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Heiraten – nicht aus Liebe, sondern für den Betrieb

In der Hotellerie spielte die Leidenschaft zum Metier immer eine grosse Rolle. In Liebesdingen hingegen waren die Hoteliers früher vor allem eines: geschäftstüchtige Strategen.

Ihre Hochzeiten feierten die Hoteliers der Belle Epoque in ihren eigenen Häusern. Das war billiger. Zudem nutzten sie die Gelegenheit, sich zu profilieren, indem sie Stammgäste, Behördenvertreter und Geschäftspartner zum Fest einluden. (ZVG)

Von den Bauern weiss man, dass bei der Partnerwahl die Grundhaltung «Land zu Land» galt. Auch bei Industriellenfamilien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren gemeinsame Firmeninteressen, die Grösse der Mitgift oder das Beziehungsnetzwerk der Schwiegerfamilie die Hauptkriterien für eine Eheschliessung. Die Liebesheirat war Romanfiguren vorbehalten.

Auch für Hoteliers und Gastronomen der Belle Epoque war Heiraten keine reine Herzensangelegenheit. Es war viel mehr eine firmenstrategische Entscheidung. Das bestätigt Evelyne Lüthi-Graf, Historikerin und Geschäftsführerin des Hotelarchiv Schweiz. Sie sagt: «Liebesheiraten kamen eher zufällig zustande. Es ging bei der Partnerwahl in erster Linie darum, jemanden zu finden, der einen bei der Aufgabe, ein Hotel oder Restaurant zu führen, unterstützen konnte oder für den Betrieb einen unverzichtbaren Wettbewerbsvorteil brachte.» Ein prominentes Beispiel dafür ist César Ritz. Der als König der Hoteliers und Hotelier der Könige betitelte Walliser heiratete 1888. Während er in aller Welt tätig war, führte seine Frau Marie-Louise, gebürtige Beck, eines seiner zehn Hotels und zog die gemeinsamen Söhne René und Charles auf. 

Madame La Directrice heiratete ihren Sommelier 

In den Anfangszeiten des Tourismus war es gang und gäbe, dass ein alleinstehender Hotelier seine Gouvernante oder Sekretärin und ein Wirt die fleissigste Saaltochter heiratete. Umgekehrt gab es auch Hôtelièren, die sich ihren Ehemann nach seinen beruflichen Qualifikationen aussuchten. So wie Elise Masson. 

Sie erbte von ihrem Vater das Hôtel Masson in Veytaux bei Montreux/VD. Im Juli 1873 heiratete die Hôtelière im Alter von 54 Jahren den Kellner Charles Albert Rolli. Zuvor hatte der 39-jährige Berner zwei Saisons in Elise Massons Weinkeller gearbeitet und dort anscheinend einen guten Job gemacht. Die kluge Geschäftsfrau sicherte sich durch die Ehe mit dem 16 Jahre jüngeren Mann eine erprobte Fachkraft. Gleichzeitig stellte sie durch die Heirat sicher, dass sie für das Hotel einen valablen Nachfolger hatte, der den Familienbetrieb nach ihrem Tod in ihrem Sinne weiterführen würde. Und vielleicht fand sie mit dem jüngeren Mann ja auch ihr privates Glück.

Partnersuche fast wie beim Adel

Ähnlich wie Adlige vermählten auch Hoteliers ihren Nachwuchs am liebsten unter ihresgleichen. Die Kinder wurden früh im elterlichen Betrieb eingespannt und dann als Teenager zu befreundeten Hoteliers in Stages geschickt. Offiziell zur Aus- und Weiterbildung. «Die Stages dienten aber auch dazu, das Netzwerk unter den Hoteliersfamilien zu pflegen und sich ganz unverbindlich nach valablen Ehepartnern umzuschauen», sagt Evelyne Lüthi-Graf. Die Hotelierskinder konnten sich bei der Arbeit kennenlernen und erste zarte Bande knüpfen. So kommt es, dass Hoteliersdynastien, ähnlich wie europäische Fürstenhäuser, oft miteinander verwandt und verschwägert sind.

Expansion ist Familiensache

Wie damals üblich, hatten auch Hoteliers kinderreiche Familien. Franz-Joseph Bucher, der grosse Hotel- und Eisenbahnpionier aus der Zentralschweiz beispielsweise hatte neun Kinder. Fast alle Söhne heirateten Hotelangestellte oder Töchter anderer Hoteliers und führten eines der zum Familienimperium gehörenden Häuser. Zwei seiner Töchter ehelichten Kurärzte. Die kümmerten sich um die Gesundheit der Gäste. 

Eine weitere Tochter, Josepha Christine Bucher, nahm sich den deutschen Oberkellner Gottlob Heinrich Wirth zum Mann. Zuerst musste dieser sich auf dem Bürgenstock als rechte Hand seines Schwiegervaters bewähren. Später schickte Franz Josef Bucher das Paar nach Italien, um dort das Familienimperium zu erweitern. Noch heute wird das berühmte Hotel Hassler in Rom von Nachfahren der Josepha Christine Bucher geleitet.

(Riccarda Frei) 


Zur Serie «Zeitreise»

Die Serie «Zeitreise» entsteht in Zusammenarbeit mit Evelyne Lüthi-Graf. Sie ist Historikerin, Archivarin und Geschäftsleiterin Hotelarchiv Schweiz. Das Hotelarchiv Schweiz ist eine gemeinnützige Stiftung, die sich um historisch wertvolle Dokumente und Gegenstände kümmert. www.hotelarchiv.ch