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Der Dienstälteste in Zermatt

Seit 27 Jahren kocht Alain Kuster im Vier-Sterne-Hotel Mirabeau und gilt in Zermatt mittlerweile als lebende Küchenchef-Legende. Dabei wäre er vor mehr als 30 Jahren, als er das erste Mal aus der Gornergratbahn stieg, beinahe fortgeschickt worden.

«Auch nach 27 Jahren im Hotel Mirabeau bin ich motiviert wie am ersten Tag. So freue ich mich wie ein kleines Kind, wenn mir der Lieferant einen Steinbutt in die Küche bringt.» (Bild: Christoph Läser)

Zermatt ohne Kuster, Kuster ohne Zermatt ... wie man es auch dreht und wendet: der heute 51-jährige Elsässer Alain Kuster ist aus dem Oberwallis nicht mehr wegzudenken. Seit nunmehr 32 Jahren hält er Zermatt die Treue. Damit ist er mit Abstand der dienstälteste Küchenchef in der Touristendestination. Ein Dauerbrenner. Eine Legende. Anfang der 1990er-Jahre kürte ihn Gault Millau zum jüngsten 16-Punkte-Küchenchef der Schweiz. Die Punkte hat er für sein Restaurant Corbeau d’or im Hotel Mirabeau immer noch in der Tasche. Eine Bestätigung für Kontinuität und Klasse. Womöglich hätte er den einen oder anderen Punkt mehr anstreben können, aber: Alain Kuster war immer klug genug zu wissen, was es bedeutet, in einem familiär geführten Hotel-Restaurant die verschiedensten Gästebedürfnisse zu erfüllen.

Rückblende. Alain Kuster kocht im elterlichen Betrieb im Elsass, als er eines Tages im Dezember 1985 beim Durchblättern des Lokalblattes «Dernière Nouvelle d’Alsace» auf ein Inserat aufmerksam wird. Das Kulmhotel Gornergrat Zermatt sucht einen Jungkoch für die Wintersaison 1985/1986. «Kulm klingt super», denkt sich der 19-Jährige. Von Zermatt hat er allerdings noch nie etwas gehört. Schweiz, Berge? Alain Kuster, der es noch nicht mal bis in die nahen Hügeln der Vogesen geschafft hat, packt das Fernweh. Vier Jahre ging er bei Dominique Le-Stanc, einem Zwei-Sterne-Koch des Hotels Bristol in Niederbronn-les-Bains (Elsass) in die Lehre, nun arbeitet er seit ein paar Monaten in einem Betrieb, den ihm seine Eltern geschenkt haben. Ein Glücksfall eigentlich, aber er will weg. «Es ist an der Zeit,», sagt er sich, «etwas anderes zu sehen.»

Wenige Tage später sitzt er im Zug und reist über Strasbourg nach Zermatt. Eine halbe Weltreise. Als er am späten Nachmittag im Touristenort ankommt, fragt er einen Taxifahrer nach dem Weg zum Kulmhotel Gornergrat. Sich chauffieren zu lassen, kommt für ihn nicht in Frage. Alain Kuster hat nur eine kleine Tasche und 100 Französische Franc, umgerechnet 25 Franken, dabei. Zum Hotel müsse er die Gornergratbahn nehmen, aber heute fahre keine mehr, antwortet der Taxifahrer. «Na gut», sagt der junge Elsässer, «ich bin sportlich, dann laufe ich eben hoch. «Auf 3100 Meter über Meer?», lacht der Taxifahrer, «das schafft niemand!» Alain Kuster bleibt nichts anderes übrig, als sich ein billiges Hotelzimmer zu nehmen und am nächsten Tag mit der ersten Bahn hinauf zum «Kulm» zu fahren. Die erste Tour am frühen Morgen entpuppt sich als Arbeiterbahn. Die heimischen Büezer nehmen den schüchternen Fremden mit dem komischen Dialekt in ihre Mitte und reichen ihm Schnaps um Schnaps. Als er auf dem Gornergrat ankommt, ist der 19-Jährige stockbetrunken.

Heute lacht Alain Kuster über seine Ankunft in Zermatt. «Ich habe wohl keinen guten ersten Eindruck auf meinen neuen Chef gemacht.» Doch statt gleich wieder ins Tal geschickt zu werden, bekommt der Elsässer seine Chance. Im Selbstbedienungsrestaurant bereitet er im Winter 1985/86 für täglich rund 2000 Gäste Rösti und Gulaschsuppen zu. Er, der bei einem Sternekoch mit den Finessen der Nouvelle Cuisine vertraut wurde, fühlt sich tagsüber in der lärmigen Beiz und am Abend in der Stille der Walliser Bergwelt pudelwohl. Für ein Jahr kehrt er nochmals dem Oberwallis den Rücken, als er ins französische Militär einrücken muss und seinen Wehrdienst als Offizierskoch im Schwarzwald ableistet.

