Im Schnitt leben im Lehrlingshaus Chur/GR 60 Lernende aus den unterschiedlichsten Berufen zusammen.
Mediamatikerin, Strassenbauer, Koch – das sind nur einige der Lehrberufe der Bewohner und Bewohnerinnen des Churer Lehrlingshauses. Trotz unterschiedlicher Arbeitszeiten klappt das Wohnen unter einem Dach sehr gut. Dafür sorgen seit 2001 Petra und Marco Jäger.
«Wir versuchen mit möglichst wenig Regeln und Verboten auszukommen», sagt Petra Jäger. Schliesslich sei das Lehrlingshaus keine Erziehungsinstitution, sondern das Zuhause der Lernenden, in dem sie sich wohlfühlen sollen.
Beim Umsetzen der wenigen Hausregeln berücksichtigt Petra Jäger das Alter und die persönliche Reife der Lernenden. Zum Beispiel wenn es um den Konsum von Alkohol geht. «In den öffentlichen Räumen gilt ein generelles Alkoholverbot. Einem 20-Jährigen verbiete ich aber nicht, in seinem Zimmer ein Feierabendbier zu trinken. Bei einem 15-Jährigen sieht das hingegen anders aus», sagt die Mutter von zwei erwachsenen Kindern.
Die ausgebildete Sozialbegleiterin ist sich der Verantwortung bewusst, die sie vor allem für minderjährige Lernende hat. Deshalb geht das Betriebsleiterpaar kompromisslos vor, wenn einer ihrer Schützlinge auf dem Areal des Lehrlingshauses oder in dessen unmittelbarer Umgebung illegale Drogen konsumiert. «Zuerst gibt es eine schriftliche Verwarnung. Nützt die nichts, muss der oder die Lernende ausziehen», zählt Marco Jäger die Massnahmen auf.
Das Lehrlingshaus verlassen zu müssen, ist ein herber Schlag. Eine günstigere Unterkunft lässt sich in der Kantonshauptstadt kaum finden. Die Unterbringung in Einzel- oder Doppelzimmern mit Lavabo und Etagenbad kostet ab 650 Franken pro Monat inklusive Verpflegung. Für Teilnehmende an überbetrieblichen Kursen gibt es Betten in Dreibettzimmern zum Wochentarif von 250 Franken mit Verpflegung.
Für die Küche ist Ali Grira verantwortlich. Aus möglichst regionalen Produkten – einige aus eigenem Anbau – kocht er abwechslungsreiche Gerichte, denen er ab und zu eine orientalische Note verpasst. Wer wissen möchte, wie das schmeckt, hat von montags bis freitags zwischen 11.45 und 12.45 Uhr die Gelegenheit dazu. Das Menü mit Salat vom Buffet kostet 15 Franken. «Je nach Saison haben wir zwischen 15 und 30 externe Mittagsgäste», freut sich Ali Grira. Darunter Arbeiter und ältere Menschen, die den Kontakt zur jüngeren Generation schätzen.
Damit Neulinge im Lehrlingshaus rasch den Anschluss zu ihren Mitbewohnern finden, organisieren Petra und Marco Jäger jeweils zum Start des Schuljahres einen Willkommensapéro.
Bündner Gewerbetreibende haben früh erkannt, dass im grössten Schweizer Kanton der Weg für Lernende vom Wohn- zum Ausbildungsort oft zu weit ist, um ihn täglich zurückzulegen. 1918 gründeten sie die Stiftung Bündner Lehrlingshaus. Das ursprüngliche Haus lag in einem anderen Stadtteil und die Lernenden mussten selber putzen oder den Gemüsegarten pflegen. Heute erledigen Petra und Marco Jäger sowie sechs Voll- und Teilzeitangestellte die anfallenden Arbeiten.
Das heutige Lehrlingshaus stammt aus dem Jahr 1977. Die Gebäudehülle wurde 2020 saniert. Es gab neue Fenster, die Heizung wurde von Öl auf Fernwärme umgestellt und eine Photovoltaikanlage installiert. Für zukünftige Generationen werden nun die Zimmer und Aufenthaltsräume renoviert.
(Riccarda Frei)