Diverse Studien belegen: Extrovertierte Menschen haben es im Job oft leichter. Dabei haben auch introvertierte Mitarbeitende Qualitäten, die nicht übersehen werden sollten.
Der erste Eindruck entscheidet, ob ein Bewerbungsdossier in die Kategorie «Genauer anschauen» oder «Absagen» sortiert wird. Für diese Entscheidung nehmen sich HR-Verantwortliche im Schnitt gerade mal 15 Sekunden Zeit. Darum ist es wichtig, die Bewerbung so zu gestalten, dass sie Interesse weckt. Doch schon hier scheitern viele Menschen. Sich selbst anzupreisen und seine Vorzüge herauszustreichen, ist nun mal nicht jedermanns Sache. Vor allem dann nicht, wenn man mit Glaubenssätzen wie «Eigenlob stinkt» aufgewachsen ist.
Ein gewisses Mass an Bescheidenheit und Zurückhaltung ist, gerade in der heutigen Selfie- und Selbstdarsteller-Kultur, ein angenehmer Charakterzug. Bei der Jobsuche allerdings ist vornehme Zurückhaltung die falsche Stra-
tegie. Wer gesehen werden will, muss ins Licht treten. Wer gehört werden will, muss Lärm machen – auch wenn das nicht seiner eigentlichen Natur entspricht.
Es geht nicht darum, sich total zu verbiegen, sondern aktiv auf seine Qualitäten aufmerksam zu machen. Die Zeiten, in denen man als Rohdiamant im Kohlenkeller brav darauf wartete, bis man von einem Mentor entdeckt und gefördert wurde, sind vorbei. Heute gilt es, den Kohlenstaub selber abzuwischen und zu glänzen. Zum Beispiel, indem man im Bewerbungsschreiben sagt:
Wem das mit dem Eigenlob gegen den Strich geht, kann zu einem kleinen Trick greifen und andere für sich sprechen lassen. Dazu bittet man wohlmeinende Ausbildner, Arbeitskollegen, Vorgesetzte oder Stammgäste um ein Statement. Zum Beispiel: «Felix Muster ist ein sehr angenehmer Arbeitskollege und echter Teamplayer. Besonders beim Umgang mit schwierigen Gästen war seine ruhige, höfliche Art sehr nützlich. Rico Sample, Arbeitskollege.» Solche Aussagen kann man dann als Zitate ins Bewerbungsschreiben einfliessen lassen.
Weil sie sich nicht in den Vordergrund drängen, werden introvertierte Mitarbeitende gerne unterschätzt, aber auch überhört. Dies nicht nur, weil sie tendenziell leise sprechen, sondern auch, weil sie lange und gründlich überlegen, bevor sie sich äussern. Wenn sie überhaupt etwas sagen. Denn sie sind oft so selbstkritisch, dass sie ihre Vorschläge gleich selber zensieren. Schade, denn so kommen viele gute Ideen und Inputs gar nicht erst auf den Tisch.
Chefs, die das gesamte Potenzial ihres Teams ausschöpfen möchten, tun gut daran, bewusst auch den stilleren Mitarbeitenden Gehör zu schenken. Sie sollten diese Angestellten konkret dazu einladen, ihre Gedanken zu äussern und ihnen auch den Raum dafür schaffen. Sei es, indem sie bei Sitzungen allen Teilnehmenden Sprechzeit einräumen oder introvertierten Mitarbeitenden auch andere, weniger exponierte Möglichkeiten geben, sich auszudrücken. Zum Beispiel im Rahmen einer Sprechstunde in kleiner Runde, einem Zweiergespräch oder einer Feedback-Box, wo Inputs schriftlich eingereicht werden können.
(Riccarda Frei)