faszinierendsten Bereiche der Gastronomie: «Sie gibt uns so viele Möglichkeiten, Produkten neue Geschmäcke zu entlocken.»
Sirkka Hammer nutzt die Fermentation in ihrem Unternehmen Wiener Miso, um Food Waste zu verhindern. Sie verbrachte zehn Jahre in Asien und lernte dort weitere Arten der Fermentation kennen. «Als ich zurückkam, vermisste ich den Umami-Geschmack von fermentierten asiatischen Saucen und Pasten.» Diese stellt sie nun in Wien selbst her und verwendet dafür hauptsächlich alte Getreide- und Hülsenfruchtsorten aus Österreich wie Waldstaudenroggen, aber auch Gemüse und Saaten wie den Waldviertler Weissmohn. Sie beschreibt die Fermentation als etwas Magisches: «Sie hat etwas Unkontrollierbares. Man muss loslassen und den Prozessen ihren Lauf lassen. In unserer so kontrollierten und technisierten Gesellschaft ist das eine Art Mediation.»
Diese Leidenschaft für die Fermentation teilt auch Ezio Bertorelli, Mitgründer und Miteigentümer des Fermentationsunternehmens Meta mit Sitz in Kopenhagen. «Wer mit Fermentation arbeitet und forscht, weiss nie, wie das Ergebnis aussehen wird. Das macht die Arbeit unglaublich spannend», sagt er. Wie die andern beiden Fermentations-Profis ist er sich aber bewusst, dass derzeit eine neue Art der Fermentation auf dem Vormarsch ist: die Präzisionsfermentation.
Die wohl bekannteste Anwendung findet im Bereich Labor-Fleisch statt, also Fleisch aus Muskelstammzellen. Die moderne Fermentation ermöglicht aber auch Anwendungen in weiteren, ganz unterschiedlichen Bereichen. Viele davon haben das Ziel, tierische Proteine durch nachhaltigere Alternativen zu ersetzen. Im Folgenden eine – keineswegs abschliessende – Übersicht.
(Angela Hüppi)
Dank Fermentation ist es möglich, Alternativen zu herkömmlichen Milchprodukten herzustellen, die dem Original in Geschmack und Textur bald in nichts mehr nachstehen sollen. So will etwa das Start-up Proprotein aus Estland Milchproteine aus Hefe gewinnen. Die so genannten Caseine sorgen dafür, dass die Käsealternative den typischen Geschmack erhält und bei Wärme schön zerschmilzt.
Algen-Protein
Das israelische Start-up Brevel stellt mithilfe einer Kombination aus zuckerbasierter Fermentation und Photosynthese Proteine aus Mikroalgen her. Durch den Prozess, der kontrolliert und automatisch in Reaktoren abläuft, wird gegenüber der Herstellung von gewöhnlichen Proteinen 200-mal weniger Fläche verbraucht, und die Kosten reduzieren sich gemäss Brevel um 90 Prozent.
Myzel
Viele Unternehmen spezialisieren sich darauf, aus Pilz-Myzel nachhaltige Protein-Alternativen herzustellen. Das so genannte Mycoprotein senkt den Cholesterinspiegel und ist eine vielversprechende Quelle von essenziellen Aminosäuren. Das Start-up Kinoko-Tech züchtet sein Myzel in einer Mischung aus Hülsenfrüchten und Getreide und will eine gesunde Alternative zu hochverarbeiteten Fleischalternativen bieten.
Fette
Pflanzenfette haben nicht dieselben Eigenschaften wie tierische Fette. Doch das Unternehmen Melt & Marble stellt mithilfe von Fermentation Fette aus Hefe und Zucker her, welche von tierischen Fetten kaum zu unterscheiden sind. Mithilfe von speziellen Enzymen können Fette für die verschiedensten Anwendungen kreiert werden.
Schokolade
Was nicht jeder weiss: Kakao wird für die Zubereitung von Schokolade fermentiert. Es können aber auch andere Zutaten verwendet werden. So stellt das Unternehmen WNWN Food Labs Schokolade mithilfe der Fermentation von Gerste und Carob her. Carob ist das geröstete und fein gemahlene Fruchtmark der Früchte des Johannisbrotbaums, dessen Ökobilanz besser ist als diejenige von Kakao.
Tierfutter
Um nicht nur die menschliche, sondern auch die tierische Ernährung nachhaltiger zu gestalten, arbeiten Unternehmen wie Bond Pet Foods daran, mithilfe von Fermentation Tierfutter aus der Muskel-DNA von Hühnern herzustellen. Da es sich um Tierfutter handelt, sind Aussehen und Konsistenz weniger wichtig als bei zellbasiertem Fleisch für den Menschen. Das gibt den Firmen grössere Flexibilität bei der Herstellung und Auswahl der geeigneten Proteine.
Lebensmittelfarbe
Das Unternehmen Chromologics produziert natürliche rote Lebensmittelfarbe, die nachhaltig und vegan ist. Die Farbe entsteht aus einem Pilz, der mit Zucker und anderen Nährstoffen in Wasser fermentiert wird. Das Produkt ist bei pH-Werten von zwei bis zehn und bei Temperaturen von unter null bis 135 Grad Celsius stabil, und bereits niedrige Dosen reichen aus, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.
Pestizide
Derzeit wird an Pestiziden geforscht, welche durch Fermentation gewonnen werden und biologisch sind. Eine Variante sind Pilze, die sich von Schädlingen ernähren. Sie sind sehr präzise im Einsatz und daher besonders schonend und förderlich für die Biodiversität.
Verpackungsmaterial
Auch nachhaltiges Verpackungsmaterial kann mithilfe von Fermentation hergestellt werden. So bietet beispielsweise die Schweizer Firma EJS einen Biokunststoff aus Polymilchsäuren an. Das Material ist transparent, formstabil und bruchsicher. Es wird aus vielen chemisch aneinandergebundenen Milchsäuremolekülen hergestellt. Diese werden mithilfe von Fermentation aus Mais- und anderen Pflanzenstärken gewonnen.
3 Planeten bräuchte es in zehn Jahren, wenn die ganze Welt sich auf einmal so ernähren würde, wie die Schweiz es derzeit tut.
Gemäss dem GDI ist die Proteinwende, also der Umstieg von Proteinen aus der Tierwirtschaft hin zu alternativen Proteinen, aufgrund des Klimawandels unumgänglich.
0,8 Gramm Protein sollte ein Erwachsener im Schnitt pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag essen. Weltweit liegt der aktuelle Schnitt deutlich darüber, die globale Verteilung ist allerdings sehr ungleich.
300 Prozent mehr Fleisch wird in Asien heute im Vergleich zu den 1960er-Jahren konsumiert.
Aus Fermentation gewonnene Proteine werden bereits im Jahr 2025 gleich viel kosten wie tierische Proteine.
24 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen sind auf Food-Systeme zurückzuführen. Zum Vergleich: Der Bereich Transport, in welchem viel mehr in die Nachhaltigkeit investiert wird, macht nur 14 Prozent aus.