Seit 1987 lebt und arbeitet Alain Kuster ununterbrochen in den Schweizer Bergen, erst als Koch im Hotel-Restaurant Millius in Susten-Leuk, später für zwei Sommersaisons im Hotel Schatzalp in Davos und dann ab 1988 für zwei Jahre im neu eröffneten Gourmet-Fischrestaurant La Coquille im Zermatter Hotel Polux.

1990 wechselt er als Sous-chef ins Hotel Mirabeau, ein von Sepp und Rose Julen umsichtig geführtes Vier-Sterne-Hotel. Alain Kuster ist sofort von der familiären Atmosphäre des Hauses begeistert. Zwei Jahre später, 1992, ist er bereits Küchenchef des Hotels – und soll es bis auf den heutigen Tag bleiben. «Als ich hier angefangen habe», erinnert sich Alain Kuster, «waren wir in Zermatt nur zwei Gourmetköche. Roland Schmid im «Alpenhof» und ich im Mirabeau.» Mittlerweile habe sich die Zermatter Gastroszene gewaltig verändert, erzählt der Küchenchef, der einst als Erster seiner Zunft den Gästen im Tourismusort Foie gras und Rindsfilet am Stück nach Rossini-Art und Edles vom Wollschwein auftischte. Heute zählt Zermatt mit seinen 5600 Einwohnern 18 Top-Betriebe, die 249 Gault-Millau-Punkte auf sich vereinen. Allerdings, schränkt Alain Kuster ein, böten die meisten Restaurants ihre Spitzenküche nur in der Wintersaison an.

Nicht so sein Betrieb, das nahezu ganzjährig geöffnete Hotel Mirabeau, mit dem Top-Restaurant Corbeau d’Or, 16 Punkte, dem Restaurant Veranda mit «alpine-casual»-Küche und Josef’s Wine Lounge in der Alpine Residenz. Alain Kuster und sein Team schaffen den Spagat zwischen exzellenter Gourmet-Küche und einfachen, gleichwohl mit besten Rohprodukten zubereiteten Gerichten. «Die Herausforderungen an einen Hotel-Küchenchef in Zermatt sind grösser geworden», erzählt Alain Kuster. Gäste, die bereits tagsüber im Skigebiet Trüffelrisotto bei Chez Vrony’s geniessen, gelüstet es am Abend nicht immer nach einem Fünf-Gang-Gourmetmenü. Spitzenküche ja, aber auch ein gutes A-la-carte-Angebot, Halbpensionsmenüs und eine Auswahl an gutbürgerlichen Speisen seien gefragt. «Wenn du das nicht anbieten kannst», sagt Alain Kuster, «bist du weg vom Fenster.»

Der Elsässer geniesst das Vertrauen von Mirabeau-Patron Sepp Julen. Der Gastgeber ist stolz auf seinen Küchenchef und weiss, was er an ihm hat. Julen selbst ist mit Leib und Seele Hotelier, einer, der sich nicht im Büro verkriecht, sondern omnipräsent ist. Er begrüsst seine Gäste per Handschlag zum Frühstück und zum Abendessen. Das Persönliche und Familiäre ist es, was Alain Kuster beeindruckt und ihn seit 27 Jahren im Hotel hält. Das Vertrauen, das ihm Familie Julen schenkt, spornt den Elsässer in seiner Küche an.

Alain Kuster freut sich über seine 16 Gault-Millau-Punkte, aber Erlebnisse für seine Gäste seien ihm wichtiger als Gourmet-Ehrungen. Wo immer, versucht der Küchenchef zu überraschen. Bei Vorspeisen beispielsweise mit einem Saibling, den er bei der Familie Reichmuth in Sattel (ZG) entdeckte und der so gut ist, dass ihn Bianchi ins Sortiment genommen hat. Den Brüggli-Saibling serviert er als Tatar und Praline mit Randen, Sauerrahm und Yuzusaft. Dazu reicht Alain Kuster Oona-Kaviar im Hergiswiler Glas, stilgerecht mit einem Perlmuttlöffel auf Störleder. Einer seiner aktuellen Hauptgänge ist eine Rheintaler Ribelmaispoularde, Ribelmais-Bramata, Maisbier-Shot, Wintertrüffel und grüner Apfel. Die Poularde ist nicht irgendeine, sondern stammt von Luma, dem Dry-Aged-Spezialisten aus Zürich, der seit Neuestem nicht nur auf Beef macht. Die Luma-Poulets liefert Geflügelzüchter Robin Geissler, der seine Hühner mit Ribelmais füttert. Luma lässt das Fleisch während zweier Wochen trocken abhängen, anders als beim Beef, vorerst ohne Edelschimmel-Bildung. Alain Kuster ist begeistert. «So zart, so köstlich. Ein besseres Pouletfleisch findest du im ganzen Land nicht.»

(Jörg Ruppelt)