Der Einsatz von Aktivkohle in Lebensmitteln boomt. Ist das schwarze Pulver nur eine kosmetische Angelegenheit oder doch ein zauberhafter Jungmacher? Oder schadet es dem Körper letztlich sogar?
Sie ist pechschwarz und doch lupenrein – Aktivkohle ist das umjubelte Wundermittel in der Lebensmittelindustrie. Sie soll entgiften, entschlacken und von innen reinigen. Gerade als Vorsatz fürs neue Jahr boomen Aktivkohle-Produkte für einen gesunden Körper und eine schlanke Linie. Hollywood-Stars schwören auf Smoothies mit Aktivkohle. Vitamine und Entschlackung in einem – das klingt erst mal vielversprechend. Und Gastronomiebetriebe profitieren von diesem Hype. Unternehmen wie Hitzberger und Spettacolo nahmen Gipfeli und Smoothies mit Aktivkohle ins Sortiment auf. Auch der Backwaren-Produzent Délifrance bietet eine pechschwarze Focaccia an. Und in der Spirituosenherstellung gilt die Filtration durch Kohle schon fast als Reinheitsgebot.
Doch was ist dran an dem Mythos? Aktivkohle kannte man bis vor kurzem nur in konzentrierter Tablettenform, um Verdauungsbeschwerden zu lindern. Und nun soll der Kohlenstoff ein trendiges Schönheitselixier sein? Oder handelt es sich doch nur um einen weiteren kurzfristigen Hype?
«Die reinigenden und entgiftenden Eigenschaften von Pflanzenkohle werden seit der Antike geschätzt», erzählt Thomas Staub, Geschäftsleiter von Délifrance. Seit einigen Monaten wird dort Kohle im Focaccia-Teig verarbeitet. Auch Andy Schwarzenbach, Geschäftsführer von Hitzberger, propagiert die heilende Wirkung in ihren Smoothies. Neben Gurken, Rucola, Spinat, Äpfeln und Zitronensaft ist auch das schwarze Pulver zu einer niedrigen Konzentration von 0,4 Gramm pro 250 Milliliter enthalten. Dass die Kohlepartikel durch ihre Struktur Schadstoffe und Gifte an sich binden und herausspülen, ist eine Tatsache. «Aber jetzt kommt’s: Sie binden auch lebenswichtige Mineralstoffe, Vitamine und Spurenelemente und spülen diese ebenso heraus», erklärt der diplomierte Ernährungsberater Tommaso Cimeli. «Aktivkohle ist wie ein Schwamm. Sie saugt alles auf. Egal ob Schad- oder Wirkstoff.» Nicht umsonst wird diese Eigenschaft bei Vergiftungen oder Darmerkrankungen genutzt. Hochdosiert legt sich ein Schutzfilm über den Darm und legt ihn lahm. Was bei Infektionen und Giften berechtigt ist. Jedoch nicht bei einem gesunden Menschen, der funktionstüchtige Organe besitzt, die den Körper reinigen.
«Wer sich über Monate und Jahre eine hohe Dosis Aktivkohle zuführt, verliert einen Teil lebenswichtiger Nährstoffe», hält Cimeli fest. Die Konzentration in Lebensmitteln mit Aktivkohle sei jedoch derart niedrig, dass bisher keine gesundheitsfördernde Wirkung belegt werden konnte. Es existieren keine Studien für kleine Mengen. «Wir machen beim Konsum solcher Produkte sozusagen Selbstversuche mit unserer Gesundheit», merkt Cimeli an.
Zu untersuchen, welchen Effekt die 0,4 Gramm Aktivkohle im Fruchtsmoothie oder die 0,8 Gramm in der Olivenfocaccia und im Gipfeli haben, würde Jahre dauern. Andy Schwarzenbach: «Wir sind keine Ärzte. In Japan kennt man Aktivkohle bereits seit vielen hundert Jahren als Heil- und Pflegemittel. Unsere Gäste sind von der Wirkung dieses Naturstoffes überzeugt. Genauso wie wir gewissen Teekräutern eine wohltuende Wirkung zuschreiben. Wir haben es als Trend aufgenommen. Und jetzt zu Beginn des Jahres ist es zwecks gesunder Vorsätze wieder stärker nachgefragt.» Auch Thomas Staub von Déli- france bestätigt: «Die Einführung hatte definitiv einen Überraschungseffekt bei den Gästen.»
So umstritten wie die Wirkung in Lebensmitteln ist, so bewährt ist der Einsatz von Aktivkohle in der Spirituosenherstellung. Die Filtration von Trinkalkohol mit Kohle wird als gängiges Verfahren seit Dutzenden von Jahren in der Wodka- oder Tequilaherstellung eingesetzt. Bei der Destillation entstehen oft unerwünschte Nebenprodukte, die Verfärbungen oder Gerüche verursachen. Die Kohlemoleküle binden diese Stoffe an sich, die im Granulat des Filters haften bleiben.
Besonders Wodka hat den Anspruch, möglichst rein zu sein und neutral zu schmecken. Daran misst sich auch für Mathias Friedli und Yves Bütikofer die Qualität. Seit einem halben Jahr produzieren die beiden Berner ihren «Hanz-Vodka» in einer kleinen Manufaktur. Zusätzlich zur Aktivkohle wird Silber in der Filteranlage verwendet. Es verstärkt die reinigende Wirkung und hat den Vorteil, dass die Kohle zwischen den Chargen nicht austrocknet. «Wir produzieren Kleinstmengen von maximal hundert Litern pro Charge. So einen Filter kann man jedoch für mehrere tausend Liter verwenden. Es wäre verschwenderisch, die Kohle nach jedem Durchlauf auszutauschen und wir wären dadurch preislich nicht konkurrenzfähig», erzählt Yves Bütikofer.
36 Gastronomiebetriebe und acht Getränkehändler beliefern die beiden Wodka-Liebhaber mittlerweile. «Die Wodka-Kultur ist hier in der Schweiz nicht immens gross. Der Alkohol wird oft mit Säften oder Softgetränken gemischt, die die feinen Nuancen überdecken. Ich würde es schätzen, wenn man den Gästen Wodka pur anbieten würde», so Bütikofer.
Die einzigartigen Eigenschaften von Aktivkohle haben dem Stoff einen guten Ruf beschert. Jedoch gilt es, sorgsam zu beachten, in welchem Bereich und welcher Dosierung die Kohle eingesetzt wird. Ohne eingehende Forschung lässt sich über Wirkung und Risiko nur spekulieren. Im besten Fall ist das schwarze Pulver ein zauberhafter Jungbrunnen und die Quelle der Reinheit. Im schlimmsten jedoch entzieht die Kohle dem Körper lebenswichtige Nährstoffe und könnte bei Frauen unter Umständen sogar die Aufnahme der Pillen-Wirkstoffe verhindern, so die Expertenmeinung. Ein gesunder Körper ist jedenfalls bestimmt nicht auf Aktivkohle als Lebensmittelzusatz angewiesen. Aber als Highlight fürs Auge, als Kennzeichen für einen trendigen Betrieb und zum Erzählen einer durchaus attraktiven Verkaufsgeschichte trifft der Gastronom mit dem Einsatz von Aktivkohle voll ins Schwarze.
(Anna Shemyakova und Benny Epstein)