Jean Baldo ist blind geboren. Das hat ihn aber nicht von einer Karriere im Gastgewerbe abgehalten. Unter anderem unterrichtet er Tourismusstudenten und betreibt einen eigenen Audio-Blog.
Im März fand im Bundeshaus in Bern die erste Behindertensession der Schweiz statt. Eine der wichtigsten Forderungen lautete: Inklusion. Einer, der nicht darauf wartet, dass er einbezogen wird, sondern sich selber inkludiert, ist Jean Baldo. Er geht sogar noch einen Schritt weiter.
Der Thurgauer hat sich eine Karriere im Gastgewerbe aufgebaut und es geschafft, sein angeborenes Handycap sinnstiftend zu nutzen. Er inkludiert Sehende in die Welt der Blinden und sensibilisiert sie dadurch für den Umgang mit sehbehinderten und blinden Menschen. Dies tut er gleichzeitig auf mehreren Ebenen.
Jean Baldo arbeitet hauptberuflich im Restaurant Blinde Kuh in Zürich in der Administration. Der gelernte Telefonist und Kaufmann ist für die Reservationen sowie die Mitarbeiter- und Arbeitseinsatzplanung verantwortlich. «Mindestens einen Tag pro Woche bin ich aber auch selber im Service», sagt der 48-Jährige. Als diplomierter Hotelier liebt er es, den Gästen dieses Dunkelrestaurants einen Rundumservice – von der Reservation bis zur Verabschiedung – zu bieten. Neue Sinneseindrücke und Erlebnisse inklusive.
Als Stadtführer in Zürich erklärt Jean Baldo den Teilnehmenden der City Walks, wie man sich ohne oder mit stark eingeschränkter Sehkraft in der Stadt zurechtfindet. Er zeigt ihnen, wie man sich sicher im Strassen- und öffentlichen Verkehr bewegt. Und wie man möglichst rasch und ohne Umwege oder Zwischenfälle an sein Ziel kommt.
Neue Erkenntnisse und Einblicke aus erster Hand ermöglicht Jean Baldo auch den Studentinnen und Studenten an der Höheren Fachschule für Tourismus HFT in Samedan/GR sowie an der IST, der Höheren Fachschule für Tourismus & Outdoor in Zürich.
«Jeweils im Mai und im September bin ich je einen halben Tag als Co-Referent in diesen Tourismusfachschulen im Einsatz. Meine Unterrichtsthemen sind ‹Barrierefreies Reisen› und der ‹Umgang mit sehbehinderten Gästen›», sagt Jean Baldo. In den vier Lektionen, die ihm jeweils zur Verfügung stehen, erzählt er aus seinem beruflichen und privaten Alltag. Er stellt verschiedenste Hilfsmittel und Massnahmen vor, die ihm diesen erleichtern. So wie etwa die Vorlesefunktion «Voice Over».
Ausserdem geht Jean Baldo mit den Studenten einen Praxisfall durch, den sie im Vorfeld in eigener Regie bearbeitet haben. «Die Studenten sind Touroperators. Sie bekamen den Auftrag, eine Reise mit attraktivem Ausflugsprogramm für sehende und nichtsehende Gäste auszuarbeiten», beschreibt Jean Baldo das Setting. Eine vermeintlich leichte Aufgabe, die etliche Knacknüsse enthält. Die erste zeigt sich bei der Online-Ausschreibung der Reise.
Im Gegensatz zu Sehenden, die sich wenig Text und viele Bilder auf der Website wünschen, sind Blinde auf Texte angewiesen, die man ihnen vorliest. Bilder sollten daher mit Text hinterlegt sein, der genau beschreibt, was auf dem Foto zu sehen ist.
Einige der Tipps und Tricks die der Co-Referent in seinem Unterricht verrät, hat er auch in Podcasts zusammengefasst. Diese ver-öffentlicht Jean Baldo unter seinem Portal «Blindblog.ch – Reiseblog für blinde und sehbehinderte Menschen». Bisher sind fünf Podcasts aufgeschaltet, weitere sollen folgen. «Momentan habe ich zu wenig Zeit, um neue Folgen zu verfassen», erklärt Jean Baldo. Als Mensch, der sich akustisch orientiert, sind ihm die Tonqualität und ein guter Schnitt extrem wichtig. Ideen für neue Folgen hat er bereits im Kopf.
(Riccarda Frei)
Bei einem Praktikum als Telefonist im Hotel Waldhaus in Sils Maria/GR hat Jean Baldo seine Liebe zum Gastgewerbe entdeckt. 2002 absolvierte der Kaufmann als erster blinder Student die Hotelfachschule Belvoirpark in Zürich. Inzwischen hat Jean Baldo sich zum Ausbildner und Stadtführer weitergebildet. In seiner Freizeit spielt er gerne Keyboard, und seit Februar singt er im Chor des Klosters Fischingen in Fischingen/TG. Ausserdem reist Jean Baldo sehr gerne. Sein nächster Trip wird ihn nach Italien führen.