Die Zeit vor Abschlussprüfungen ist arbeitsintensiv. Aber nicht nur für Prüflinge, sondern auch für Experten.
Vera Schäfer, Sie sind Prüfungsexpertin in drei Berufen. Worin liegt für Sie der Reiz dieser Aufgabe?
Mir gefällt, dass ich immer wieder neue Menschen und Betriebe sowie Produkte und Arbeitsprozesse kennenlerne und so meinen Blick auf die Branche erweitere. Ausserdem macht es Spass, junge Menschen durch diese für sie wichtigen Tage zu begleiten. Die Prüfung ist ja quasi der Höhepunkt ihrer Aus- oder Weiterbildung, auf den sie lange hingearbeitet haben.
Welche Aufgaben haben Prüfungsexperten?
Unsere Aufgabe besteht darin, ein gutes Gesprächsklima zu schaffen, indem die Prüflinge ihr Wissen zeigen können. Sie sollen nicht das Gefühl haben, zerpflückt zu werden, sondern mit uns in einem Dialog zu sein. Wir wollen herausfinden, was die Prüflinge wissen und nicht, was sie nicht wissen.
Wie bereiten Sie sich auf die Prüfungsgespräche vor?
Das ist je nach Beruf, den ich prüfe, unterschiedlich intensiv. Beim Beruf Kauffrau/-mann HGT beispielsweise bereiten wir uns individuell auf jede Kandidatin, jeden Kandidaten vor. Wir sammeln Infos über die jeweilige Person, ihre Wahlpflichtfächer und ihren Ausbildungsbetrieb. Basierend darauf schreiben wir für jeden Prüfling zwei Fälle. Einer dreht sich um eine Kommunikationssituation aus dem Hotelalltag wie zum Beispiel ein Check-in-, ein Reklamations- oder Verkaufsgespräch. Für den zweiten Fall, ein Fachgespräch, geben die vom Lernenden selbst bestimmten Wahlpflichtfächer die Richtung vor.
Wie läuft es bei den Berufen Chef de réception und Hotel-Kommunikationsfachfrau/ -mann HoKo?
Auch beim Chef de réception gibt es Fallbeispiele. Diese sind aber nicht auf die jeweiligen Kandidaten und die Betriebe, in denen sie arbeiten, abgestimmt, sondern alle Prüflinge «arbeiten» in fiktiven Hotels. Die Fallbeispiele sind nicht individuell, gehen dafür aber mehr in die fachliche Tiefe. Beim HoKo begleiten wir die Kandidaten einen ganzen Tag lang durch die sieben verschiedenen Prüfungsteile.
Welchen Spielraum haben Prüfungsexperten, wenn es für einen eigentlich guten Kandidaten eng wird?
Wir müssen wohlwollend und fair sein. Die Zeit, als Experten jemanden piesackten, weil sie eine ganz bestimmte Formulierung hören wollten, ist längst vorbei. Da wir viel über das berufliche Umfeld der Kandidaten wissen, versuchen wir, sie mit gezielten Fragen auf den richtigen Antwortweg zu führen. Befinden sich Prüflinge geistig gerade in einer Sackgasse, formulieren wir die Frage um, damit die gewünschte Leistung abgerufen werden kann.
Das Gerücht, Experten müssten eine Anzahl Prüflinge durchfallen lassen, hält sich seit Generationen. Was ist dran an dem Gerücht?
Nichts. Es gibt weder Quoten für die Anzahl der Lernenden, die bestehen, noch für die, die durchfallen müssen. An der Abschlussprüfung geht es darum, die Leistungsziele zu überprüfen. Die Erwartungen sind hoch, denn die Prüflinge hatten während ihrer Ausbildung Zeit, sich diese Ziele zu erarbeiten. Ich habe über 100 Kandidaten und Kandidatinnen geprüft. Die Erfahrung hat gezeigt: Wer nicht besteht, hat sich entweder fachlich zu wenig gut vorbereitet oder ist von der persönlichen Reife einfach noch nicht so weit.
Sie sind auch als Dozentin tätig. Nehmen Sie Kandidaten, die Sie persönlich kennen, die Prüfung ab?
Nein, in der Regel nicht. Ich möchte niemanden prüfen, den ich persönlich gut kenne oder zu dessen Arbeitsort ich einen engen Bezug habe. Das lässt sich im Vorfeld bereits bei der Zuteilung der Experten gut koordinieren.
Wie wird man eigentlich Prüfungsexpertin?
Indem man Berufserfahrung hat und sich für Berufsbildung interessiert. Ich habe mich im Jahr 2015 bei der Branche HGT als Expertin beworben, an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB) Kurse besucht und bin von den jeweiligen Kurskommissionen der Berufe, die ich prüfe, als Expertin gewählt worden. Zudem nehme ich regelmässig an Erfahrungsaustausch-Meetings und Weiterbildungen teil.
Ist Prüfungsexperte ein bezahlter Beruf oder eine ehrenamtliche Tätigkeit?
Es ist ein schönes und wichtiges Mandat, für das man eine Aufwandsentschädigung erhält. Leider gibt es zu wenig Berufsleute mit breitem Branchenwissen, die motiviert sind und sich die Zeit nehmen, als Prüfungsexperten zu amten. Denn es braucht gute, engagierte Experten, um die Qualität unserer Berufe weiterhin zu sichern.
(Interview Riccarda Frei)
Vera Schäfer ist Produktverantwortliche HGT (Hotel-Gastro-Tourismus) beiMinerva Schweiz, Dozentin KV HGT und Chef de réception bei der Hotel & Gastro Formation Schweiz, Prüfungsexpertin KV HGT, Hotel-Kommunikationsfachfrau/-mann und Chef deréception. Sie arbeitet an der KV-Reform 2023 mit und ist Vizepräsidentin des Berufsverbands Hotel Administration & Management Schweiz.